Vor bald 500 Jahren schlug Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg. Zu dem Jubiläum hat das Stuttgarter Architektenpaar Eva-Maria und Matthias Kreuz das geschichtsträchtige Gotteshaus frisch beleuchtet.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart/Wittenberg - Es musste ja irgendwann einmal so kommen. „Der Heilige Geist hat seine Flügel ausgebreitet“, sagt Eva-Maria Kreuz, 75, in solchen Momenten gerne. Der strenge Blick täuscht. Sie sagt den Satz nicht ohne Schalk in der Stimme immer dann, wenn der Zufall wie inszeniert wirkt.

 
Eva-Maria und Matthias Kreuz Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Heilige Geist machte sich früh bemerkbar. Schon im ersten Praktikum ihres Studiums kletterte die angehende Architektin auf den Berliner Dachböden herum und sanierte Dachstühle. „Oben hatten die Häuser Holzbock, unten Hausschwamm.“ Die couragierte Architektin schreckt so leicht also nichts – weder Staub noch morsche Balken. Mit Dächern – genauer gesagt Dachstühlen, Kirchendecken und dem Dazwischen – kennt Eva-Maria Kreuz sich aus. Die Arbeit unter den Dachfirsten hat sie, ohne dass sie es damals schon geahnt hätte, gut auf die Aufgabe vorbereitet, der sie und ihr Mann Matthias, 76, sich seit 26 Jahren verschrieben haben: der Innenbeleuchtung von Kirchen. „Wir lenken den Blick der Menschen durch das Licht, ohne dass sie sich dessen bewusst werden“, bringt Eva-Maria Kreuz ihr Tun auf eine kurze Formel. Besagtes Licht kommt dabei – wenn nicht aus Strahlern von der Seite – oft von oben, der Kirchendecke eben.

Da kommen dann auch wieder die darüber liegenden Dachböden ins Spiel. Auf die muss man manchmal klettern, um zu wissen, wie es dort aussieht, wo man das Licht befestigen möchte. Die schweren Pendelleuchten müssen festsitzen. „In Kirchen gilt die Versammlungsstättenverordnung“, erklärt Eva-Maria Kreuz nüchtern. Sprich: Alles muss doppelt gesichert sein.

Ein ganz besonderer Ort

Die Frau mit dem ernsten Blick und dem knitzen Witz steht in ihrem Büro im Stuttgarter Westen und hält eine der schweren Leuchten in der Hand, aus denen sich außer dem Stromkabel auch ein Stahlseil herauswindet, beides diskret von Stoff umwickelt. Zwischen anderen Prototypen steht der Messingzylinder normalerweise auf einem Regal mit vielen Aktenordnern. Jeder Ordner eine Kirche. Bei größeren Projekten sind es auch mal mehrere.


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Der mit einem filigranen Kreuzmuster versehene Messingzylinder ist einer der Leuchtenentwürfe, wie sie seit Kurzem in der Schlosskirche im sachsen-anhaltinischen Wittenberg hängen. Das Ehepaar Kreuz gehört zu dem Kreis der wenigen, die auch den Dachboden der Lutherkirche kennen. Aber der Reihe nach.

Vor vier Jahren wehte der Heilige Geist nämlich ganz mächtig bis ins Kreuz’sche Büro hinein. Die Wirkungsorte Martin Luthers standen angesichts des Jubiläumsjahres 2017 zur Neubeleuchtung an. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass auch der Reformator den Weg des Ehepaares Kreuz kreuzen würde – erst mit der Stadtkirche am Marktplatz Wittenbergs und dann eben auch mit der Schlosskirche, an deren Tür am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen zu hängen kamen. Ob durch Luthers eigene Hand und ob wirklich genagelt, ist nicht geklärt. Aber von hier, von der Wittenberg’schen Schlosskirche nahm die Reformation ihren Ausgang. Sie wurde zum manifesten Zentrum des Protestantismus und zum Symbol einer Zeitenwende.

Das Gotteshaus ist also ein ganz besonderer Ort, auch wenn die dazugehörige evangelische Kirchengemeinde gerade mal 110 Mitglieder hat und im Vergleich zu der Stadtkirche mit 3500 Mitgliedern ein eher stiefmütterliches Dasein führt. In der Schlosskirche jedoch liegt Martin Luther begraben, ebenso sein Mitkämpfer Philipp Melanchthon. Zu DDR-Zeiten war hier das Predigerseminar angesiedelt, wo die evangelischen Pfarrer ausgebildet wurden. Einer seiner Leiter war der Theologe Friedrich Schorlemmer. Er ließ beim DDR-Kirchentag 1983 hier ein Schwert zur Pflugschar schmieden – das Symbol der Friedenbewegung. Seit 1996 gehört die Kirche zum Weltkulturerbe der Unesco.

Die richtige Dosierung also macht’s

Man könnte also erst einmal ehrfürchtig durchatmen, wenn man den Auftrag erhält, diese Kirche mit Geschichte ins rechte Licht zu setzen. Nicht so Eva-Maria und Matthias Kreuz. Sie studierten stattdessen alte Pläne, suchten nach Fotos und recherchierten im Internet, wie die Kirche aktuell genutzt wird. Sie fanden beispielsweise heraus, dass die beiden Reifenkronen im Kirchenschiff schon 1892 mit elektrischen Glühlampen bestückt waren. „Wir mussten natürlich auch mit den historischen Entscheidungen leben“, erklärt Eva-Maria Kreuz. So hängen im Kirchenschiff zwar die beiden großen Reifenkronen, im Altarbereich, wo es hell sein sollte, jedoch fehlte das richtige Licht.

Die Lichtplaner steuerten gegen. Der Chorraum ist nun beispielsweise mit acht Strahlern ausgestattet. Sie sind dimmbar. „Eine Konzertbeleuchtung braucht mindestens 250 Lux“, sagt Matthias Kreuz. „Um einen Liedtext lesen zu können, reichen 100 Lux“, ergänzt seine Frau. Die richtige Dosierung also macht’s. 21 Lichtszenen haben die beiden in der Schlosskirche gestaltet – vom Putzlicht bis zur Festbeleuchtung für den Weihnachtsgottesdienst. Über Knopfdruck sind sie abrufbar.

Daran, dass beide katholisch sind, liegt ihre unaufgeregte Vorgehensweise in der protestantischen Urkirche sicherlich nicht. Zwischen evangelischen und katholischen Aufträgen machen sie keinen Unterschied. Die Lichtplaner Eva-Maria und Matthias Kreuz denken pragmatisch und geben sich rüschenlos bescheiden.

Auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte kam das Ehepaar 1968 in die baden-württembergische Landeshauptstadt. Matthias Kreuz war dem Angebot des Warmbronner Architekten Frei Otto gefolgt, an der Konstruktion der Münchner Olympiaanlagen mit ihren Zeltdächern mitzuarbeiten. Er baute die Schwimmhalle. Seine Frau, ebenfalls frischgebackene Planerin, fing als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Architekturlehrstuhl von Jürgen Joedicke an der Uni Stuttgart an. Beides keine unbedeutenden Adressen in der Architekturlandschaft. Eva-Maria Kreuz suchte sich nach vier Jahren ein Forschungsprojekt, kündigte später, arbeitete frei, bekam zwei Kinder, verbrachte keinen Tag im Mutterschutz, sondern telefonierte schon vom Krankenhaus wieder dienstlich. Immer hatte sie Pläne und Idee und den Willen, etwas Neues anzupacken.

Mit St. Elisabeth fing alles an

Es sollte allerdings noch einmal zwei Jahrzehnte dauern, bis der Heilige Geist wieder mächtig wehte und das Paar seinen Nachnamen, den keine Imageagentur besser hätte erfinden können, zum Markenzeichen ihres Tuns machten. Die beiden gründeten das Büro Kreuz und Kreuz – mit einem Pluszeichen zwischen den beiden Namen. Da hatten sie schon den ersten Auftrag erfolgreich ausgeführt.

„Wir haben das ja anfangs nachts gemacht, zusätzlich zu der anderen Arbeit“, erinnern sie sich. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Angefangen haben sie mit der Renovierung der Kirche ihrer eigenen Gemeinde – mit St. Elisabeth im Stuttgarter Westen. Geplant war das nicht. „Bewerbt euch doch“, hatte sie der Architekt aufgefordert, der im Wettbewerb dann selbst das Nachsehen hatte. „Damals war Architektur einfach weiß. Wir kamen mit der kühnen Idee, Farbe in die Kirche zu bringen“, sagt Eva-Maria Kreuz. Das war gewagt, entsprach aber dem Originalzustand von 1902. „Es war uns egal, ob wir gewinnen. Wir hatten ja nichts zu verlieren.“

Aber mit der Renovierung des Gotteshauses war der Job noch lange nicht getan. Es folgte die nächste Herausforderung. „Jetzt müsst ihr die Kirche aber auch noch beleuchten“, hieß es nun. Es folgte die Erkenntnis, dass keine der handelsüblichen Leuchten in die Kirche passte und dass es also galt, auch die zu entwerfen. Die beiden verordneten sich zudem ein Mammutfortbildungsprogramm und verbrachten ganze Sonntage in Kirchen.

Nur wenn man sehe, wie sie genutzt wird, könne man eine Kirche auch richtig ausleuchten, sind beide überzeugt. „Wenn wir Glück hatten, schafften wir an einem Tag drei Gottesdienste“, erinnern sie sich. Einen um neun Uhr, den nächsten um elf Uhr und dann vielleicht noch einen abends. Sie studierten, wie’s die anderen Beleuchter machen, und zogen ihre Lehren daraus.

Als Kirchgängern ist ihnen die Liturgie vertraut. Als sie bei einem ihrer Aufträge merkten, „dass der Taufstein in einer Kirche so dastand, als hätten ihn die Möbelpacker mal gerade so abgestellt und vergessen, an den richtigen Ort zu stellen“, wurde er selbstverständlich umgesetzt.

Das Kreuz’sche Wort hat Gewicht. Inzwischen arbeitet in dem vierköpfigen Büro auch einer der beiden Söhne. Schwarze Nadeln markieren dort auf einer Deutschlandkarte das Schaffen eines Vierteljahrhunderts. 200 Kirchen sind in dieser Zeit zusammengekommen – von Finkenwerder bis Fürstenfeldbruck. 20 sind noch in Planung. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin etwa. Ein Ende ist nicht in Sicht. „Es gibt noch viel Neues zu entdecken“, sagt Eva-Maria Kreuz. Nächste Woche wird das Ehepaar nach Schwerin aufbrechen und dann nach Kirchbarkau in Schleswig-Holstein fahren. Die Wiedereröffnung der Wittenberger Schlosskirche, die zum Reformationsjubiläum 2017 umfassend restauriert worden war, haben sich Eva-Maria und Matthias Kreuz am 2. Oktober übrigens im Fernsehen angesehen – da hatten sie ihre Arbeit ja bereits erledigt.