Vier Experten befassen sich auf dem Podium im Institut für Auslandsbeziehungen mit dem Zusammenhang von Weinkultur und Globalisierung.

S-Mitte - Einmal im Jahr finden sich die hiesigen Kulturinstitute aus Frankreich, Italien und Ungarn unterm Dach des Instituts für Auslandsbeziehungen (Ifa) zu einer Veranstaltung zusammen, „um die Bindungen zwischen unseren Kulturen zu vertiefen“, wie Dezsö Szabó, der Leiter des Ungarischen Kulturinstitutes, zur Begrüßung erklärte. Nach der „Schicksalswahl in Frankreich, die für Europa glimpflich ausgegangen ist“, stelle sich die Frage, „ob der Wein etwas zum europäischen Zusammenhalt beitragen kann oder ob sich auch im Weinbau nationale Abschottungstendenzen zeigen“.

 

Wurzeln der Kultur

Philippe Blanck, der elsässische Winzer und Vizepräsident des Verbundes der bäuerlichen Weinbauern Frankreichs, stellte gleich klar, dass sich „Wein und Kultur in den letzten 30 Jahren deutlich verändert“ hätten. Blanck setzte eine Marke, auf die es im Laufe der zwei Stunden immer wieder zulief: „Große Weine machen Leute, die Kultur haben. Wein ist eine subtile Verbindung zwischen Intellekt, Können und Gefühl.“ Den Dreiklang von Brot, Käse und Wein verfolgte er bis in biblische Wurzeln und meinte: „Das ist die Basis unserer europäischen Kultur, und auf der ganzen Welt ist man davon fasziniert.“

Der Ungarn-Experte Kristian Kielmayer rief die Weingötter Bacchus und Dionysos auf und hob zu einer Eloge auf den deutschen Wein an. Der habe sich „die letzten Jahrzehnte dermaßen gesteigert“, das etwa der „typisch deutsche Rießling als globale Marke“ präsent sei. Er verwies darauf, dass das Tokayer Weingebiet Kulturerbe der Unesco sei und „Ungarn den Wein mit seiner Geschichte verbindet“.

Wein – gehandelt wie Aktien

Aber wird mit der Globalisierung des Weintrinkens auch Kultur vermittelt? Etwa in China, dem großen neuen Markt? Blanck bestritt das vehement: „Sie kopieren den Wein und auch die Kultur wird zur Kopie, der Wein zum Statussymbol.“ Hier machte der Direktor des Italienzentrums am Romanischen Seminar der Uni Heidelberg, Edgar Radtke eine „Globalisierungsgefahr“ aus und zitierte einen toskanischen Winzer: „Es gibt keine Weine mehr, sondern nur noch deren Namen.“ Es würden standardisierte Marken produziert für Supermärkte, wo auch hierzulande über die Hälfte des Weines gekauft werde: „Das ist nur noch Folklore, man erlebt keine Überraschungen mehr.“

Weinbau sei zur Industrie geworden, pflichtet Blanck bei, 80 Prozent betrage der Anteil der so produzierten Menge. Radtke fügte hinzu: „Es lohnt sich nicht, gegen die Globalisierung zu kämpfen, sie ist einfach da.“ Und mit einem Aspekt auch in der Gegenrichtung: „Wenn Chinesen Weingüter aufkaufen, wenn ein Mann 80 Châteaux und Höfe im Bordeaux besitzt, dann ist das der Ausverkauf einer Kultur. Das wird gehandelt wie Aktien“, stellte Blanck fest und fragte etwas ratlos: „Wie kann das sein?“

Erzählung von Europa

Moderator Sebastian Körber, stellvertretender Generalsekretär des Ifa, wollte wissen, wie der „steigende Bedarf nach lokaler Produktion“ zu sehen sei. „Herkunft ist wichtig und Authentizität. Wir wollen etwas Typisches haben“, meinte Radtke. „Für uns Winzer ist wichtig“, so Black, „ wo wir herkommen, wer wir sind. Globalisierung ist ein Problem, aber das Lokale ist in Arbeit. Wir sind ein bisschen bewusster in Europa.“ Das leite eine ganze Generation junger Winzer an. Und wie von Bacchus erleuchtet schloss Blanck: „Wein bringt Flüssigkeit in die Kontakte. Wein ist so ein kraftvolles Symbol unserer Kultur, die Hefe von Europa! Brot, Käse, Schinken, Wein. Das ist der Kern vom Allerbesten, das berührt und beglückt die Menschen. Das ist Teil unserer Kraft. Ich habe viel Hoffnung für Europa.“

Voilà, da war sie, die „neue Erzählung von Europa“, die krisengeschüttelte Politiker gerne fordern! Eine Wahrheit, die aus dem Wein kommt. Überzeugt, leidenschaftlich, genussvoll. Dieser Verflüssigung des Denkens im Gespräch folgte eine Bekräftigung im praktischen Nachspiel, bei dem Chianti und Bergerac, Zweigelt aus Ungarn oder Weißweine aus Venetien und Sardinien, „Geografia tipico“, europäische Einigkeit als fraglose Selbstverständlichkeit erleben ließen.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.100-jahre-ifa-in-stuttgart-eine-elementarschule-der-kultur.b00dbb5c-046e-431b-bc8f-33c3cf32d9bd.html

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.institut-fuer-auslandsbeziehungen-ein-museumsmann-von-welt-wird-praesident.2da197a5-aca9-4486-9f12-9cd65a4bbdc3.html