Nach rechtsextremen Äußerungen einer Bonner Burschenschaft haben sich die Stuttgarter Bünde aus ihrem Dachverband verabschiedet. Doch Kritiker halten die Abgrenzung für nicht klar genug.

Stuttgart - Silentium!“, ruft Oliver Kabierschke, der Sprecher der Aktivitas der Hilaren. Die Gespräche im Haus der Stuttgarter Burschenschaften verstummen. Der junge Mann spricht einige Worte zur Begrüßung und erklärt, wer Hunger habe, könne sich ab sofort eine Gulaschsuppe oder ein belegtes Brötchen an der Theke holen. Dann übergibt er das Wort an den Alten Herrn Helmut Dobler, der den Ablauf des großen Festballs am Sonntag in der Alten Reithalle erläutert. Der Senior ist verantwortlich für die Organisation des Höhepunkts der viertägigen Festlichkeiten, mit denen die Hilaren ihr 140. Stiftungsfest dieses Wochenende begangen haben.

 

Aus dem Dachverband ausgetreten

Schon am Eröffnungsabend ist das Hilaren-Haus gut gefüllt. Rund hundert Bundesbrüder und deren Frauen sowie externe Gäste drängen sich an Stehtischen oder sitzen im großen Saal zusammen. Die meisten tragen Farben und haben ihre Mützen auf. Gesprächsstoff gibt es genug. Schließlich dürften die vergangenen Monate zu den turbulenteren der Hilaren-Geschichte zählen. Ein Burschenschafter der Bonner Raczeks hatte im Herbst 2011 in einer Mitgliederzeitschrift den NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als Landesverräter bezeichnet und dessen Verurteilung durch ein Nazigericht gerechtfertigt. Der Fall wurde öffentlich, anschließend eskalierte der lange schwelende Konflikt zwischen den liberaleren und den rechtskonservativen bis rechtsextremen Bünden. Schon kurz davor hatten die Raczeks Aufsehen erregt, weil sie die Aufnahme neuer Mitglieder mittels sogenannter Arierparagrafen regeln wollten. Nach einem außerordentlichen Burschentag im November in Stuttgart, der keinen grundsätzlichen Richtungswechsel brachte, traten immer mehr Studentenverbindungen aus der zunehmend von rechtsaußen dominierten Deutschen Burschenschaft (DB) aus. Bis dato haben 25 Burschenschaften der DB den Rücken gekehrt.

Als eine der ersten Verbindungen erklärte die Stuttgarter Hilaritas ihren Austritt. „Wir waren schon länger mit den Aktivitäten der DB unzufrieden“, sagt Michael Schmidt, Alter Herr der Hilaren und Sprecher der Initiative Burschenschaftliche Zukunft (IBZ). Bereits 2003/04 hatten sich die liberaleren Bünde der Landeshauptstadt zur Stuttgarter Initiative zusammengeschlossen, beteiligt auch Ghibellina, Alemannia und Hohenheimia. „Eigentlich versteht sich die Deutsche Burschenschaft als politischer Bund. Faktisch aber fand keine breite inhaltliche Diskussion in der DB statt“, sagt Schmidt. Das wollte die Stuttgarter Initiative ändern. Im März 2012 folgte die Gründung der „Initiative Burschenschaftliche Zukunft“, in der die Stuttgarter Initiative aufging. Kurz danach wurde der Bonhoeffer-Text des Bonner Burschenschafters bekannt. „Bis zu diesem Zeitpunkt gingen wir davon aus, dass wir durch inhaltliche Arbeit im Verband etwas bewirken könnten“, so Schmidt. Nach dem Eklat erfolgte der Bruch.

Neuer Verbund soll alte Fehler vermeiden

Im März diesen Jahres trafen sich 42 Burschenschaften in Bonn zu den sogenannten Deutschlandgesprächen. Dabei ging es auch um die Frage nach der Gründung eines neuen Dachverbandes. Die Hilaren haben bereits klare Vorstellungen, was anders werden muss. So soll der neue Verband mehr politische Bildungsarbeit leisten, als die DB dies getan hat. Zudem müsse die neue Organisation die Möglichkeit haben, einzelne Burschenschafter auszuschließen, die sich „verbandsschädigend“ verhalten, so Schmidt – gemeint sind damit vor allem Einzelne, die wie in dem Fall des Bonner Bundesbruder rechtsextreme Positionen öffentlich vertreten. Über ein solches Ausschlussrecht verfügt die DB nicht, bislang können nur einzelne Bünde ihre Mitglieder ausschließen. „Das Wichtigste für mich ist, dass meine Burschenschaft unbeschadet durch die Stürme der Zeit kommt – und dass die burschenschaftlichen Werte auch in Zukunft eine Rolle spielen“, sagt Jakob Breu, Alter Herr der Alemannen. „Das kann man am besten in einem Verbund erreichen, der stark ist und der die Fehler der DB aus der Vergangenheit vermeidet.“

Bei den Alemannen, die kurz nach den Hilaren aus der DB ausgetreten sind, lagen die Motive ähnlich. „Man hat sich im Verband sehr viel mit sich selbst beschäftigt – und das ist bis heute so geblieben“, sagt Jakob Breu. Auch er betont, dass man lange Zeit versucht habe, durch aktive Mitarbeit im Verband etwas zu bewegen. Ein Austritt zu einem früheren Zeitpunkt sei kein Thema gewesen. „Die Frage ist, wie man grundsätzlich vorgeht: Wirft man das Handtuch, oder kämpft man? Wir haben gekämpft – auch wenn es letztlich nichts gebracht hat“, sagt Breu. Sein Bund habe Anfang des 20. Jahrhunderts lange um eine Aufnahme in die DB gerungen, weshalb auch keiner der Alemannen dann wegen des Austritts in Jubel ausgebrochen sei. Entsprechend handzahm sind die Texte, mit denen die Hilaren wie die Alemannen ihren Austritt aus der DB erklärten. Diesen zufolge ist der Hauptgrund für den Rückzug in „internen Streitigkeiten“ im Verband zu suchen. „Wir sind daran interessiert, dass Ruhe einkehrt – da macht es wenig Sinn, jetzt schmutzige Wäsche zu waschen. Dieser Absicht folgt der diplomatische Tonfall der Austrittserklärung“, sagt Hilare Schmidt.

Meinungsfreiheit oder mangelnde Distanz?

Der ehemalige Burschenschafter Christian Becker von der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis kritisiert das Ausbleiben klarer Worte. „Unsere Initiative hält auch im Falle der liberalen Burschenschaften die mangelnde Abgrenzung von rechtsextremen Positionen für problematisch. Da gibt es wachsweiche Formulierungen.“ Rechtsextremismus sei eine Gefahr für die Demokratie, sagt Becker. Viele liberale Bünde sähen aber darin, dass sie damit in Zusammenhang gebracht werden, vor allem eine Rufschädigung. Der Alemanne Breu jedenfalls lehnt die Bezeichnung Rechtsextremisten für Burschenschaften nach wie vor ab. Dass viele Burschenschafter bei „radikalen Aussagen“, wie er das nennt, „lieber ein Auge mehr zudrückten“, erklärt der Alemanne damit, dass allein schon aus historischen Gründen den Burschenschaften das Recht auf freie Meinungsäußerung sehr wichtig sei. Breu persönlich wünscht sich, dass die Gründung eines neuen Dachverbandes bis 2015 abgeschlossen sein wird – dann feiern die deutschen Burschenschaften ihr 200. Jubiläum. Das Datum könnte Anlass sein für einen grundlegenden Neuanfang.