In mehreren U-18-Wahllokalen konnten Kinder und Jugendliche probehalber wählen. Die Ergebnisse sind bereits ausgezählt.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Mit den Linken eine Übereinstimmung von 70 Prozent – das hatte sie nicht erwartet. Aber so lautet das Ergebnis, das der Wahl-O-Mat für sie ausgespuckt hat. „Die Partei hatte ich bis dahin gar nicht auf dem Schirm, die muss ich mir jetzt genauer ansehen“, sagt Sandy Kranz. Sie ist 17 Jahre alt und darf noch gar nicht an die Urne. Aber jetzt hat sie bei der U-18-Wahl beim Internationalen Bund (IB) in der Hauptstätter Straße schon mal die Generalprobe für die nächste Wahl absolviert und sich vorab beim analogen Wahl-O-Mat selbst auf den politischen Zahn gefühlt. Die junge Frau nimmt das Wählen sehr ernst: „Das betrifft mich doch! Wer nicht hingeht, sollte sich auch hinterher nicht beklagen.“ Taiba Faiz, die im gleichen Alter ist und ebenfalls ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ableistet, spitzt noch zu: „Man sollte wählen gehen, wenn man nicht will, dass die AfD ihre Ziele durchsetzt.“

 

Kinder und Jugendliche ernst nehmen

In der Stuttgarter Innenstadt gibt es gut eine Hand voll U-18-Wahllokale, die von unterschiedlichen Akteuren wie Jugendhäusern betrieben werden. Das Lokal in der Hauptstätter Straße gehört zum Stadtteilprojekt „Kulturen gemeinsam leben“, des IB. Hier hat die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg ihren analogen Wahl-O-Mat bereitgestellt. Er funktioniert im Grunde wie sein digitales Pendant, nur dass die Teilnehmer hier miteinander ins Gespräch kommen und sehen, wie die anderen sich entscheiden. Den ganzen Tag über trudeln grüppchenweise junge Leute ein. Meist diskutieren sie vorm Wahl-O-Mat, bevor sie in den Wahlkabinen verschwinden. Eine Schulklasse aus Vaihingen hält sich länger an der These auf, dass Flüchtlingen die Zuschüsse gekürzt werden sollen. Finden alle blöd – erst mal. Bis ein Mitschüler sie auf eine Feinheit hinweist: „Hey, das steht auch, dass das nur gilt, wenn die Leute sich nicht integrieren wollen.“ Gemurmel, erneute Debatte.

„In erster Linie ist U 18 ein Projekt der politischen Bildung. Jungen Menschen die Themen Politik und Wahlen näherbringen, heißt gleichzeitig, dass die Öffentlichkeit dafür sensibilisiert wird, dass Kinder und Jugendliche eine Meinung und eine Stimme haben“, schreibt Daniel Link, Sozialraummanager beim Kugel-Projekt. „Kinder und Jugendliche sind vollwertiger Teil unserer Gesellschaft und ihre Themen sollten gehört und einbezogen werden. Zumal es langfristig um ihre Zukunft geht.“

Die beiden FSJlerinnen Jana Ade und Meganne Tchoffo finden das Alter bei einer Wahl gar nicht so entscheidend. Wichtiger sei, dass die Leute informiert seien, bevor sie ihre Stimme abgeben. Andere aus ihrer Gruppe, meinen schon, dass man eine gewisse Reife mitbringen sollte, um die Reichweite seiner Wahlentscheidung überblicken zu können. Eine kleine Diskussion entspinnt sich, in deren Verlauf jemand sagt: „Man sollte eine Informationspflicht für alle einführen, die wählen wollen!“

Teufelskreis der Politikverdrossenheit

Harald Barrios, Gemeinschaftslehrer am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, betritt mit seiner Klasse das U-18-Wahlbüro. Das Interesse an prinzipiellen Fragen zum menschlichen Miteinander keime erst in der Pubertät auf, so die Erfahrung des Pädagogen. Die U-18-Wahl hält er für eine wichtige Sache. „Wenn junge Leute sich nicht äußern, können die Parteien sie auch nicht abholen, wo sie stehen.“ Die Älteren hätten politisches Übergewicht – schon demografisch, aber auch, weil sie von jeher politisch interessiert seien. Wählen gehen sei eine bürgerliche Sitte wie der Sonntagsbraten. „Aber junge Leute hinterfragen alles. Zur Wahl zu gehen gehört für diese Generation nicht automatisch dazu. Sie empfindet da keinen moralischen Zwang mehr.“ So könne ein regelrechter „Teufelskreis“ entstehen, meint der Gemeinschaftslehrer: Die Parteien richten sich nach den Älteren, weil diese das Wahlergebnis bestimmen. Und die jüngeren wenden sich von der Politik ab, weil ihre Interessen zu wenig berücksichtigt werden.

An diesem U-18-Wahltag an der Hauptstätter Straße trifft man aber junge Leute, die so gar nicht politikverdrossen sind. Sie scheinen sogar regelrecht heiß zu sein auf ihre nächste, echte Wahl. Auch die Entwicklung der U-18-Wahl lässt nicht auf Ermüdungserscheinungen schließen: Bei der ersten U18-Wahl im Jahr 1996 gab es ein einziges Wahllokal. Bei der Bundestagswahl 2013 gingen knapp 200 000 Kinder und Jugendliche in über 1500 Wahllokalen im ganzen Bundesgebiet wählen. Am vergangenen Freitag gaben bundesweit fast 220 000 Kinder und Jugendliche in mehr als 1660 Wahllokalen ihre Stimmen ab.

So haben die Jungen gewählt

Die Wahlkreise sind bei U-18-Wahl, die vom Deutschen Bundesjugendring verantwortet und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird, dieselben wie bei der echten Bundestagswahl. In Stuttgart 1 gab es dies folgenden Wahllokale: Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, Karlsgymnasium, Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Kinder- und Jugendhaus Fasanenhof, MTV Stuttgart 1843, Evangelische Jugend, Jugendtreff Lauchhau, Tipsntrips Jugendinformation Stuttgart, Internationaler Bund (IB) sowie die Jugendhäuser in Heslach, Sillenbuch, West.


Die Auszählung im Wahllokal des IB in der Hauptstätter Straße (und Stuttgart 1 gesamt) ergab folgende Verteilung der Zweitstimmen in Prozent: Bündnis 90/Die Grünen: 28,6 (24), CDU: 26,8 (32,1), Die Linke: 10,7 (4,8), SPD: 8,9 (12,8), Sonstige: 20,8 – darunter: Piraten: 3,6 (2,8), Menschliche Welt: 3,6 (0,7), Tierschutzpartei: 3,6 (3,3), Die Partei: 3,6 (0,7), AfD: 1,8 (3,4), FDP: 0 (8,7)

Bundesebene
Die U-18-Wahl ergab bundesweit folgende Stimmverteilung in Prozent: Bündnis 90/Die Grünen: 16,6, CDU: 28,5, SPD: 19,8 Die Linke: 8,1, AfD: 6,8, FDP: 5,7, Sonstige 15 Prozent.