Das umkämpfte Zweckentfremdungsverbot wird aller Voraussicht nach in der Landeshauptstadt eingeführt. Doch das Thema Flüchtlinge spielt in der Debatte plötzlich keine Rolle mehr.

Stuttgart - Das äußerst umkämpfte Zweckentfremdungsverbot wird aller Voraussicht nach in der Landeshauptstadt eingeführt. Im Wirtschaftsausschuss hat sich eine Mehrheit der Gemeinderäte für das Gesetz ausgesprochen. Dabei hat sich jedoch der Tonfall der Diskussion auffallend verändert. Der starke Zuzug von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten war Ende September dieses Jahres noch eines der Hauptargumente für den Vorstoß von OB Fritz Kuhn (Grüne) gewesen. Am Freitag spielte dieses Argument jedoch kaum mehr eine Rolle.

 

Kuhn kam an dem Tag trotz einer noch hörbaren Erkältung in den Wirtschaftsausschuss, wo erstmals über die Einführung des Zweckentfremdungsverbots abgestimmt wurde. Er bezifferte das Potenzial an leer stehenden Wohnungen, die mit Hilfe des Gesetzes „für den Wohnungsmarkt aktiviert“ werden sollen, mit 1300 bis 4100. Das Potenzial bei den illegal betriebenen Ferienwohnungen benannte der Leiter der Abteilung Wohnungswesen, Erhard Brändle, mit lediglich 300. „Wir sehen aber, dass dieser Bereich stark wächst“, fügte Brändle hinzu. „Der Oberbürgermeister und ich rechnen mit einigen Hundert Wohnungen pro Jahr“, definierte Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) die Erwartung der Rathausspitze.

Die CDU lehnt das Gesetz ab

Als Kuhn im September erklärte, er wolle das Zweckentfremdungsverbot einführen, hatte es heftigen Streit gegeben. Speziell die CDU hatte den Vorstoß des OB als „eine Art Enteignung“ bezeichnet. Am Freitag sagte CDU-Stadtrat Joachim Rudolf nun: „Wir werden die Satzung nicht unterstützen.“ Statt Eigentümer zur Vermietung zu zwingen, solle mehr gebaut werden. „Wir müssen dabei über neue Bauflächen nachdenken, vielleicht auch auf der grünen Wiese“, erklärte Rudolf.

Silvia Fischer von den Grünen sagte: „Es war richtig, zuerst mit einer Kampagne auf die Eigentümer zuzugehen.“ Da dies aber nicht den gewünschten Erfolg gebracht habe, sei es nun an der Zeit, das Zweckentfremdungsverbot einzuführen.

„Die Zahlen sprechen eine klare Sprache“, begründete der Stadtrat der SPD, Udo Lutz, seine Unterstützung. Auch SÖS-Linke-Plus-Stadtrat Christoph Ozasek erklärte, seine Fraktion wolle dem Vorstoß von OB Kuhn folgen. Ozasek kritisierte aber: „Die Stadt hat zwei Jahrzehnte lang in der Wohnungspolitik versagt.“ Es sei daher wichtig, auf den Weg von Wien einzuschwenken und Boden sowie Wohnungen anzukaufen. Die AfD, die Freien Wähler und die FDP lehnten das Zweckentfremdungsverbot ab. Am Ende stimmten zehn Ratsmitglieder für die Einführung und acht dagegen. Die Satzung soll Anfang Dezember im Gemeinderat endgültig beschlossen werden und von Januar an gelten.

Der OB gibt eine Grundsatzerklärung ab

Der OB nutzte die Gelegenheit, um eine kurze Grundsatzerklärung zum Thema Wohnen abzugeben. „Ich will mein Ziel von 600 geförderten neuen Wohnungen pro Jahr durchkriegen“, sagte Kuhn. Auch das Bündnis für Wohnen sei auf einem guten Weg, so der OB. Im ersten Quartal des kommenden Jahres wolle er eine gemeinsame Verpflichtung von Stadt und Bauwirtschaft präsentieren, so sein erklärtes Ziel. Auch eine Diskussion um die Größe der Stadt müsse zu diesem Zeitpunkt geführt werden, sagte Kuhn weiter.

Zudem appellierte der OB an die Region und speziell an den Vorsitzenden des Regionalverbands, Thomas Bopp (CDU). „Es kann nicht sein, dass nur in Stuttgart geförderte Wohnungen gebaut werden und in der Region nicht“, erklärte der Oberbürgermeister. In diesem Fall sei eine von vielen Seiten bereits geforderte Internationale Bauausstellung in Zusammenarbeit mit der Region nicht sinnvoll, erklärte Fritz Kuhn.

Städtische Wohnungen stehen leer

„Es ist wichtig, dass mehr bezahlbare Wohnungen entstehen“, so der OB. Die Kaltmieten in der Stadt seien zwischen dem Jahr 2000 und 2014 um mehr als 46 Prozent gestiegen. Die städtische Notfallkartei, in der die Menschen registriert sind, die dringend eine Sozialwohnung benötigen, zähle inzwischen 4000 Personen. „Das sind 39 Prozent mehr als noch im Jahr 2010“, sagte der Oberbürgermeister.

Auf das von der Eigentümerlobby Haus und Grund vorgebrachte Argument, die Stadt lasse selbst zu viele Wohnungen leer stehen, entgegnete Föll mit einem ausgefeilten Zahlenwerk: „Am Stichtag des Zenzus im Jahr 2011 standen 938 Wohnungen leer.“ 816 seien im Bestand der städtischen Wohnbautochter SWSG. „In 358 Fällen gab es zum Stichtag einen Mieterwechsel, 417 wurden saniert“, so Föll weiter. Am Ende kam Föll auf eine Zahl von 14 städtischen Wohnungen, die 2011 leer standen. „Auch davon sind heute fast alle vermietet“, so der Finanzbürgermeister.