Perspektiven des Exils: In diesem Jahr gibt es mit Shida Bazyars Generationenporträt „Nachts ist es leise in Teheran“ eine Neuauflage des Lesefestivals „Stuttgart liest ein Buch“.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Wie sollte ein Buch beschaffen sein, das man einer ganzen Stadt ans Herz legen würde? Literarisch wertvoll natürlich, gesellschaftlich oder politisch relevant, nicht zu abgehoben, nicht zu seicht, spannend wenn möglich, aber auch ergiebig genug, um damit eine ganze Reihe von Veranstaltungen bestreiten zu können. Vor allem aber sollte es den Leuten nahekommen, sie aber zugleich über die Grenzen ihrer Alltagswelt hinaus tragen. All diese Eigenschaften unter einen Hut zu bringen versuchen seit einigen Jahren in losem Rhythmus die Veranstalter des Festivals „Stuttgart liest ein Buch“, die sich hinter der Initiatorin und treibenden Kraft Astrid Braun, der Chefin des Schriftstellerhauses, sammeln.

 

Die Stuttgarter Kessel-, Halbhöhen- und Hügelbewohner wurden dank dieses Engagements 2012 mit Margriet de Moors Roman „Sturmflut“ beispielsweise zu Kennern maritimer und menschlicher Extremzustände. Zwei Jahre später erweiterte Judith Schalanskys „Hals der Giraffe“ den evolutionsbiologischen Horizont der städtischen Leser um Wendehälse und Starrköpfe. Diesmal schweift der Blick in den Iran, denn im Mittelpunkt des vom 17. bis 27. Oktober währenden Lesefestes steht der Roman „Nachts ist es leise in Teheran“ von Shida Bazyar.

Stationen einer Familie zwischen Revolution, Flucht und Ankunft

Die 28-jährige, in Deutschland geborene Autorin stammt aus einer Exilfamilie. Ihre Eltern gehörten zum kommunistischen Widerstand im Iran und flüchteten acht Jahre nach der Revolution nach Deutschland. Shida Bazyars bereits mehrfach ausgezeichnetes Romandebüt hat seine Stuttgarter Feuerprobe im letzten Jahr gleich zweifach vor unterschiedlichem Publikum bestanden, vor den jungen Leuten der WG-Lesungen der Reihe Zwischenmiete und vor den vergleichsweise gesetzteren Zuhörern von Literatur im Salon, einer ebenfalls von Astrid Braun kuratierten Veranstaltungsfolge.

Die Bewährung vor unterschiedlichen Milieus und Altersklassen ist in diesem Buch nichts Äußerliches, denn Bazyar lässt in „Nachts ist es leise in Teheran“ unterschiedliche Stimmen quer durch die Generationen zu Wort kommen, die die Stationen einer Familie zwischen Revolution, Flucht und Ankunft in einem neuen Land jeweils aus ihrer Perspektive erzählen.

So fern Teheran von Stuttgart liegt – ferner als die holländische Bucht und die ostdeutsche Provinz, die Handlungsorte der beiden letzten „Stuttgart liest“-Romane –, so sehr ist uns nicht erst durch die Flüchtlingsdebatte das thematische Feld, das der Roman eröffnet, auf den Leib gerückt: kulturelle Grenzgänge, Erfahrungen von Desintegration und Integration, alte und neue Heimaten – all dies, was für gewöhnlich gerne unter den Begriffsteppich des Migrationshintergrunds gekehrt wird. Und doch betont Astrid Braun, dass bei der Wahl, an der diesmal eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der einschlägigen Institutionen der Stadt beteiligt war, neben der aktuellen Anschlussfähigkeit vor allem die literarische Eigenart den Ausschlag gegeben habe. „Shida Bazyar ist eine Schriftstellerin und keine Aktivistin, und sie greift Fragen, die uns alle angehen, mit Mitteln auf, wie sie eben nur der Literatur zu Gebote stehen.“

Von der Erinnerungskultur bis zur Zupftechnik der Augenbrauen

Bei ihren Lesungen hat sie die Absolventin des Hildesheimer Instituts für Literarisches Schreiben als eine frische, unverbrauchte Persönlichkeit erlebt, klug und sensibel. Während des Festivals wird sie in Stuttgart präsent sein. Gute Voraussetzungen also, mit dem umfangreichen Programm vielleicht noch mehr und sichtbarer in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken, als dies bei den ersten Ausgaben von „Stuttgart liest ein Buch“ der Fall war.

Von der Erinnerungskultur über iranische Landeskunde und persische Küche bis hin zur Zupftechnik von Augenbrauen, wie sie in Teheran gepflegt wird, spannt sich ein bunter Bogen von Veranstaltungen. Ab dem 6. September wird eine Sonderausgabe von Bazyars Roman in allen Stuttgarter Buchhandlungen zu erhalten sein.