Wer den Charlottenplatz von früher sieht, erkennt Stuttgart kaum wieder. Bis in die 1960er Jahre, bevor die radikale Neuordnung für Autos und Straßenbahnen begann, waren etliche Plätze der Stadt den Menschen viel näher.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der nach der letzten Königin von Württemberg benannte Charlottenplatz war mal ein Platz mit Bäumen und einem Brunnen – kein vielgeschossiger und hektischer Verkehrsknotenpunkt mit Quer- und Längslinien, mit Stadtautobahn und Schienen. Die Straßen waren schmaler, die Straßenbahnen rumpelten über dem Erdboden. Auf dem Foto von 1954, das Wibke Wieczorek unserem Stuttgart-Album geschickt hat, ist ein Ordnungshüter zu sehen, der auf einem Podest steht und den Verkehr regelt. „An dieser Stelle hätte heute ein Polizist eine Lebenserwartung von maximal zwei Minuten“, hat Markus Wandrack in unserem Facebook-Forum geschrieben.

 

Der 2. Juli 1962 ist ein historisches Datum in der Stadtgeschichte. An diesem Tag wurde der erste Spatenstich für das neue Tunnelreich gefeiert. Die „Operation am offenen Herzen“ begann, wie es damals hieß. Stuttgart war jahrelang eine Baustelle – genau so, wie man es heute wegen Stuttgart 21 kennt.

1963 ist das Charlottenhochhaus gebaut worden

1966 fuhr die erste Straßenbahn unter der Erde zwischen Holzstraße und Staatstheater. Das große Wühlen im Untergrund ging munter weiter. 1971 gab der damalige Minister Georg Leber mit dem Presslufthorn das Startsignal für den Bau der S-Bahn.

Das Foto vom Charlottenplatz aus dem Jahr 1954 erfreut die Veranstalterin Michaela Russ. „Hier hat sich Opa Russ 1945 mit seiner Konzertdirektion selbstständig gemacht“, notierte sie in unserem Internetforum. Ob Anne-Sophie Mutter, Duke Ellington oder die Berliner Philharmoniker – seit 72 Jahren prägt die Familie Russ vom Charlottenplatz aus die Veranstaltungslandschaft in Stuttgart und Umgebung mit Leidenschaft. Das Konzertunternehmen SKS Russ ist Platzhirsch und Marktführer in der Stadt, bundesweit von bestem Ruf.

Das Hochhaus des Charlottenplatzes stammt von 1963 – Schwabenbräu hat es mit zwölf Stockwerken an der Stelle des im Krieg zerstörten Charlottenbaus errichten lassen, in dem sich bis 1915 das Kriegsministerium von Württemberg befand und danach die Automaten-Gaststätte. Flipper-Geräte oder einarmige Banditen befanden sich nicht darin. Wer ein Zehnerle einwarf, bekam Bier, Limonade, belegte Brötchen oder Kuchen aus dem Automaten-Büfett. Den Stuttgartern gefiel es, wenn dank moderner Technik ein ganz genau festgelegter Strahl die Gläser füllte.

Die Bücher zur Serie gibt’s im Silberburg-Verlag

In den 1980ern hat die Brauerei das 43 Meter hohe Charlottenhochhaus verkauft – an einen Geschäftsmann aus dem Schwarzwald. Heute befindet sich in dem markanten Gebäude eine große Kosmetikpraxis zur Zahnaufhellung. Wenn man nur einen alten und verbauten Platz so schnell verschönern könnte wie Zähne beim Bleachen!

Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Im Silberburg-Verlag sind zwei Bücher zum Stuttgart-Album erschienen.