In 30-jähriger Handarbeit hat der mittlerweile verstorbene Wolfgang Frey einen Nachbau der Stuttgarter City in nie gekannter Detailtreue geschaffen. Nun soll das Werk erstmals dauerhaft öffentlich gezeigt werden.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Auf der Friedrichstraße geht mal wieder nichts voran. Autos, Lastwagen und Busse stauen sich in beide Richtungen auf allen Fahrspuren. Die ampelgeregelte Kreuzung mit der Kronenstraße entpuppt sich einmal mehr als Nadelöhr. Die großen Verkehrsprobleme der Großstadt Stuttgart gibt es auch im Kleinen. Genau genommen im Maßstab 1:160. Den hat Wolfgang Frey gewählt, um einen Nachbau der Stuttgarter Innenstadt zu schaffen, der dem Betrachter teilweise die Sprache verschlägt.

 

Rainer Braun ist der neue Herr über diese Großstadt im Kleinen. Der Herrenberger Unternehmer hat das Modell, von dem im Internet immer wieder Bilder auftauchten, das aber nie dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich war, aus dem Nachlass des 2012 verstorbenen Erbauers erworben. Und es wahrscheinlich auf diesem Weg vor dem Verfall gerettet. „Das Modell hätte so keine zwei Jahre mehr überstanden. Es war fünf vor zwölf“, sagt Braun.

500 Stuttgarter Gebäude nachgebaut

Der drohende Verfall Stuttgarts im Kleinen ist den Umständen geschuldet. Zum einen lagerte das Bauwerk nun mehrere Jahre ohne weitere Pflegemaßnahmen in Räumen der Deutschen Bahn an einer Stuttgarter S-Bahn-Station. Zum anderen behalf sich Frey bei seinem Stuttgart im Kleinen mit allerlei Materialien, die man so nicht im Modellbau vermuten würde – und die nicht unbedingt zur dauerhaften Haltbarkeit der Gebäude und Landschaftsteile beitrugen. Letzteres war eine Notlösung, auf die sich Frey – im Brotberuf Fahrdienstleiter bei der Bahn – verlegen musste. Die Hersteller von Modellbahnzubehör haben zwar das eine oder andere Stuttgarter Gebäude, etwa die Berger Kirche, im Sortiment. Aber keinesfalls ganze Straßenzüge.

Frey aber hatte ganz offenkundig den festen Willen, nahe an der Wirklichkeit zu bleiben. 500 Gebäude aus der erweiterten Innenstadt hat er in drei Jahrzehnten nachgebaut. Insgesamt umfasst das Stadtmodell 180 Quadratmeter. Der Nachbau endet (oder beginnt, je nach Sichtweise) auf Höhe der Thouretstraße, einer Querspange zur Königstraße. Allein von dort bis zum Betriebswerk der Bahn am Rosenstein misst die Anlage stolze 19 Meter. Doch Freys Modellbauleidenschaft kannte offenbar wenig Grenzen. So reicht das Modell bis hinaus zum Bahnhof Bad Cannstatt, neben dem sich bereits der Nachbau des Cannstatter Carrés befindet, was einen Hinweis darauf gibt, zu welchem Zeitpunkt Frey in dieser Ecke Stuttgarts gewerkelt hat.

Den Ausgangspunkt freilich bildet der Hauptbahnhof und dessen direktes Umfeld. Frey begann 1982 mit seinen Arbeiten und konnte naturgemäß nur das abbilden, was er in der Realität vorfand. Und so hat der Modellbauer der Nachwelt ein Stück Stuttgart erhalten, wie es so heute nicht mehr existiert. Am Bahnhof stehen selbstredend noch die Seitenflügel – aber noch viel mehr als das. Am Kurt-Georg-Kiesinger-Platz, der damals noch gar nicht so hieß, erhebt sich das ockerfarbene Sparda-Gebäude an der Stelle, an der heute die Trutzburg der LBBW steht. Und dahinter ist vom Europaviertel keine Spur.

Stattdessen liegen feinsäuberlich parallel die Gleise des Güterbahnhofs – inklusive eines kleinen Schrottplatzes zwischen den Schienensträngen. Eine von Brauns Lieblingsszenen, denn sie zeigt die Detailverliebtheit von Wolfgang Frey. Die Autos konnte der zwar im Modellbauhandel erwerben – aber keinesfalls in einem schrottreifen Zustand. Der entstand erst unter Wolfgang Freys Händen.

Ausstellung soll im zweiten Halbjahr 2017 eröffnen

Die bislang im Verborgenen schlummernde Anlage soll nach Rainer Brauns Willen spätestens vom zweiten Halbjahr 2017 an der Öffentlichkeit zugänglich sein. Allerdings muss bis dahin noch eine Menge Arbeit erledigt werden. Das, was Braun derzeit in einem leer stehenden Geschäft in Herrenberg aufgebaut hat, bildet gerade einmal acht Prozent des Gesamtmodells. Der Rest muss in einzelnen Abschnitten ins Gäu gebracht werden. In Herrenberg hat sich Rainer Braun die Flächen eines Restaurants gesichert, das zum Jahresende seine Pforten schließt. Dort stehen 300 Quadratmeter zur Verfügung.

Ob sich auf dieser Fläche wirklich alles wird zeigen lassen, ist noch unklar. Braun muss Brandschutzauflagen erfüllen und will auch einen kleinen Gastro-Bereich anbieten. Der soll „Bundesbahnkantine Gleis 16“ heißen – nach jenem Betriebsrestaurant der Bahn im Südflügel des Hauptbahnhofs, in dem auch schon Rainer Braun als junger Mann gegessen ist. Der neue Besitzer des Stadtmodells hat bei der Bundesbahn gelernt. „Meinen Ausbildungsvertrag habe ich in der ehemaligen Bahndirektion an der Heilbronner Straße unterschrieben“, sagt er. Selbstredend gehört auch dieses Gebäude zum Modell.

Braun stammt aus einer Eisenbahnerfamilie. Sein Großvater und auch sein Vater arbeiteten bei dem Verkehrsunternehmen. Rainer Braun hat sich irgendwann von der DB verabschiedet und arbeitet heute als Unternehmens- und Organisationsberater. Einiges an Organisationstalent wird er auch benötigen, bis die Anlage an Ort und Stelle wieder zusammengesetzt ist. Und Fingerspitzengefühl. Denn die Gebäude sind nicht unbedingt auf Umzug getrimmt. Braun hat einen Teil der Anlage auf der Messe in Echterdingen gezeigt. Beim Transport haben der Kaufhof und das dazugehörige Parkhaus Schaden genommen.

Der soll natürlich behoben werden. Aber Braun möchte nicht, dass dem Gesamtmodell etwas von der Patina genommen wird, die es während der 30-jährigen Entstehung angenommen hat. Den nötigen dafür Sachverstand bringen die Mitglieder des Modelleisenbahnclubs Herrenberg und Gäu mit. Bei deren Ausstellung am 21. und 22. Januar in der Stadthalle Herrenberg ist zumindest das Bahnhofsmodell zu sehen. Weitere Umzüge sollen den Gebäuden nicht zugemutet werden – nur noch jener in das Restaurant, in dem die Schau unter dem Titel „Stellwerk S“ gezeigt werden soll. Selbstbewusst wirbt Braun mit dem „weltweit größten Nachbau einer Originallandschaft“. Ob der Superlativ berechtigt ist, lässt sich nicht überprüfen. Klar ist aber, dass Frey Großes vorhatte. In der Sammlung gibt es auch den Nachbau des Stuttgarter Westbahnhofs, der der Topgrafie entsprechend hoch über dem Rest der Anlage ruht.

Für den neuen Besitzer ist die Anlage „ein Kunstwerk“

Braun hofft auf Besucherandrang, kann aber nicht einschätzen, wie viele sich wirklich auf den Weg machen werden, um Klein-Stuttgart ausgerechnet in Herrenberg bewundern zu können. In den langen Verhandlungen mit den Hinterbliebenen des Erbauers spielte aber die Stadt Stuttgart – die immerhin gerade an einem Stadtmuseum baut – nach Brauns Angaben keine Rolle. Wie tief das Rathaus in das Stadtsäckel hätte greifen müssen, lässt Braun offen. Zum Preis der Anlage schweigt er eisern. Das sei auch Bestandteil des Kaufvertrags – und wohl auch kein Thema, mit dem sich Braun angesichts des erworbenen Schatzes beschäftigen möchte. „Das ist kein Modell, das ist ein Kunstwerk.“