Weil eine Unterkunft an der Kameralamtsstraße saniert werden muss, werden Flüchtlinge ausquartiert.

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Stuttgart-Stammheim - Im Gebäude 3 an der Kameralamtsstraße 69B hängt der Haussegen schief. Rund 50 Bewohner der Flüchtlingsunterkunft sollen ab Donnerstag, 9. November, 8 Uhr, ausziehen. Ihr neues Zuhause wird vorübergehend die Unterkunft an der Tunzhofer Straße 12 sein, dem ehemaligen Bürgerhospital. Marco-Oliver Luz vom Sozialamt hat die Bewohner mit einer Woche Vorlauf in einem Schreiben über die „vorübergehende Verlegung“ informiert. Der Grund für die Maßnahme: Wasserschäden im Stammheimer Gebäude. Seit Februar sind Duschen kaputt, mittlerweile sind es fünf von acht. Der Umzug sei unerlässlich, da „wir Ihnen auf Grund des Sanierungsumfangs nicht zumuten können, in der Baustelle wohnen zu bleiben“, schreibt Luz. Ein Verbleib im Gebäude sei nicht möglich. Er betone aber den „vorläufigen Charakter“ des Umzuges. „Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten werden Sie Ihre gewohnten Zimmer in der Kameralamtsstraße 69B wieder beziehen können.“

 

Freundeskreis möchte, dass Rücksicht auf die Flüchtlinge genommen wird

Bei Bewohnern und Mitgliedern der Flüchtlingsinitiative „Stammheim hilft!“ hat der kurzfristig angekündigte Zwangsumzug für reichlich Unmut gesorgt. „Diese Menschen, unsere neuen Nachbarn und Freunde, sollen behandelt werden wie Bürger zweiter Klasse“, schreiben Gerald und Gabi Birkenstock auch im Namen anderer Mitglieder der Initiative an Luz. „Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihnen Ihr Vermieter unvermittelt eine Mitteilung schickt, dass Sie aus Ihrer Mietwohnung für eine unbestimmte Zeit ausziehen sollen? Ohne dass eine lebensbedrohliche Situation bestehen würde! Wir sind uns sicher, Sie würden sich mit Händen und Füßen wehren und beteuern, dass sie lieber bereit wären, während der Renovierung in der Wohnung zu bleiben, anstatt woanders leben zu müssen.“ Mehr als 70 hilfsbedürftige Personen auf unbestimmte Zeit ohne Vorwarnung aus der Wohnung auszuquartieren, sei unsozial. Dies geschehe ohne Rücksicht auf deren Lebensumstände, deren errungene Integrationsleistungen, es trete das Engagement der Ehrenamtlichen mit Füßen. Unter den Bewohnern seien sechs Familien, darunter sieben Schulkinder, wovon vier in die Grundschule gingen, drei Kindergartenkinder seien dabei und vier schwangere Frauen, wovon eine in der Auszugswoche ihr Kind erwarte. Das Amt nehme keine „Rücksicht darauf, dass die Flüchtlinge Panik haben, wenn sie an die ghetto-ähnlichen Zustände an der Tunzhofer Straße nur denken müssen.“ Auch darauf, dass die meisten noch unter den Traumata des Terrors und der Lebensgefahr während der Flucht litten, werde keine Rücksicht genommen. „Mit der von Ihnen geplanten Maßnahme wird das Gefühl, endlich sicher zu sein, wieder zunichte gemacht“, schreibt das Stammheimer Ehepaar. „Gerade entstehendes Vertrauen ins Leben wird wieder zertrampelt.“ Als Lösung schlagen sie unter anderem vor, dass die Geflüchteten selbst entscheiden, ob sie trotz Baulärm und Trocknungsgeräten weiter dort wohnen wollen oder nicht. „Sicherlich wird ein Teil darauf verzichten wollen und ins Bürgerhospital umziehen. Die restlichen wollen es wagen. Lassen wir es zu.“ Außerdem solle die Maßnahme besser geplant werden: Vorbereitung und Ausschreibung zur Reparatur könnten erfolgen, während die Bewohner noch dort wohnen. Und die Reparatur könne in so kurzer Zeit wie möglich und in festgesetzter Zeit durchgeführt werden. „Beziehen Sie die Betroffenen in die Entscheidung mit ein!“ Falls all das nicht möglich sei, sollten die „Familien in frei stehende Wohnungen in Stammheim einquartiert werden – die gibt es!“ Davon sind Birkenstocks überzeugt.

Die Bezirksvorsteherin hofft auf eine schnelle Sanierung

Bezirksvorsteherin Susanne Korge kennt die Hintergründe der Sanierungsmaßnahme: „Es wurde geprüft, ob die Unterkunft im laufenden Betrieb saniert werden kann, doch das ist leider nicht möglich – es würde länger dauern, und es würde teurer“, sagt sie. „Außerdem wäre es für die Bewohner unzumutbar, weil oft Strom und Wasser abgestellt werden, das betrifft ja auch die Küche.“ Zudem seien die Trocknungsgeräte im 24-Stunden-Einsatz. Dazu müssten die Zimmer leer sein, auch die Möbel würden ausgeräumt. „Die Sanierung wird sich über Monate hinziehen, da geht es nicht nur um ein paar Tage oder Wochen.“ Immerhin: Man wolle versuchen, für Härtefälle Lösungen in den Nachbargebäuden zu finden. „Durch Nachverdichtung in der Unterkunft, können einige Bewohner in Stammheim bleiben – die Arbeiterwohlfahrt und das Belegungsmanagement des Sozialamts schauen, wer bleiben kann, aber die Kapazitäten sind begrenzt.“ Für alle Bewohner, die umziehen, gebe es eine Rückkehrgarantie: „Wer will, kann zurück nach Stammheim“, sagt Korge. Schließlich müsse der Standort Tunzhofer Straße im Sommer 2018 ohnehin geräumt werden. Sie finde es schön, dass sich der Freundeskreis „Stammheim hilft!“ für die Bewohner einsetze, allerdings sei die Kommunikation zwischen Ämtern und Ehrenamtlichen etwas auf der Strecke geblieben. „Ich möchte nicht verkennen, dass die Arbeiten mit Schwierigkeiten verbunden sind und dass die Information kurzfristig war – aber wir, und auch der Bezirksbeirat, haben Druck gemacht, damit es mit den Reparaturen möglichst schnell geht, und jetzt sind wir froh, dass es mit der Sanierung bald klappt“, sagt Korge.

(Anmerkung der Redaktion: Kurz darauf wurde ein Kompromiss gefunden, mehr lesen Sie unter diesem Link).