Hans-Dieter Mechler hat die Initiative VerA aufgebaut und will Ausbildungsabbrüche stoppen. Dafür haben ihn die Stuttgarter Versicherung und die Stuttgarter Zeitung zum Stuttgarter des Jahres gewählt.

Stuttgart - Wenn die ersten Schritte ins Berufsleben mit einem Stolpern beginnen, ist das ein niederschmetterndes Erlebnis. Mit Freude und Zuversicht hatte Marcel Handel nach der Schule eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann begonnen. Zwei Jahre später waren da nur noch Frust, Sorgen und das nagende Gefühl, den Ansprüchen nicht genügen zu können. „Von mir wurden Tätigkeiten erwartet, die ich nicht leisten konnte. Keiner zeigte die Bereitschaft, mir zu helfen. Irgendwann war ich völlig isoliert. Mein Selbstbewusstsein war am Boden, ich hatte Schlafstörungen und wusste nicht, wie es weitergehen soll“, erinnert sich der 19-Jährige heute.

 

Als nichts mehr half, lernte Marcel die junge Vera kennen – ein Projekt zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen, initiiert von der ehrenamtlichen Initiative des Senior Experten Service (SES) mit Sitz in Bonn. Die Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, Auszubildende in schwierigen Situationen zu begleiten. Der Stuttgarter Hans-Dieter Mechler hat 2010 damit begonnen, das Netz der Hilfe in der Region Stuttgart zu verankern. Inzwischen hat der 71-Jährige 120 ehrenamtliche Begleiter im Rentenalter um sich geschart. Als Regionalkoordinator ist er unermüdlich im Einsatz, um das Angebot bekannt zu machen und die hohe Zahl der Ausbildungsabbrüche zu verringern. „Wir können nicht einfach zusehen, wenn junge Menschen mit einer solchen Hypothek ins Leben starten“, sagt Hans-Dieter Mechler.

Es gibt keinen Tag ohne VerA, und das ist gut so

Mit einem Strahlen im Gesicht kommt der rührige Ruheständler an diesem Nachmittag ins Wohnzimmer. Seine Ehefrau weiß sofort, woher die gute Laune kommt. „Da hat wieder ein Schützling die Gesellenprüfung bestanden“, verrät sie. Seit der ehemalige Filialdirektor einer Versicherungsgruppe Ende 2009 in Rente gegangen ist, muss Hannelore Mechler seine Aufmerksamkeit mit „Vera“ teilen. Ein Dreiecksverhältnis, das prima funktioniert. „Es gibt keinen Tag ohne ,Vera’, und das ist gut so. Die Aufgabe füllt meinen Mann aus, und ich bin stolz darauf, wie er sich für die Jugendlichen engagiert“, sagt Hannelore Mechler. Sie hat ihn als Stuttgarter des Jahres vorgeschlagen und die Jury mit ihren Argumenten überzeugt. Hans-Dieter Mechler ist eine von zehn Personen, die am 21. März in den Wagenhallen für ihr ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet worden sind. Die Stuttgarter Versicherungsgruppe und die Stuttgarter Zeitung hatten den Preis ausgelobt, der mit je 3000 Euro dotiert war. „Ich freue mich sehr und hoffe, dass unser Angebot nun noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringt“, betont der 71-Jährige.

Denn „Vera“ ist kein Selbstläufer. „Obwohl ich als Ausbildungsleiter und Prüfer tätig war, hatte ich keine Ahnung von der Dimension des Problems“, erzählt Mechler. Als der Präsident der Handwerkskammer Stuttgart, Rainer Reichhold, den Neurentner im Jahr 2010 für die ehrenamtliche Initiative anwarb, fiel der Versicherungsexperte aus allen Wolken. „Das war ein Schock. 20 bis 30 Prozent der Auszubildenden brechen ab. Im Hotel- und Gaststättengewerbe wirft fast jeder Zweite das Handtuch. Für mich stand sofort fest, dass man etwas tun muss“, erinnert sich Hans-Dieter Mechler.

Meistens liegen die Probleme im sozialen Umfeld

Der Katalog für die Reise, mit der das Ehepaar den Ruhestand einläuten wollte, wurde zur Seite gelegt. Zuhause gab es Wichtigeres zu tun. „Die größte Schwierigkeit war es, Mitstreiter zu finden“, erzählt Hans-Dieter Mechler. Er warb im Freundes- und Bekanntenkreis, dann aktivierte er die Warteliste der SES für Rentner, die sich im Ausland engagieren wollten. „Die Hilfsbereitschaft der Menschen ist allgemein sehr groß“, stellte der 71-Jährige dabei fest. Auch im Kontakt mit Berufsschulen, Berufsverbänden und dem Jobcenter erwies sich Hans-Dieter Mechler als ein begnadeter Netzwerker.

Inzwischen hat sich herumgesprochen: „Vera“ vermittelt innerhalb weniger Tage einen erfahrenen Begleiter, der sich regelmäßig mit den Jugendlichen trifft, ihnen zuhört und weiß, wo es Unterstützung gibt. Einsatzleiter Mechler hat mittlerweile ein klares Bild davon, warum der Berufsstart misslingt: „Meistens liegen die Probleme im sozialen Umfeld. Viele junge Leute sind allein gelassen. Die Eltern sind zwar körperlich anwesend, aber sie interessieren sich nicht.“ Außerdem fehle häufig die Fähigkeit, in schwierigen Situationen durchzuhalten.

360 Azubis hat das Projekt „Vera“ bisher betreut. Anonymität ist garantiert und der Erfolg kann sich sehen lassen. „In 80 Prozent der Fälle haben wir eine Lösung gefunden“, berichtet Hans-Dieter Mechler. Gab es für eine Zusammenarbeit im Betrieb keine Basis mehr, halfen die Senior-Experten bei der Suche nach einer neuen Lehrstelle. Diesen steinigen Weg ist Marcel Handel gemeinsam mit seinem Begleiter Manfred Schmitz gegangen, dem früheren Präsidenten des Landgerichts Ulm. Der 19-Jährige hat umgesattelt und eine Ausbildung in der Kinderpflege absolviert. Nun steht er vor dem Abschluss. Seinen Notenschnitt verkündet Marcel stolz und selbstbewusst: „Der liegt bei 1,3.“