Johanna Schnaithmann ist seit fast 30 Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe aktiv.

Hedelfingen -

 

Was es heißt, fremd zu sein, das hat Johanna Schnaithmann in den 1960-er Jahren selbst erlebt: in Wien, wo sie mit ihrem dort studierenden Mann lebte: „Wir waren Ausländer, und es war eine große Erleichterung, freundliche Nachbarn zu finden.“ Die Erfahrung habe sie motiviert, sich hier um Flüchtlinge zu kümmern, verbunden mit einer christlichen Grundhaltung, nach dem Imperativ der Bibel: „Brich mit dem Hungrigen dein Brot, sprich mit dem Sprachlosen ein Wort“. Noch „ganz privat“ hatte sie sich von 1987 an um Spätaussiedler aus der kollabierten Sowjetunion gekümmert, auch um geflohene DDR-Bürger: „Da gingen gleich alle Schleusen auf.“ Und 1989 war sie dann vom Sozialamt gefragt worden, ob sie nicht ehrenamtlich in der Flüchtlingsunterkunft in der Tiefenbachstraße mithelfen könne. Fünf Jahre später gründete sie „mit ein paar Leuten“ den immer noch existierenden Freundeskreis für Flüchtlinge Rohracker/Frauenkopf.

Zum Gespräch sitzt sie in Rohracker im Räumchen der Sozialarbeiterin. Weil die krank ist, wird Schnaithmann sogleich als Ersatz in Anspruch genommen: von einem jungen Mann, der „in einen Handy-Vertrag reingerutscht ist“. Hilfe ist immer konkret, und das ist auch Johanna Schnaithmanns eigentliches Thema, ihr zentrales Anliegen. So erzählt sie, wie sie „ganz am Anfang“, 1989, zwei Roma-Frauen unterstützt hat: „Ich habe beim Robert-Bosch-Krankenhaus nach Arbeit angefragt. Eine Frau wurde in den Küchen-, die andere in den Reinigungsdienst übernommen. Und beide arbeiten noch jetzt da oben!“

Ein Satz, der zum Leitmotiv dieses Gespräches wird, denn am liebsten erzählt Schnaithmann, lange auch Sprecherin des Stuttgarter Arbeitskreises Asyl, vom Gelingen. Etwa von einer Frau aus Afghanistan, die sie unter ihre „Fittiche genommen“ hat: „Sie hatte neun Semester Medizin studiert in Kabul, was hier wenigstens als Mittlere Reife anerkannt wurde. Die Frau hat in Tübingen als MTA ihren Weg gemacht.“ Oder von zwei Brüdern aus dem Iran: „Beide in Lohn und Brot. Einer als Eurythmie-Lehrer, der andere als Physiotherapeut.“ Sie fügt hinzu: „Alleinstehende junge Männer, die niemand will.“

So reiht sich Geschichte an Geschichte, und wenn sie dabei ein dickes Album mit Erinnerungsfotos durchblättert, ließe sich daraus eine lange Erzählung machen. Auch mit herben Zwischentönen. Etwa, wenn sie von Menschen spricht, die im Zuge des Jugoslawien-Krieges im Stadtbezirk gestrandet waren: „Später wurden die meisten gnadenlos zurückgeschickt. So ein 18-Jähriger, der an der Steinbergschule sogar einen Sozialpreis bekommen hatte. Da waren viele, die auch hier etwas geworden wären.“ Zwischendurch gab es auch mal „einen Aufstand gegen Abschiebung“, Familien „für die sich Rohracker sehr verkämpft hat“, wie Schnaithmann betont. Etwa für eine Familie aus Vietnam. Mit Erfolg: „Eine Tochter steht heute mit ihrem Namen im Firmenschild eines Friseursalons in Untertürkheim.“ Gelegentlich hat der Freundeskreis Abgeschobenen geholfen, im Herkunftsland wieder Fuß zu fassen, vorwiegend jungen Leuten, die für Ausbildung und Studium finanziell unterstützt wurden.

Und heute? „Ja, es gibt wieder viel zu tun“, wobei Johanna Schnaithmann gleich wieder aufs Gelingen kommt, aber auch nicht der Frage nach „geänderten Vorzeichen“ in der Gesellschaft ausweicht: „Die Tendenz zur Abschottung, auch Hass, machen mir Sorgen. Jeder Flüchtling hat ein eigenes Schicksal! Aber ich kann nicht für alle die Hand ins Feuer legen. Es gibt nicht nur Lichtgestalten. Ich bin nicht dagegen, wenn die abgeschoben werde. Wir sind nicht naiv, wir schauen genau hin. Und mir ist auch klar, dass Deutschland nicht jedes Jahr eine neue Million an Flüchtlingen beglücken kann. Aber wir kümmern uns um die Menschen hier vor Ort, direkt vor unserer Haustüre.“ Das Wir, das ist ein Kreis von 30 Leuten, die „irgendwas machen“: Socken stricken für den Basar, zum Arzt oder zu Behörden begleiten. Kindern bei den Hausaufgaben helfen, Sprachkurse geben: „Auch ein freundliches Wort, ein freundliches Gesicht ist ein Beitrag. Der kostet nichts und schafft eine gute Atmosphäre.“ Zum Wir gehört aber auch „unser Netzwerk“: zum Helferkreis in der Hedelfinger Halle, zum Viehwasen in Wangen, nach Obertürkheim. Und schon wieder das Gelingen: „Hier ist ein Familie aus Afghanistan, die ist sensationell. Die Mutter Ingenieurin, der Vater Buchhändler, die Kinder spitze im Gymnasium. Die wollen Fuß fassen, und die haben den Grips dazu. Man muss ihnen nur Zeit lassen.“ Übrigens: Johanna Schnaithmann hat 2015 das Bundesverdienstkreuz bekommen: „für langen Atem im Ehrenamt“.