Der Umzug des Wartungsbahnhofs vom Stuttgarter Rosensteinpark nach Tübingen ist verschoben, der Neubau auch. Der Verkehrsminister und Tübingens OB wissen nichts davon. Und Tübinger Kleingärtner ärgern sich.

Stuttgart - Der Wartungsbahnhof im Rosensteinpark wird nun doch nicht zum Jahresende aufgegeben. Damit verschiebt sich auch der Bau der neuen Anlage in Tübingen. Mit dieser Botschaft ist die Belegschaft des zur DB Regio gehörenden Verkehrsbetriebs Baden-Württemberg konfrontiert worden, der nach eigenen Angaben den Nahverkehr „von Stuttgart aus an Neckar, Rhein, Donau, Tauber und Bodensee“ verantwortet.

 

Das Bahnprojekt Stuttgart 21 basiert bekanntlich auf sogenannten Durchmesserlinien im Regionalverkehr. Der bisherige Plan sieht vor, die in der Nebenzeit nicht benötigten Züge nicht mehr – wie in Kopfbahnhofzeiten – auf kurzem Schienenweg zentral in den Wartungs- und Abstellbahnhof im Rosensteinpark zu führen, sie dort zu reparieren und zu reinigen. Sie sollen stattdessen das Werk in Ulm anfahren, das bereits ein Drittel der bisher in Stuttgart beschäftigten Verkehrsbetriebsarbeiter aufgenommen hat, und irgendwann das noch zu bauende in Tübingen. Zudem ist in Untertürkheim ein Abstellbahnhof sowie eine Reinigungs- und Wartungsanlage für kleinere Schäden geplant.

Mitarbeiter sagen, man habe ihnen gegenüber die Verschiebung damit begründet, dass die Flächen, auf denen sich die Werkstätten Rosenstein und Stadtpark befinden, doch nicht für die Baulogistik des Tunnelbaus zwischen der Cannstatter Neckarbrücke und dem Tiefbahnhof benötigt würden; bekanntlich hat die Bahn von einer offenen auf die unterirdische Bauweise umgestellt.

Unklarheit über künftige Verteilung der Verkehrsleistungen

Grund dafür sei in erster Linie aber die Unklarheit über die künftige Verteilung der Verkehrsleistungen im Land. Konkret: die Bahn weiß nicht, ob sie in Zukunft überhaupt noch in den Genuss kommt, Züge nach Tübingen fahren und dort warten zu lassen. Denn der Aufgabenträger in Baden-Württemberg, die Nahverkehrsgesellschaft NVBW, dem die DB Regio „stets ein verlässlicher Partner“ sei, schaut sich derzeit nach anderen Partnern um.

Der umstrittene Große Verkehrsvertrag von 2002, in dem Kritiker wie der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann und sein Parteifreund, Tübingens OB Boris Palmer, schon immer Subventionen für Stuttgart 21 versteckt sahen, läuft 2016 aus. Das Landesverkehrsministerium hat die neue Ausschreibung der Nahverkehrsleistungen auf den Schienenstrecken in der Region Stuttgart auf den Weg gebracht. Ziel sei „angesichts knapper Finanzmittel eine deutliche Stärkung des Wettbewerbs im Schienenpersonennahverkehr“. Durch die Ausschreibung sei mit günstigeren Konditionen zu rechnen.

Die Bahn selbst hat dagegen auf StZ-Anfrage einen Zusammenhang zwischen der Verschiebung des Umzugs und der Unsicherheit im Zuge der Vergabe der Verkehrsleistungen bestritten und lapidar festgestellt, es sei eben noch nichts beschlossen. Der bisherige Zeitplan, so ein Sprecher, habe als frühesten Inbetriebnahmezeitpunkt für die Anlage in Tübingen 2014/2015 vorgesehen.

Nun gebe es „Überlegungen, den Zeitplan auf den Betriebsaufnahmetermin von S 21 auszurichten“. Dieser wird mit 2021 angegeben, eine Verspätung ist nicht ausgeschlossen. Die Vertagung habe keine grundsätzlichen Konsequenzen für das Projekt, so der Bahn-Sprecher. Das Baurecht liege vor und habe fünf Jahre Gültigkeit.

Belegschaft glaubt an Vorbereitung auf schlechtere Zeiten

Für Winfried Hermann ist es „plausibel, dass DB Regio zunächst den Ausgang der Vergaben der Stuttgarter Netze im Schienenpersonennahverkehr abwartet, bevor sie Investitionsentscheidungen für die dezentralen Abstellanlagen trifft, die das Werk Rosenstein ersetzen sollen“. Entscheidend sei für das Land, dass die Fläche im Park nach der Inbetriebnahme von S 21 geräumt und Alternativen geschaffen seien.

Allen Beteuerungen des Bahn-Sprechers zum Trotz herrscht in der Belegschaft des Verkehrsbetriebs die Meinung vor, die Zurückhaltung des Konzern beim Neubau sei die Vorbereitung auf schlechtere Zeiten. Der Bahn-Betrieb mit seinen 803 Mitarbeitern – Mechaniker, Zugbegleiter, Rangierer, Verwaltungsangestellte sowie Auszubildende – ist für 920 Kilometer Streckennetz sowie 129 Bahnhöfe und Haltestellen zuständig. Er erbringt eine Verkehrsleistung von 12,4 Millionen Kilometer pro Jahr – noch.

Da ein bei der Ausschreibung erfolgreiches Eisenbahnverkehrsunternehmen maximal für zwei der drei Stuttgarter Teilnetze den Zuschlag erhalten kann, bedeutet das für den bisherigen Monopolisten DB Regio den Verlust mindestens eines Auftrags. Der Betriebsrat des Verkehrsbetriebs befürchtet durch den feststehenden Betreiberwechsel erhebliche Nachteile für die Belegschaft. Falls Mitarbeiter überhaupt beim neuen Anbieter eine Stelle erhielten, müssten sie sich von zahlreichen Sozialleistungen verabschieden, heißt es in einem Flugblatt.

Kleingärtner in Tübingen empört

Verantwortlich dafür sei das Ministerium, das in der Ausschreibung bewusst darauf verzichte, soziale Standards einzufordern. Eine Pflicht des neuen Betreibers zur Übernahme des bisher eingesetzten Personals zu den gleichen Bedingungen werde nicht festgeschrieben. Die grün-rote Landesregierung, so das Fazit der Arbeitnehmervertretung, die am 2. September eine Protestveranstaltung abhält, fördere „Dumpinglöhne im Schienenregionalverkehr“. Der Kampf um den günstigsten Anbieter werde auf dem Rücken der Belegschaft ausgetragen.

In Tübingen empören sich derweil jene Kleingärtner, die im Vorgriff auf die nun vertagte Baumaßnahme ihre Parzellen aufgeben mussten. Diese sind bereits dem Erdboden gleichgemacht und können auch nicht revitalisiert werden. Boris Palmer erinnert das Vorgehen „an den unnötig frühen Abbrucharbeiten am Hauptbahnhof und die Baumfällungen im Schlossgarten“. Er hätte sich mehr Sensibilität im Umgang mit den betroffenen Kleingärtnern gewünscht. „Für viele Menschen war das eine schmerzhafte Sache, verbunden mit dem Verlust privaten Glücks. Es scheint, als habe die Bahn dies getan, ohne sicher zu sein, dass die Grundstücke auch benötigt werden.“

Von der Verschiebung hat er noch nichts gehört. „Man erfährt als OB ungern aus der Zeitung von solchen Entwicklungen, selbst wenn formal eine Baugenehmigung über Jahre Bestand hat.“ Auch dem Verkehrsminister „ist dieser Sachverhalt bisher nicht bekannt“ gewesen, hieß es auf Anfrage. Nach dem Finanzierungsvertrag sei das wohl aber auch nicht mitteilungspflichtig. Dennoch würde es das Ministerium „natürlich erwarten, darüber von der DB informiert zu werden“.