Die Absage des Stuttgart Festivals 2016 schlug ein wie eine Bombe. Die große Frage nun: Wie steht es um Stuttgarts Subkultur? Wir haben ein paar Statements gesammelt.

Stadtkind: Tanja Simoncev (tan)

Stuttgart - Es ist eine Bekanntgabe, mit der niemand gerechnet hat und die einschlagen ist wie eine News-Bombe: Das Stuttgart Festival 2016 wurde am Mittwochnachmittag abgesagt. Beim ersten Festival, 2015, hatten die Macher mit starkem (Gegen-)Wind zu kämpfen, dieses Jahr mit schleppenden Ticketverkäufen. Was bleibt sind viele offene Fragen. Alles weitere kann der offiziellen Pressemitteilung entnommen werden:

 

Absage Stuttgart Festival 2016

Leider müssen wir am heutigen Tage die bittere Nachricht verkünden, dass das Stuttgart Festival am 29. und 30. Juli 2016 auf der Messe Stuttgart abgesagt wird. Die sehr schleppenden Ticket-Vorverkäufe und die daraus resultierende Insolvenz zwingen uns dazu das Stuttgart Festival nicht umsetzen zu können. Wir sind bestürzt, dass trotz der positiven Resonanz die Ticketvorverkäufe weniger als die Hälfte des letzten Jahres betragen. Ist es die erneute Angst vor Wind und Wetter? Lag es am Gesamtkonzept, dem Ticketpreis, der Location oder am diesjährigen Line-Up? Oder braucht Stuttgart gar kein Festival dieser Art? Wir haben lange gekämpft, diskutiert und alle Möglichkeiten abgewägt, um diesen Schritt nicht gehen zu müssen. Wir prüfen gerade die Möglichkeit mit einer neuen Gesellschaft das Festival 2017 in veränderter Form erneut in Angriff zu nehmen. Hierbei wird aktuell auch geklärt, ob für 2016 gekaufte Tickets in 2017 Gültigkeit behalten. Ihr erfahrt auf unserer Facebook-Seite und Homepage in den kommenden Wochen mehr über eine mögliche Neuausrichtung des Stuttgart Festivals. Wir bitten euch um euer Verständnis und ein wenig Geduld, um die gesamte Situation zu lösen. Wir entschuldigen uns vielmals für die Umstände.

Dass die Absage in Stuttgarts Kulturlandschaft für Aufsehen, Wut und Empörung sorgt, ist mehr als nachvollziehbar. Hier ein paar Statements von Clubbetreibern, Open-Air-Veranstaltern und Subkultur-Förderern.

Tobias Rückle (LOVEiT):

"Veranstaltungen sind je nach Größe oftmals mit einem sehr hohen finanziellen Risiko verbunden. Wir haben nicht nur einmal Konzepte verworfen, weil uns das Risiko zu hoch war. Ich persönlich mag das Konzept des Stuttgart Festivals. Wir haben selbst 2015 dort aufgelegt und es hat Spaß gemacht. Dennoch sind die gebuchten Bands zum Teil der breiteren Masse kein Begriff, whatever. Als Teil von LOVEiT stelle ich mir oft die Frage welchen Stellenwert Musik für Menschen in Stuttgart hat. Meine Einschätzung: Bei einer breiten Masse in Stuttgart hat Musik und eine qualitativ hohe Ausgehkultur offensichtlich nicht den Stellenwert, den man benötigt, um große Projekte wie das Stuttgart Festival zu realisieren, ohne ein finanzielles Desaster hinzulegen. Hinzu kommen große etablierte Festivals all over the World die ihr Übriges dazu beitragen."

Thorsten Weh (pulsmacher / Kessel.TV): 

"Ich finde es überaus schade, dass das Festival abgesagt wird. Ich habe mich schon sehr darauf gefreut und wäre ja auch in der ein oder anderen Funktion vor Ort aktiv gewesen. Woran es liegt kann ich nicht sagen - ich wüsste nicht, was sie falsch gemacht haben, weder beim Line-Up noch bei der Kommunikation. Aber ich bin natürlich auch kein Fachmann."

Manuel Klink (White Noise / technokultur.com):

"Ich bin noch etwas schockiert, aber vielleicht ist dies mitunter ein Zeichen für den gesättigten Festival-Markt. So gibt es heutzutage doch fast in jedem kleinen Dorf ein eigenes Festival. Ein jeder kann von Juni bis September sein vollständiges Dasein auf Festivals verbringen. Es herrscht ein Überangebot. Was ich unheimlich schade finde ist, dass die Macher des Stuttgart Festivals, es mit einem alternativen LineUp versucht haben und nicht auf die üblichen Verdächtigen gesetzt haben, die jeden Sommer auf 100 Festivals spielen. Es scheint aber so, als kämen Festivals nicht ohne die ganz ganz großen Namen aus. Dies gerechtfertigt in gewissem Maße dann vielleicht sogar die hohen Gagen der Künstler. Vielleicht war das Datum einfach unpassend gewählt mit CSD und nun auch noch Wet-Festival (verschoben). Vielleicht aber ist Stuttgart auch einfach nicht die Stadt für ein alternatives Festival. In England wären die Tickets bei dem LineUp längst ausverkauft gewesen. Vielleicht müssen die Macher ihre Kommunikationsstrategie im nächsten Jahr eher international ausrichten. Gerade das Marienplatzfestival macht es vor. In meinen 3 Jahren beim Marienplatzfest habe ich gelernt, dass das Festival weniger von den Stuttgartern lebt, sondern es unheimlich viele Gäste aus Lisabon, London, Mailand und anderen europäischen Städten gibt."

Künstler und DJ Robin Treier:

"Generell find ich's wirklich schade. Ich hatte mich schon seit Monaten darauf gefreut und wollte einige neue musikalische Sachen von mir selbst dort erstmals heimlich in mein Set schmuggeln. Ich weiß, dass die Veranstalter gute Dudes mit Herzblut sind. Die Ankündigung machen zu müssen, puh, das waren sicherlich ein paar der schwersten Zeilen, die die Guten jemals tippen mussten. Sowas schmerzt. Ratschläge habe ich keine. So ein Ding ist eine echt komplexe Sache, die viel Risiko in sich birgt, vor allem wenn man so individuell rangeht wie die Veranstalter. Ich drücke ihnen die Daumen, dass dafür 2017 ihr Jahr wird und wir alle da nochmal die Gelegenheit kriegen, ein Line Up mit ihrer Handschrift live zu sehen - darauf hatte ich mich nämlich wirklich gefreut. Ich wünsche ihnen nur das Beste."

Stephan Stoffel (0711 Entertainment, Hip Hop Open):

"Sehr schade. Für den Kulturstandort Stuttgart sind Festivals sehr wichtig. Traurig, dass sich schon das zweite Festival verabschiedet. Über mögliche Fehler kann ich da als Externer nichts dazu sagen. Einer der Hauptpunkte ist natürlich, dass zu wenig Tickets verkauft wurden."

Peter James (Popbüro Region Stuttgart):

"Das ist in der Tat sehr verstörend und nährt den Verdacht, dass es in Stuttgart einfach nicht möglich ist, ein Festival in diesem Segment auf die Beine zu stellen. Für Ursachenforschung ist es meines Erachtens zu früh, wenn nicht gar unmöglich, will man nicht auf Stammtischniveau abrutschen. Zumal die Veranstalter schon mögliche Ursachen angesprochen haben und es ungleich schwerer ist, ein neues Festival an den Start zu bringen, als ein bereits etabliertes fortzuführen. Bei uns ist die Festivallandschaft komplett überhitzt und der Wettbewerbsdruck unglaublich hoch. Das macht sich insbesondere beim Booking bemerkbar. Einen höheren Anteil Stuttgarter Bands hätte ich begrüßt, aber auch diese sind natürlich Verpflichtungen eingegangen und stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung - ergo landen wir auch hier beim Kaffeesatzlesen. Was bleibt, ist ein tief empfundener Respekt gegenüber den Veranstaltern, die den Mut hatten, nach dem missglückten Start im letzten Jahr erneut anzutreten und eventuell sogar nicht aufgeben und im nächsten Jahr weitermachen. Und ein Gefühl der Ohnmacht, denn zu beobachten, wo die Stadt Stuttgart ein Tänzchen wagt und den Stadtsäckel aufmacht und wo nicht, ist schon frustrierend. Was dazu führt, dass Stuttgarter massenhaft zum Maifeld Derby pilgern – da sollte man in Stuttgart doch gegenhalten wollen?!"