Wer darf in Stuttgart wo und wie lang gratis sitzen? Die Diskussion über die Bänke auf der Königstraße hat in der Stadt eine Debatte um öffentlichen Raum ausgelöst.

Stuttgart - Sitzen ist in der Stadt zum Politikum geworden: Derzeit wird kontrovers diskutiert, dass die Stadt auf der Königstraße Sitze abschraubt, die von Obdachlosen belagert werden. Andere monieren, dass es generell zu wenige Sitzplätze gibt, dass der öffentliche Raum zu sehr durchkommerzialisiert sei und mobil eingeschränkte Menschen kaum berücksichtigt würden. Der Zoom auf die Innenstadt offenbart: Die unterschiedlichen Stadtbezirke haben unterschiedliche Probleme.

 

Obdachlose, Trinker oder Drogenabhängige in großen Gruppen sind eher ein Thema der Stadtmitte. Nicht, dass es beispielsweise im Westen nicht auch Gestrandete gäbe. Hier ist die Ecke am Bismarckplatz nahe der Elisabethenanlage zu nennen, wo sich Trinker und Drogenkranke treffen. „Aber die Konflikte halten sich in Grenzen. Es kommen nur wenige Beschwerden und die immer von denselben Leuten“, sagt Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle. In ein paar Jahren sei das Thema sowieso vom Tisch, denn die etwas abseits situierte Sitzgruppe werde dann ohnehin verschwinden: „Der Bismarckplatz wird im Rahmen von S 28 sowieso umgestaltet.“ Bis dahin, so Möhrle, müsse man die Trinker aushalten. „Sie gehören halt auch zum öffentlichen Raum.“

Trinker gehören zum Stadtbild

Für wesentlich wichtiger hält Möhrle die Frage nach Sitzgelegenheiten für ältere Leute in den Hanglagen. „Im oberen Bereich der Vogelsangstraße wollen wir zumindest Betonwürfel zum Ausruhen aufstellen.“ Auch entlang der Haupt- und Flanierrouten müssten Sitzgelegenheiten geschaffen werden. Der Architekt und Stadtplaner Raphael Dietz vom Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur an der Uni Stuttgart teilt Möhrles Meinung. Dietz hat die Parklet-Aktion diesen Sommer, bei der Parkplätze interimsweise umgenutzt wurden, koordiniert. Eine der vielen Erkenntnisse des Parklet-Experiments, das derzeit wissenschaftlich ausgewertet wird: „Sitzplätze ermöglichen es älteren Leuten Zwischenstationen auf ihrem Weg in die Stadt einzulegen. Mit diesen Pausen schaffen sie auch noch lange Strecken. Auf die Art bleibt ihre Mobilität länger erhalten.“ Dietz berichtet von zwei älteren Damen, die sich aus genau diesem Grund über das Parklet vor dem Plattsalat in der Gutenbergstraße so gefreut hatten. „Die beiden kamen fast jeden Tag zum Rasten vorbei!“

Nur auf den ersten Blick nützten öffentliche Sitzmöglichkeiten zwar den Bürgern, bescherten der Stadt aber lediglich Mühen und Kosten. Man müsse weiter denken, rät Dietz: „Sitzgelegenheiten machen eine Stadt attraktiver und verbessern den Ruf.“ Bänke seien letztlich eine Imagefrage.

Manchmal ist auch die Stadt Willens, mehr Bänke aufzustellen, aber die Anwohner sperren sich. Der Jakob-Holzinger-Gasse am Ostendplatz im Stuttgarter Osten ist so ein Beispiel. Auf den Sitzbänken an dem kleinen Plätzchen zwischen BW-Bank, Rewe, Apotheke und anderen Geschäften, also mitten im stark frequentierten Einkaufsmittelpunkt des Ostens, hatte sich die Ostend-Trinkerszene niedergelassen. Die nicht ganz kleine Gruppe hinterließ Spuren aller Art, manchmal auch direkt vor den Eingängen der Geschäfte. Als auch der Einsatz von Sozialarbeitern wenig an der Gesamtsituation änderte, wurden die Sitzmöglichkeiten dort eingeschränkt. Mit der Verlegung der Stadtbahnhaltestelle Ostendplatz und der damit verbundenen Verlagerung des Toilettenhäuschens auf den Mittelstreifen der Ostendstraße wurde das Problem für die Geschäftsleute und Passanten in gewisser Weise gelöst: Die Trinkerszene zog auf die Sitzbänke vor dem Toilettenhäuschen um, seither trifft sich die Gruppe dort.

Betonklötze zum Ausruhen

Wenn die Stadtplaner einzelne Quartiere oder Plätze im Osten umgestalten oder verschönern wollen, sind Sitzmöglichkeiten regelmäßig ein Streitpunkt. Beispiel untere Talstraße im Bereich der Einmündung der Haußmann- und Hornbergstraße. Im Zuge der Aufwertung und Verschönerung der bislang tristen Ost-Zufahrt zur Innenstadt wollten die Stadtplaner – im Rahmen des Sanierungsgebiets – dort nicht nur die inzwischen realisierte platzähnliche Aufweitung, sondern auch kleine Grünflächen vor den Häusern und solche Betonwürfel, wie sie auch im Westen im Gespräch sind. Die Anwohner verhinderten beides: Die Grünflächen, weil dadurch einige Parkplätze verloren gegangen wären; die Betonwürfel, weil sie befürchteten, dass der Platz dort dann zum Treffpunkt wahlweise von Fußballfans bei VfB-Heimspielen oder von Jugendlichen, die die Nachtruhe stören, werden könnte. Und auch bei der geplanten Umgestaltung des Bessarabienplatzes – siehe Seite IV dieser Ausgabe – gibt es eine ähnliche Diskussion.