Viele Premieren ließen die Stuttgarter Tanzfreunde ins Opernhaus strömen. Aber am meisten Jubel hat die Uraufführung „Krabat“ von Demis Volpi geerntet – ein Riesenerfolg!

Stuttgart - Dass Demis Volpi eines Tages gute Chancen auf die Position eines Hauschoreografen beim Stuttgarter Ballett haben könnte, hat man gemutmaßt. Wie schnell und prompt er es dann aber wirklich wurde, hat überrascht. Die Stelle war ja nach dem Wechsel des alten Hauschoreografen Christian Spuck zum Zürcher Ballett erst seit Beginn der Saison vakant. Die entsprechende Ernennung des Gruppentänzers Demis Volpi zum Hauschoreografen unmittelbar nach einer Premiere, vor allem aber diese Premiere selbst, also die Uraufführung von „Krabat“ im März, sind zweifellos die beiden bemerkenswertesten Ereignisse der zu Ende gehenden Stuttgarter Ballettsaison.

 

In „Krabat“, seinem ersten abendfüllenden Handlungsballett, übersetzt Volpi das bekannte Jugendbuch von Otfried Preußler über den Kampf eines jungen Müllergesellen gegen die Schwarze Magie mit so souveräner Hand in Tanz, in der Anmutung ebenso spannend, unterhaltsam wie zeitgenössisch, dass ihm weitere große Aufgaben ohne Bedenken anzuvertrauen sind. Ein paar Schwachstellen hinsichtlich der Choreografie gibt es zwar. Aber als Gesamtinszenierung überzeugt Volpis „Krabat“ ohne Wenn und Aber. Und, was besonders schätzenswert ist: der Choreograf kann mittels des Tanzes glaubhafte Charaktere entwickeln. Die wunderbare Gestaltung der Titelrolle für David Moore (der sich mit seiner Interpretation die Beförderung zum Solisten ertanzte) ist der Beweis hierfür.

Über dieses prägende Geschehnis der zweiten Spielzeithälfte ist beinahe – und zu Unrecht – in den Hintergrund geraten, dass ja auch der zweite Hauschoreograf Marco Goecke ein abendfüllendes neues Werk entwickelt hat. Sicher,„Dancer in the Dark“ nach dem Film von Lars von Trier, war eine Koproduktion des Stuttgarter Balletts mit der Schauspielsparte. Deswegen hat die Uraufführung dieser tragischen Geschichte um die erblindende Fabrikarbeiterin Selma mit den Mitteln von Tanz und Theater mehrere verdienstvolle Schöpfer.

Uraufführungen und Evergreens im bunten Mix

Der Theaterregisseur Christian Brey führte Regie, Goecke musste krankheitsbedingt während der Proben einen Teil der choreografischen Arbeit an Louis Stiens abgegeben. Aber Goeckes Handschrift prägt das Stück markant, auch wenn der Tanz hier die Charakterisierung der von den Schauspielern dargestellten Figuren lediglich unterstützt. Die Partie des Sohnes Gene ist allerdings als reine Tanzrolle angelegt, und wie das Choreografenduo diese Figur gezeichnet hat, gibt dem Stück eine besondere und tanzgenuine Note. Zumal sich Gene alias Alessandro Giaquinto, noch Student an der John Cranko Schule, als veritable Entdeckung entpuppt hat. Im Übrigen präsentierte sich Louis Stiens hier als vielversprechender Jungchoreograf – und damit als weiteres Talent aus der Schmiede des Stuttgarter Balletts. Die scheint weiter unerschöpflich.

Der Intendant Reid Anderson strickt die Grundkonzeption seiner Spielpläne immer nach dem gleichen Muster: Zu den Novitäten gesellt sich ein bunter Mix aus dem Repertoire. Warum sollte er an dem bewährten Rezept auch etwas ändern? Das Reservoir an Stücken ist in Stuttgart so breit gefächert und künstlerisch hochwertig, die gemischten Programme sind so interessant zusammengestellt, dass man auch Bekanntes immer wieder gerne und neu sieht.

So bot der Ballettabend „Tanz//Töne“ im Zeichen des Zusammenwirkens von Tanz und Musik einen ausgesprochen reizvollen Blick auf Edward Clugs „Ssss . . .“,  „Slice to Sharp“ von Jorma Elo und Maurice Béjarts „Bolero“. Der Titel „Meisterwerke“ mit Georges Balanchines „Vier Temperamenten“, „Dances at a Gathering“ von Jerome Robbins und Glen Tetleys „Sacre du Printemps“ war in Anbetracht dieser modernen Klassiker keineswegs zu vollmundig gewählt. Im Fall von „Othello“ steigerte der zeitliche Abstand von fünf Jahren zwischen Stuttgarter Premiere und Wiederaufnahme sowie einige formidable Rollendebüts (insbesondere Alicia Amatriain als Desdemona und Evan McKie als Jago) noch die Wiedersehensfreude mit dieser großartigen Shakespeare-Adaption des Ex-Stuttgarters John Neumeier.

Selbst „Don Quijote“ wirkte plötzlich ganz frisch

Das neue Bühnenbild hat Maximiliano Guerras „Don Quijote“ gut getan, der ersten Premiere der Spielzeit, die streng genommen eine Wiederaufnahme war. Die Vorbehalte gegen Guerras Interpretation des Stoffs, die trotz einer dramaturgisch aufgepeppten Perspektive auf die Titelfigur zu brav Marius Petipa Ballettklassiker nachbuchstabiert, sind damit nicht aus dem Weg geräumt. Doch das glänzend aufgelegte Ensemble, insbesondere das junge Tanzpaar Elisa Badenes und Daniel Camargo als Kitri respektive Basilio, wischte am Premierenabend solcherlei Bedenken mit Esprit, Virtuosität, Charme und Schwung weg.

Ohnehin ist das hervorragende Ensemble außer den Werken selbstredend das Herz des Stuttgarter Balletts. Neben den Stars glänzen immer wieder aufstrebende junge Tänzer oder verborgene Begabungen. Angelina Zuccarini als Zauberer Pumphutt in „Krabat“ verdient ebenfalls eine besondere Erwähnung. Ihr tänzerischer Kampf mit dem Mühlenmeister als Mischung aus Cowboy-Indianer-Spiel und chinesischer Kampfattacke wird in Erinnerung bleiben.

Nicht vergessen werden soll eine feste Säule des Repertoires, die Werke von John Cranko. Seine großen Handlungsballette wirken auch nach Jahrzehnten frisch und bilden einfach einen Teil der Identität der Kompanie. Das hat nicht zuletzt die Galavorstellung anlässlich fünfzig Jahre „Romeo und Julia“ Anfang Dezember 2012 eindrucksvoll vor Augen geführt.