Die Bahn als Bauherr will die Kosten eines Baustopps nicht tragen, die Projektgegner sehen die Sollbruchstelle für Stuttgart 21 erreicht.

Stuttgart - Die Deutsche Bahn hat sich am Dienstag erneut für Stuttgart 21 ausgesprochen und auf die geltenden Verträge verwiesen. Sie sehe sich "im Einklang mit der Rechtslage", betonte sie aus gutem Grund, denn der Machtwechsel im Land hat die Voraussetzungen für das umstrittene Milliardenprojekt verändert. Die Grünen sind bekanntlich gegen Stuttgart 21, die SPD ist dafür. Einig sind sich die Koalitionspartner aber in einem Punkt, der das Milliardenprojekt insgesamt gefährden könnte: der Beitrag des Landes soll auf den 2009 in der Vereinbarung mit der Bahn beschlossenen Betrag beschränkt werden.

 

Bekanntlich ist in den Stuttgart-21-Verträgen eine "Sprechklausel" vorgesehen für den Fall, dass die Kosten den Betrag von 3,076 Milliarden Euro übersteigen und auch der mit 1,45 Milliarden Euro gefüllte Risikotopf geleert werden müsste. Alle Kosten, die über diese 4,526 Milliarden Euro hinaus gehen, müssen - so sieht es nun die neue grün-rote Regierung vor - von der Bahn getragen werden. Die Grünen hoffen, dass die Bahn nicht bereit sein wird, einen "Blankoscheck" für die nächsten zehn Jahre zu unterschreiben, weshalb im gemeinsamen Lenkungskreis ein Projektende beschlossen wird, wie ein Teilnehmer der Koalitionsrunde sagt. Ein Volksentscheid über einen Ausstieg aus der Finanzierung würde sich dann wohl erübrigen.

Bahn beharrt auf Weiterbau

Die Bahn freilich beharrt auf den Weiterbau von Stuttgart 21. Zwar habe sie "zur Befriedung der Lage" und als Zeichen ihres guten Willens einen Bau- und Vergabestopp bis zur Konstituierung der Landesregierung beschlossen. Die Ankündigung von Grün-Rot, bis Oktober eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 abhalten zu wollen, sei im Vertrag aber nicht vorgesehen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen, so haben es die Koalitionäre zudem verlangt, alle Arbeiten ruhen und auch keine Vergaben getätigt werden. Die Bahn geht deshalb davon aus, dass unmittelbar im Anschluss an die Konstituierung der Landesregierung der Lenkungskreis einberufen wird, in dem nur einstimmige Beschlüsse gefasst werden dürften. Diese Runde, so fordert die Bahn nun, soll klären, "wer die ganz erheblichen Zusatzkosten einer neuerlichen Aussetzung von Baumaßnahmen und Vergaben" trage.

Der Verkehrskonzern selbst beugt vor: Die durch einen längeren Baustopp verursachten Kosten - dem Vernehmen nach rund 200 Millionen Euro - dem Gesamtbetrag von 4,526 Milliarden Euro hinzuzurechnen wäre "nicht zu akzeptieren". Ein Sprecher der Grünen im Landtag erklärte dazu: "Wir betrachten das ausschließlich als eine Frage, die die Bahn lösen muss." Der SPD-Landeschef Nils Schmid ist dagegen laut einem Sprecher bereit, mit der Bahn im Lenkungskreis zu reden.

Immense Mehrkosten 

Die im Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zusammengeschlossenen Projektgegner gehen freilich von weit höheren Mehrkosten aus als jenen, die aus einem Baustopp resultierten. So müsse die Infrastruktur auf den Fildern größer dimensioniert werden als bisher vorgesehen. Von dem in der Schlichtung vereinbarten Stresstest erwarten die Grünen zudem den Nachweis, dass die Zu-und Abläufe des geplanten Knotens für Hunderte Millionen Euro geweitet werden müssten. Ebenfalls im Koalitionsvertrag enthalten ist die Forderung nach einer Einbindung der Gäubahn, sofern sie als Rückfallebene bei Störungen im S-Bahntunnel nötig wäre.

Wie berichtet, geht die Bahn in einer internen Expertise des Projektleiters Hany Azer von Kostenrisiken von bis zu einer Milliarde Euro aus. Zudem hat die Bahn noch nicht nachweisen können, dass beim Tunnelbau Einsparungen in fast derselben Höhe erreicht werden, Einsparungen, die aber nötig sind, um überhaupt unter die 4,5-Milliarden-Grenze zu kommen. Zur Erinnerung: bevor Bahn-Chef Grube diese Einsparungen versprochen hatte, lagen die Kosten bei fünf Milliarden Euro. Weitere Unbilden drohen: Die für die Planung des Gleisvorfeldumbaus zuständige Firma hat nach Informationen der Stuttgarter Zeitung vier Millionen Euro Nachforderungen erhoben - bei einem bisher realisierten Auftragsumfang von zehn Millionen Euro.

Finanzierungsvereinbarung regelt die Kosten

Vertrag
In der Finanzierungsvereinbarung von 2009 werden die Gesamtkosten zum Planungs- und Preisstand 1. Januar 2004 mit 2810,4 Millionen Euro ermittelt und einschließlich einer unterstellten Inflation auf 3076 Millionen Euro festgelegt. Für den Fall, dass die Kosten überschritten würden, haben sich die Partner auf die Zahlung weiterer 1,45 Milliarden Euro geeinigt. Sprechklausel „Im Falle weiterer Kostensteigerungen“ nehmen die Bahn und das Land Gespräche auf, heißt es in der Finanzierungsvereinbarung weiter. Dies kann auf verschiedene Art gedeutet werden: Während die Projektgegner die Auffassung vertreten, in diesem Gespräch könnte die Landesregierung sagen, sie verweigere sich einer Aufteilung von Mehrkosten, sagen die Projektbefürworter, es könne allenfalls über den Verteilungsschlüssel diskutiert werden.

Sollbruchstelle
Im Vertrag sind Kosten von bis zu 4,526Milliarden Euro genannt, über die SPD und Grüne nun nicht mehr hinausgehen wollen. Bahn-Chef Grube sieht die Grenze zur Unwirtschaftlichkeit des Projekts bei 4,8 Milliarden Euro erreicht.