Der kommunale Flüchtlingsdialog geht neue Wege. In Gruppen und mit Übersetzern geht es um Themen wie Gewaltenteilung und Demokratie.

S-Süd - Was ist Demokratie? Wie erlebe ich Demokratie? Kann sie gar eine Herzensangelegenheit sein? Als eine solche war die aktuelle Veranstaltung zum „Kommunalen Flüchtlingsdialog“ in Heslach ausgeflaggt, der viermal im Jahr im Gebrüder Schmid-Zentrum stattfindet, wobei der Akzent „Herzenssache“ einen speziellen Grund hat: „Wir wollen den Flüchtlingsdialog zu einem allgemeinen, offenen gesellschaftlichen Dialog weiterentwickeln,“ sagt Carola Haegele vom Sozialamt und freut sich, „dass neben vielen Flüchtlingen auch viele Bürger aus dem Stadtbezirk teilnehmen.“ Denn darum gehe es: „Einander zuzuhören, einander verstehen, voneinander lernen und uns gegenseitig zu stärken.“

 

Hausordnung der Demokratie

Das dialogische Moment steht also im Vordergrund: für vier Themen in Sachen Demokratie, die im Laufe des Nachmittags im gruppenweisen Wechsel beackert werden. Und ganz entscheidend fürs Entstehen eines Dialoges: Jede Gruppe hat Übersetzer. Das macht Mühe, schärft aber auch sichtbar die wechselweise Aufmerksamkeit.

Das perfekte Vorzeichen setzt im Saal Patricia Sodoun, die 1971 als 17-Jährige vor einer Zwangsheirat aus Marokko geflüchtet war, mit „einer Reise in meine Welt“. Sodoun bekennt: „Meine Wurzeln bleiben für immer in Marokko. Als ich aber in einem langen Prozess Ja gesagt habe zu Deutschland, da wurde die Demokratie für mich eine Herzensangelegenheit.“ Das Grundgesetz nennt sie „eine Hausordnung für die Demokratie“, bevor sie zu einer emphatischen Rede anhebt: „Demokratie ist wunderbar und anstrengend. Sie gibt mir Kraft und Mut, Energie und Freude, und viel Emotion.“

Zunächst aber geht es in den Gruppen um Basics - und um Erfahrungsaustausch. Arno Reinsberger findet, dass „Demokratie mal mehr, mal weniger gelebt wird, dass wir oft nichts für die Demokratie tun“. Seine Position: „Wir sollten Engagement zeigen, wenigstens zur Wahl gehen und unsere Kinder zu Grundwerten erziehen.“ Jaroslaw aus Russland gefällt, „dass die Geschichte hier nicht gesiebt und gesichtet wird“. Bermek erlebt Stuttgart „als eine offene Stadt, die Vielfalt schätzt“. Auf Anhieb könne sie „aber auch 20 Personen nennen, die nicht gleichberechtigt behandelt wurden“. Andere schätzen „die Meinungsfreiheit“. Gleich dreimal wird in der ersten Runde die „Pressefreiheit als wichtiger Unterschied zu meiner Heimat“ betont.

Freiheit für Frauen

Was aber ist Gewaltenteilung? Nun könnte ein länglicher Vortrag beginnen. Besser sind Beispiele. Etwa, wenn Andrea Greis sagt, dass „Polizisten kein Geld nehmen dürfen. Das ist Korruption“. Als das für Feisal, Ramin und Rashid aus Afghanistan übersetzt wird, sind sie sehr amüsiert: „Das ist dort anders.“ Und sie erzählen, „wie die Scheine wandern“, schon in den kleinsten Dingen des Alltags. So dämmert, wo Gesetze gemacht werden, wer sie auszuführen, wer zu schützen hat - und dass die institutionelle Gewaltenteilung Basis der Demokratie ist.

Der logische Anschluss daran: das Thema „Grundgesetz und Grundrechte“. Für Lena aus Heslach bedeuten sie: „Die Sicherheit und die Freiheit, die ich hier habe.“ Was da eventuell in ihrem Herkunftsland anders sei, will die Moderatorin von Nafisha aus Afghanistan wissen. „Da könnte ich bis morgen früh erzählen“, sagt sie und hebt dann hervor: „Dass Frauen keine Bildung genießen und nicht arbeiten dürfen. Dass sie keine Freiheit haben und eine Marionette des Mannes sind.“

Wie wenig es hier um Theorie, sondern um unmittelbare Realität geht, zeigt eine Runde zum Thema „Rechts- und Sozialstaat“, den Fayouz aus Syrien so übersetzt: „Wie wertvoll es ist, was Deutschland für uns tut. Wenn Demokratie in Syrien wäre, wäre ich dort.“ Ein Gedanke, der ihr Tränen in die Augen treibt. Andrea Laux sagt: „Wir haben diesen Schmerz nicht, weil wir Demokratie haben.“ In der allgemeinen Schlussrunde fasst sie ihre Erfahrung so zusammen: „Das Gespräch im kleinen Kreis: Das ist es, was Fremdheit überwindet.“