Der S-21-Kritiker und Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper hat Akteneinsicht in vertrauliche Dokumente durchgesetzt. Kritiker hegen angesichts der Vermerke des Kanzleramts den Verdacht unzulässiger Einflussnahme.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Der Projektkritiker und Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper hat Akteneinsicht in vertrauliche S-21-Dokumente durchgesetzt, die für Kanzlerin Angela Merkel und ihren früheren Amtschef Roland Pofalla erstellt worden waren. Viele Passagen der kopierten Tischvorlagen aus dem Kanzleramt, die auch dieser Zeitung vorliegen, sind aber geschwärzt. Der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 will die komplette Offenlegung notfalls per Klage durchsetzen: „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was da gelaufen ist“, sagte er dieser Zeitung.

 

Die Entscheidung der Deutschen Bahn AG, S 21 trotz zwei Milliarden Euro Mehrkosten weiterzubauen, ist bis heute umstritten. Kritiker hegen den Verdacht, dass die Bundesregierung dabei unzulässig Einfluss auf den privatrechtlich organisierten Aktienkonzern nahm. Zumal Merkel sich persönlich zu S 21 bekannt hat. Ebenso unstrittig ist, dass ihr früherer Amtschef und künftiger Bahn-Manager, Ronald Pofalla (CDU), vor dem entscheidenden Votum des DB-Aufsichtsrats intensive Gespräche mit Vorständen sowie Kontrolleuren des Staatskonzerns führte.

Fünf interne Vermerke für die Kanzlerin und Pofalla zeigen nun erstmals, wie intensiv die Regierungsspitze in Berlin über Monate hinweg mit der Zukunft von S 21 beschäftigt war. Zur Erinnerung: Am 12. Dezember 2012 informierte Bahnchef Rüdiger Grube den Aufsichtsrat, dass S 21 bis zu 2,3 Milliarden Euro teurer werden könnte. Erst am 5. März 2013 stimmten die Kontrolleure des Staatskonzerns nach langer Prüfung durch Gutachter zu, das Bahnprojekt dennoch weiterzubauen.

Kritisches internes Dossier des Verkehrsministeriums

Auch innerhalb der Bundesregierung gab es damals teils große Bedenken, wie ein kritisches internes Dossier aus dem Verkehrsministerium zeigte, das diese Zeitung am 5. Februar 2013 öffentlich machte. Bereits am nächsten Tag bekam Merkel aus ihrem zuständigen Referat 323 einen detaillierten Bericht zum Sachstand bei S 21 auf den Tisch, ein weiterer folgte am 22. Februar. Beide Berichte liegen dieser Zeitung vor.

Wesentliche Inhalte wurden vor Herausgabe vom Kanzleramt geschwärzt, besonders die Abschnitte mit Bewertungen. Dennoch ist der Inhalt aufschlussreich. So wurde Merkel am 6. Februar 2013 darüber informiert, dass die Bahn die „projektinternen“ S-21-Mehrkosten aus Eigenmitteln finanzieren und dafür über zehn Jahre hinweg den Abbau des Schuldenbergs von derzeit rund 17 Milliarden Euro verlangsamen will. Belastungen für den Bund seinen damit nicht verbunden. Auch Investitionen in andere Schienenprojekte seien nicht gefährdet.

Im Sachstandsbericht vom 22. Februar 2013 für die Kanzlerin heißt es, nach Angaben des Konzerns hätten sich bereits im Oktober 2011 „erste Indizien für nicht aufgedeckte Kostenrisiken ergeben“, die dann durch externe Gutachter überprüft wurden. Mit Blick auf die kommende Sondersitzung des DB-Aufsichtsrats am 5. März wird betont, dort solle „zur Abdeckung aller bekannter Risiken“ der erhöhte Finanzierungsrahmen von 6,5 Milliarden Euro für S 21 gebilligt werden. So kam es dann auch.

Warnung vor Kostensteigerung

Dafür könnte Kanzleramtsminister Pofalla maßgeblich gesorgt haben, mutmaßen Kritiker. Nach einem internen Vermerk vom 4. Dezember 2012 führte der CDU-Politiker zwei Tage vor der Aufsichtsratssitzung, auf der den Kontrolleuren die Kostenexplosion bekannt gemacht wurde, ein Gespräch mit Bahnchef Grube und dem zuständigen Infrastrukturvorstand Volker Kefer. Im internen Papier für Pofalla zur Vorbereitung heißt es warnend, die Kostensteigerungen dürften „zu neuen Kontroversen über S 21 und zu Forderungen nach Projektabbruch führen“.

Auch sei „neuer Streit“ mit Stadt und Land über die Finanzierung der Mehrkosten absehbar. Beide trügen politisch das Projekt nicht mehr mit, was die Umsetzung erschwere. In einem weiteren Papier zum Besuch des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) am 1. Februar 2013 im Kanzleramt werden im Detail „zusätzliche Risiken“ bei S 21 von anteilig 1,1 Milliarden Euro aufgelistet, die nach Vorstellung der Bahn von Stadt und Land zu tragen seien. So war dann auch die Verhandlungslinie des Konzerns und der Regierung. Stadt und Land lehnen eine Beteiligung bis heute kategorisch ab, was wohl zu einem Rechtsstreit mit der Bahn führen wird.

Geschwärzte Passagen in Dokumenten

Am 14. Januar 2013 führte Pofalla zudem ein Gespräch mit dem Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und DB-Aufsichtsrat Michael Odenwald, aus dessen Ressort das kritische Dossier zu S 21 stammt. Im „Gesprächsführungsvermerk“ des Kanzleramts vom 9. Januar 2013 wird unterstrichen, dass der Bahnvorstand an S 21 festhalten wolle und dabei auch „die politische Bedeutung“ der Verwirklichung des Infrastrukturprojekts sehe, „zu dem sich die BKin explizit bekannt hat“. Auch in diesem Dokument sind ganze Textblöcke geschwärzt. Das Kanzleramt rechtfertigt das in einem zehnseitigen Schreiben an von Loeper. Die vorenthaltenen Informationen zählten zum „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“. Eine Akteneinsicht in die ungeschwärzten Originale sei „daher ausgeschlossen“. Der S-21-Kritiker hat Widerspruch beim Kanzleramt eingelegt und fordert vollen Informationszugang. Er vermutet, dass bisher Akteninhalte nicht offen gelegt wurden, die zeigen, wie Aufsichtsräte „wieder auf Linie gebracht“ wurden.

Von Loeper verweist auf die neuere Rechtsprechung unter anderem des Verwaltungsgerichts Berlin, wonach dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit besonders hohes Gewicht zukommt, wenn es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und Missstände innerhalb der Regierung geht. Für ihn steht fest, dass sich das Kanzleramt keinesfalls in die S-21-Entscheidung der Aktiengesellschaft DB einmischen durfte. Der Anwalt sieht darin „missbräuchliche Übergriffe“, die auch parteipolitisch motiviert sein könnten.