Vor sechs Jahren war die Euphorie groß, mittlerweile ist der Hype um fairen Handel verflogen. Trotzdem will sich Degerloch erneut um das einst so begehrte Siegel bewerben. Wir haben die Stimmung dazu eingefangen.

Degerloch - Als Degerloch im Jahr 2011 das Siegel der Fairtrade-Stadt vom Kölner Verein Transfair erhielt, war die Euphorie groß. Schließlich nahm der Bezirk damit eine Vorreiterrolle innerhalb der Landeshauptstadt Stuttgart ein und zeigte den anderen in Sachen Nachhaltigkeit den Weg. Auch bundesweit lag Degerloch weit vorne: Nur der Düsseldorfer Stadtbezirk 5 hatte die Auszeichnung damals noch vor dem Stuttgarter Bezirk erhalten.

 

Sechs Jahre später haben viele nachgezogen: Davon abgesehen, dass Stuttgart als Kommune mittlerweile selbst Fairtrade-Stadt ist, gehören nun 20 von 23 Stadtbezirken dem erlauchten Kreis an. Die Kehrseite: Während anfangs noch viele Aufkleber des Fairtrade-Siegels die Türen der Ladengeschäfte zierten, ist davon heute kaum mehr etwas zu sehen.

Der Hype ist verflogen

Das Thema spiele im Gewerbe- und Handelsverein (GHV) keine große Rolle mehr, konstatierte Bezirksvorsteherin Brigitte Kunath-Scheffold jüngst im Bezirksbeirat. „Das Thema ebbt ab“, pflichtete Götz Bräuer (CDU) bei, während Michael Huppenbauer darüber sinnierte, ob eine öffentliche Veranstaltung dem Fairtrade-Bewusstsein in Degerloch wieder neues Leben einhauchen könne.

Zumindest das klare verbale Bekenntnis zur Sache bekam Kunath-Scheffold vom Bezirksbeirat. Das ist auch nötig, denn die Zustimmung des zuständigen politischen Gremiums ist das erste von fünf Kriterien, die eine Kommune oder ein Stadtbezirk erfüllen muss, um das Siegel zu erhalten.

Ist das Fairtrade-Siegel also nur noch ein Feigenblatt, das den fehlenden Enthusiasmus für die Sache überdeckt? Keineswegs, findet Eberhard Klink. Der Degerlocher GHV-Vorsitzende sieht die Sache differenzierter. „Es gibt keinen Hype um das Thema, aber es ist durchaus noch präsent in Degerloch“, sagt Klink.

15 Betriebe sind heute mit dabei

Fast alle Geschäfte und Restaurants, die bereits 2011 im Boot waren, seien auch heute noch mit dabei und führten fair gehandelte Waren im Sortiment. Rund 15 Betriebe seien mittlerweile dabei. Aus Sicht des GHV müsse Fairtrade in ein Gesamtkonzept eingebettet sein, das beinhalte, Produkte aus der Region in Degerlocher Geschäften einzukaufen – also das zu tun, was man heute unter dem Thema Nachhaltigkeit versteht. Mit dem Fairtrade-Siegel allein und Werbemaßnahmen sei es freilich nicht getan. „Der Sog muss natürlich auch vom Kunden kommen, der die Fairtrade-Produkte kaufen will“, sagt Klink, der die neuerliche Bewerbung der Stadt ausdrücklich begrüßt.

Über ein mangelndes Kundeninteresse kann sich Gerhard Haag nicht beschweren. Als Vorsitzender des Vereins „Degerloch Fair“ hat er den Blick auf die Umsätze des Weltladens an der Rubensstraße. Der vom Verein betriebene Laden hat seine Waren schon 2006 angeboten, als das Fairtrade-Siegel noch kein Thema im Bezirk war.

Die Einnahmen im Weltladen schwanken

„Die Einnahmen sind schwankend, aber stabil“, sagt Haag. Auch in anderen Läden Degerlochs sieht er eine positive Entwicklung: „Ich sehe viele Fairtrade-Produkte, die ja auch gut zum großen Angebot an Bio-Produkten passen, die es im Stadtbezirk gibt.“ Trotzdem: nach der Aufbruchstimmung im Jahr 2011 sei es deutlich ruhiger um das Thema geworden, gesteht Haag.

Als Nukleus der Degerlocher Fairtrade-Bewegung schaffe man im Weltladen „so vor sich hin“ und halte die Fahne hoch – der Lenkungskreis aber, bestehend aus Degerloch Fair, Bezirksverwaltung und GHV habe ewig nicht mehr getagt, sagt Haag. Die erneute Bewerbung könne deshalb wieder einen „Push“ auslösen, hofft er.

Bestimmte Kriterien müssen erfüllt sein

Die Hürde der formalen Kriterien dürfte Degerloch indes ohne große Probleme überspringen. Neben dem bereits erfolgten Beschluss der Politik gibt es vier weitere Kriterien, die einen Stadtbezirk zur „Fair-Trade-Town“, machen: Eine Steuerungsgruppe muss sich bilden – die besteht bereits. Eine an die Einwohnerzahl gekoppelte Zahl an Geschäften, Gastronomiebetrieben und Vereinen sich am Projekt beteiligen – in Degerloch müssten sich also mindestens vier Geschäfte und zwei Gastronomen beteiligen, was machbar erscheint.

Schließlich sind die Zivilgesellschaft und die Medien gefragt: Eine Einrichtung – wie Schule, Verein, Kirchengemeinde - muss fair gehandelte Produkte verwenden, und der Bezirk muss mindestens auf vier Veröffentlichungen verweisen können, die das Thema Fairtrade in Verbindung mit dem Bezirk aufgreifen.