Harry Fischer besucht regelmäßig Schulklassen, um Kindern und Jugendlichen die Poesie nahezubringen. Seine Botschaft lautet: Jeder kann ein Dichter sein.

Feuerbach - Ein Viertklässler hat einmal zu Harry Fischer gesagt: „Herr Goethe, ich begrüße Sie. Schön, dass Sie bei uns sind.“ Ein Vergleich mit dem deutschen Dichterfürsten, schwillt da nicht vor Stolz die Brust des Berufspoeten? Na ja, sagt der 64-Jährige beim Besuch in der Redaktion der Nord-Rundschau, wahrscheinlich sei Goethe der einzige Dichtername gewesen, den der Grundschüler gekannt habe.

 

„Seid gegrüßt ihr jungen Dichter“

Dabei will Fischer gerade nicht die großen Klassiker ins Klassenzimmer holen, sondern zeigen, dass es auch im Kleinen das Besondere gibt. Er holt lieber die Poesie vom Podest. Seine Botschaft lautet: Jeder kann ein Dichter sein. Spielerisch nähert er sich dem Phänomen: „Ich kokettiere damit, dass ich nicht erklären kann, was Poesie ist, aber es trotzdem spüren kann.“

Kürzlich war er bei den Drittklässlern in der Hohewartschule – es war bereits sein vierter Besuch an der Grundschule in Feuerbach: „Seid gegrüßt, ihr jungen Dichter“, ruft er den Kindern zu, bevor er sie bittet, mit ihm auf eine poetische Reise zu gehen. Seinen Morgengruß an die Drittklässler spricht er auf Arabisch: „Das kommt den Kindern spanisch vor“, sagt Fischer und schon steigt der Aufmerksamkeitspegel. Weiter geht die Reise, ab ins alte Griechenland. Die Kinder schließen die Augen und begegnen so einem antiken Philosophen namens Aristoteles. Der beantwortet die Frage nach dem Schönen mit einer Gegenfrage: „Was findest du selbst schön?“

Und schon haben die Kinder jede Menge Stoff für eigene Gedichte

Bei den Kindern sprudeln die Ideen: „Ich will den Kindern eine Tür öffnen. Es gibt Gedichte, die muss man nicht verstehen, die sind auf andere Art zugänglich.“ Nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl. Und schon haben die Kinder jede Menge Stoff für Gedichte: schimmernde Seifenblasen, eine Wolke am Himmel oder die bunten Blumen auf dem Feld. „Alles kann Poesie sein, es geht auch darum, den Blick für die kleinen Dinge zu schärfen“, sagt Fischer.

Schließlich machen sich die Kinder selbst ans Werk, suchen sich eigene Themen. Tim aus der Klasse 3a denkt vielleicht schon an das Mittagessen: „Spaghetti auf dem Teller. Esse ich immer schneller. Ich sage bitte sehr: Noch etwas mehr.“

Seine poetischen Reisen veranstaltet Fischer natürlich auch, um den sprachlichen Horizont der Kinder und Jugendlichen zu erweitern: Viele Kinder kämen in ihrer Alltagssprache mit 500 bis 600 Wörtern aus, sagt Fischer. Die Gedichte seiner Schüler sammelt er ein, macht daraus ein kleines Büchlein und gibt es den Nachwuchspoeten zurück als Erinnerung. Er tat sich als Schüler selbst schwer, den vermittelten Stoff zu behalten: „Ich hatte ein miserables Gedächtnis. Vielleicht bin ich deshalb Poet geworden“, erzählt er. „Eigentlich war es die Rebellion gegen die Vergesslichkeit“, die ihn zum Schreiben getrieben habe, berichtet er. Später begann er in Büchern die für ihn wichtigen Passagen zu unterstreichen. Gedichte, Sprüche und Epigramme markierte er mit bunten Markern und Stiften in der Hoffnung, dass sie dadurch in seiner Erinnerung nicht so schnell verblassen.

Literatur als Refugium und Rückzugsort

Harry Fischer kam als Dreijähriger aus der Nähe von Magdeburg nach Stuttgart: „Ich bin mit neun Geschwistern in einer Wohnung im Fasanenhof aufgewachsen“, berichtet er. Er habe nach einem Refugium gesucht, in das er sich zurückziehen konnte: „Das war die Welt der Bücher“, sagt der gelernte Industriekaufmann. In späteren Jahren studierte er zwei Semester Philosophie und Geschichte an der Universität in Tübingen.

Seit 15 Jahren geht Fischer regelmäßig in Schulen. Aber auch in Krankenhäusern war er schon zu Besuch, um dort die Patienten zu ermutigen, selbst einmal zum Stift zu greifen und Dinge, die sie bewegen, aufzuschreiben. In der Filderklinik sei er schon zwei Mal gewesen: „Die Beschäftigung mit dem Schreiben und der Poesie kann auch in schwierigen Lebensphasen helfen“, sagt Fischer.

Als seine Kinder noch klein waren, schauten sie ihm beim Schreiben zu und wollten es auch probieren und nachmachen. „So gedacht, So gemacht, So gelacht. Na, so was!“, reimte sein Jüngster als Sechsjähriger. Harry Fischer hat noch heutzutage seine helle Freude an dem Kurzgedicht.