Der Bau- und Wohnungsverein hat Mieter verklagt, die nicht aus der Beethovenstraße 60 bis 70 ausziehen wollen. Doch das Amtsgericht Stuttgart hat den Beklagten nun Recht gegeben und die Kündigung als „unwirksam“ bezeichnet.

Stuttgart-Botnang - Die drei Gebäude an der Beethovenstraße 60 bis 70 bleiben erst einmal stehen. Ursprünglich wollte der Bau- und Wohnungsverein die Häuser aus dem Jahr 1927 im Spätsommer abreißen und durch moderne Neubauten ersetzen lassen. Doch zwei der insgesamt 48 Mieter weigern sich bislang hartnäckig aus ihrer Wohnung auszuziehen – mit Erfolg.

 

Die Kündigung bekamen Michael Müller (Name von der Redaktion geändert) und Wolfgang Reitzig wie alle anderen zu diesem Zeitpunkt noch verbliebenen Mietparteien im Februar vergangenen Jahres. Bis 30. November hatten sie Zeit, um die Beethovenstraße zu verlassen. Aber Müller und Reitzig ließen es darauf ankommen. Anfang des Jahres folgte schließlich die Räumungsklage. Ende März fand sich Michael Müller dann vor dem Amtsgericht Stuttgart wieder. Und bekam Recht. Die Kündigung aus dem Februar sei „unwirksam, da ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht ausreichend begründet war“, lautete das Urteil. Mit derselben Begründung wird Richter Heibel wohl am 24. Mai auch Reitzig Recht geben, der vor allem nicht möchte, dass seine 90-jährige kranke Mutter aus der Beethovenstraße ausziehen muss. Sein Ziel: Das Mietverhältnis soll dauerhaft fortgesetzt werden. Ob das allerdings möglich ist, wird auch nach dem Urteilsspruch am 24. Mai nicht feststehen. „Es kann eine neue Kündigung ausgesprochen werden. Dann werden wir wahrscheinlich wieder hier sitzen“, sagte Richter Heibel.

Notwendig sei es seiner Meinung nach dann aber, dass der Bau- und Wohnungsverein genau darlege, warum die Gebäude abgerissen werden sollen. Gutachten könnten dabei hilfreich sein, damit die Mieter die Gründe der Kündigung auch nachvollziehen können. Der Bau- und Wohnungsverein habe zwar viele Mängel an den drei Gebäuden an der Beethovenstraße angeführt, die seien allerdings nicht nachprüfbar, sagte Richter Heibel. Der Verein spreche von schimmelbefallenem Holz, porösen Decken, von teilweise nicht vorhandenen Heizungen, fehlenden Stellplätzen und einer schlechten bis nicht vorhandenen Dämmung. Der Anwalt des Vereins teilte mit, dass man mit Sanierungskosten in Höhe von 2400 bis 2800 Euro pro Quadratmeter rechne, um diese Mängel im Bestand beheben zu können. Deshalb sei der Abriss und Neubau wirtschaftlicher.

Mieter können die Gründe für den Abriss nicht nachvollziehen

Das sehen die noch verbliebenen Mieter anders. Sie sprechen davon, dass keine echten Baumängel vorliegen und es deshalb nicht nachvollziehbar und sinnvoll sei, günstigen Wohnraum abzureißen. Der Mietpreis in den drei Gebäuden an der Beethovenstraße beträgt durchschnittlich 5,50 Euro pro Quadratmeter. Im Neubau werden die Kosten dann wohl zwischen zehn und zwölf Euro liegen, heißt es beim Vau- und Wohnungsverein.

Um die These der beiden Mieter zu untermauern, haben die Mieterinitiativen Stuttgart einen Architekten beauftragt, der den Zustand der Gebäude an der Beethovenstraße untersuchen sollte. Mittlerweile gibt es eine Stellungnahme des Architekten. Er kommt zu dem Schluss: „Die grundsätzliche Bausubstanz ist in keiner Weise marode oder baufällig.“ Er gehe davon aus, dass die Lebenserwartung der drei Häuser bei weiteren zirka 80 bis 100 Jahren liege.

Nun bleiben auch die Flüchtlinge wohnen

Thomas Wolf, der Vorstandsvorsitzende des Bau- und Wohnungsvereins Stuttgart, bezeichnet die Stellungnahme auf Nachfrage unserer Zeitung als „lächerlich“ – auch weil eine Kostenschätzung für die Sanierung fehle. Schon in der Bezirksbeiratssitzung Anfang 2013 sagte er zum Zustand der Gebäude, dass an Fassaden, Dach und Decke keine Wärmedämmung vorhanden sei. Knarrende Holzböden wären beim Thema Schallschutz problematisch. Auch an den Holzfenstern habe der Zahn der Zeit genagt. Die Gebäude seien nicht barrierefrei zugänglich. Es gebe keine Balkone. Und auch die Grundrisse der Wohnungen seien nicht mehr zeitgemäß: Alle Zimmer seien zur Straße hin orientiert und mit maximal 18 Quadratmetern viel zu klein. In den nächsten zehn bis 15 Jahren müsse man auf jeden Fall sanieren. Doch eine Kostenschätzung habe ergeben, dass ein Neubau rund zehn Prozent günstiger sei, als den Bestand auf Vordermann zu bringen. Und selbst wenn man sich für die teurere Variante aussprechen würde, müssten die Bewohner während der Bauzeit ausziehen. „Eine Sanierung in bewohntem Zustand ist auf gar keinen Fall möglich“, sagte der vom Bau- und Wohnungsverein beauftragte Architekt Steffen Keck den Bezirksbeiräten damals.

Wie geht es nun weiter? „Wir warten erst einmal das zweite Urteil ab. Bis Ende Mai haben wir auch noch die Option, in Berufung zu gehen“, sagte Thomas Wolf. Gutachten für eine neue Kündigung erstellen zu lassen, würde auf jeden Fall enorm Zeit kosten. „Aber es ist wie es ist.“

Seit einigen Monaten sind 26 der 48 Wohnungen an der Beethovenstraße an die Stadt vermietet, die dort rund 130 Flüchtlinge untergebracht hat. Eigentlich hätten die Asylbewerber schon ausgezogen sein sollen, aber aufgrund der zeitlichen Verzögerung des Neubauprojekts hat der Bau- und Wohnungsverein entschieden, den Vertrag mit der Stadt erst einmal bis zum 31. Oktober zu verlängern.