Der Prozess zum Wasserwerfer-Einsatz in Stuttgart geht weiter: Die Einsatzfreigabe der Spezialfahrzeuge gilt laut einem Sachverständigen uneingeschränkt und ist auf keinen bestimmten Wasserdruck festgelegt. Außerdem ist klar geregelt, wer den Befehl für den Einsatz gibt.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart - Zum Ende seiner Zeugenaussage hat der Sachverständige einen Satz ausgesprochen, der dem ehemaligen Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf vermutlich nicht behagen wird: „Die generelle Freigabe für einen Wasserwerfereinsatz gibt der Einsatzführer und zwar ohne Einschränkung“, sagte der Gutachter am Montag beim sogenannten Wasserwerferprozess am Landgericht. Die Polizeidienstvorschrift des Landes Baden-Württemberg sehe bei der Frage nach der Stärke des Wasserstrahls keine Begrenzung vor. Laut Lehrbuch müsse der Einsatz „unmittelbaren Zwangs“ aber „verhältnismäßig sein“, so der Sachverständige.

 

Laut Anklage soll Stumpf bei der Räumung und Abriegelung eines Baufeldes für den geplanten Tiefbahnhof am 30. September 2010 nur leichten Wasserregen zugelassen haben. Über die Stärke des Wasserdrucks hätten indes im Fahrzeug der Kommandant und die Rohrführer zu entscheiden. „Dafür sind diese geschult“, sagte der Gutachter. Bei den Entscheidungen sollte aber Rücksprache mit dem Beobachter im Wasserwerfer und weiteren Vorgesetzten außerhalb des Fahrzeugs gehalten werden.

Mehr als 100 S-21-Gegner wurden verletzt

In dem Prozess am Landgericht müssen sich zwei hochrangige Polizeibeamte seit zwei Monaten wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt verantworten. Der 41- und der 48-Jährige sollen als Einsatzabschnittsleiter nicht eingeschritten sein, als am sogenannten schwarzen Donnerstag durch Wasserwerfer mehr als 100 Personen verletzt worden sind, einige schwer.

Als Zeuge sagte nun ein Sachverständiger aus, der seit einigen Jahren Besatzungen solcher Spezialfahrzeuge der Bundespolizei ausbildet. Die beiden im Schlossgarten eingesetzten Fahrzeuge, die bis zu 9000 Liter Wasser fassen können, werden demnach von jeweils fünf Personen bedient: einem Fahrer, zwei Rohrführern, einem Beobachter und einem Kommandanten. „Im Fahrzeug hat der Kommandant das Sagen und trägt hier die Verantwortung“, erklärte der Gutachter. Unterstützt bei der Lageeinschätzung werde der Kommandant allerdings von dem Beobachter im Fahrzeug sowie von außenstehenden Kollegen, die einen besseren Überblick hätten.

Möglich ist Wasserregen,– sperre und -stoß

Der Sachverständige betonte in seinem Gutachten, dass die Freigabe eines Wasserwerfers generell sei. Demnach werde dabei nicht unterschieden zwischen der Einsatzstärken Wasserregen, Wassersperre oder Wasserstoß. Die Polizeidienstvorschrift sehe vor, dass Wasserregen bei passivem Widerstand von sogenannten Störern angebracht sei, um sie nass zu machen und damit zum Gehen zu bewegen. Eine Wassersperre werde angewandt, wenn diese Störer vom Vorrücken abgehalten werden sollten. Möglich seien dabei Stöße von bis zu 20 bar Druck. Der Strahl sei dabei so auszurichten, dass er den Bereich zwischen den Füßen und den Oberschenkeln treffe. Als härtestes Mittel würden Wasserstöße eingesetzt, um Straftaten von Störern zu verhindern und Gewalttäter zum Zurückweichen zu zwingen. Generell dürfe dabei aber nicht auf die Köpfe der Demonstranten gezielt werden. „Man braucht aber Erfahrung und Übung, um den Wasserstrahl genau zu justieren“, sagte der Gutachter.

Frage nach Mitverantwortung der Angeklagten bleibt offen

Auf die Frage, ob die beiden Angeklagten eine Mitverantwortung dafür tragen, dass viele S-21-Gegner am schwarzen Donnerstag am Kopf getroffen worden sind, musste der Sachverständige bisher noch nicht eingehen. Zunächst sollen weitere Polizisten gehört werden, die am Einsatz beteiligt waren, darunter auch Beamte, die in den Wasserwerfern saßen und bereits Strafbefehle wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt akzeptiert haben. Denn bei deren Zeugenvernehmungen könnten sich weitere Fragen ergeben, auf die der Gutachter dann eingehen könne, so die Richter.

Ex-Polizeichef Stumpf für 15. Oktober als Zeuge erwartet

Der Ex-Polizeichef soll am 15. Oktober als Zeuge gehört werden. Ob der mittlerweile pensionierte Stumpf aber aussagen wird, ist offen. Denn die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Mitte Juli wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung im Amt gegen ihn. Stumpf könnte sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen.