Jeden zweiten Montag erfährt man bei neuen Führungen auf den Fernsehturm Historisches und amüsante Anekdoten. Es geht um waghalsige Experimente, Fensterputzer in luftiger Höhe und welche Rolle die Queen in der Geschichte des Turmes spielte.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Degerloch - Gerade als die einstündige Führung beginnt, kommt die Sonne heraus. Zwar bleibt sie nicht, bis die Gruppe auf der Aussichtsplattform angelangt ist – doch zumindest für die ersten Fotos von unten präsentiert sich der 216,6 Meter hohe Fernsehturm stolz vor blauem Himmel. Jeden ersten und dritten Montag im Monat bietet die SWR Media Services GmbH als Betreiberin des Stuttgarter Wahrzeichens Führungen an, bei denen die je 30 Teilnehmer nicht nur Historisches, sondern auch amüsante Anekdoten zu hören bekommen.

 

„Als im Mai 1965 Queen Elizabeth II. den Stuttgarter Fernsehturm besichtigte, war es vorher lange sehr trocken gewesen“, sagt die Führerin Stefanie Sauerhöfer. Aus diesem Grund war der Rasen eher bräunlich – doch für den hohen Besuch musste das Gras natürlich in gesundem Grün erstrahlen. „Was also tat der tüchtige Schwabe? Er besprühte den Rasen.“

Ursprünglich sollte der Turm lediglich 200 000 DM kosten

Als Anfang der 50er Jahre erstmals die Idee aufkam, auf dem Hohen Bopser in Degerloch einen Fernsehturm zu errichten, gab es dort noch ausschließlich Wald und grüne Natur. „Das Medium Fernsehen war noch relativ neu, der Empfang war reine Glückssache“, sagt Sauerhöfer. Nur diejenigen, die in den Höhenlagen Stuttgarts wohnten oder eine spezielle Antenne auf ihrem Dach hatten, konnten empfangen. „Doch man wusste, dass die Krönung der Queen Elizabeth II. 1953, sowie die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 – das Wunder von Bern – viele Menschen interessieren würde.“

Bis dahin wurde der Fernsehturm, der ursprünglich lediglich ein Stahlgittermast werden und 200 000 Deutsche Mark kosten sollte, zwar nicht ganz fertig – im Nachhinein dürften die Stuttgarter darüber aber mehr als erleichtert sein. Der aus der Landeshauptstadt stammende Ingenieur Fritz Leonhardt entwickelte die Idee, dass es nicht nur ein reiner Zweckbau werden solle, sondern auch eine Aussichtsplattform und ein Café geben solle.

Man wusste nicht, ob das Fernsehen nur eine Eintagsfliege ist

Zunächst war die Skepsis groß: „Man wusste nicht, ob das Fernsehen tatsächlich Bestand habe oder ob es nur eine Eintagsfliege ist“, sagt Sauerhöfer. Außerdem seien die Degerlocher wenig begeistert gewesen, dass mitten in ihre Natur ein Turm gebaut werden sollte. Zudem war lange die Frage der Finanzierung offen, und man suchte nach Sponsoren. Schließlich hatte der Vorläufer des heutigen Südwestrundfunks, der Süddeutsche Rundfunk (SDR), ein Einsehen und finanzierte den Bau. Im Juni 1954 erhielt der Sender die Baugenehmigung.

Wenn man sich heute die Videos ansieht von den 20 Monate dauernden Bauarbeiten, staunt man, was früher erlaubt war: Da balancieren Arbeiter ungesichert in extremen Höhen auf Holzbalken und transportieren die Baumaterialien per Flaschenzug nach oben. „Nur beim Richtfest wollte man dann sicher gehen: Das Bier wurde mit dem Hubschrauber nach oben geliefert“, sagt Sauerhöfer schmunzelnd. Am 5. Februar 1956 war es dann so weit: Der Fernsehturm wurde eröffnet. Insgesamt hatte der SDR dazu 4,2 Millionen Mark in die Hand nehmen müssen – doch vier Jahre später war das Geld wieder eingenommen.

Fallschirmspringen vom Fernsehturm hinab

Nachdem der Konstrukteur Leonhardt 1999 gestorben war, gab es immer wieder schweißtreibende oder waghalsige Experimente an und in dem Turm – Leonhardt hatte für solche Dinge keinen Sinn. So sprang im Juli 2001 der Stuttgarter Weltmeister im Fallschirmspringen, Klaus Renz, vom Fernsehturm. Drei Jahre später fuhr der Stunt-Künstler Johann Traber über Stahlseile mit einem Smart am Fernsehturm hoch und stellte in 53 Metern Höhe einen neuen Weltrekord auf. Und immer wieder maßen sich Sportler beim Treppenlauf-Wettbewerb im Inneren des Turms: Der Rekord liegt bei 4:05 Minuten, den Thomas Dold aufstellte.

Als der Oberbürgermeister Fritz Kuhn am 27. März 2013 dann verkündete, dass der Fernsehturm aus Brandschutzgründen geschlossen werden müsse, war nicht nur die Bevölkerung entsetzt. „Es entstanden hier ganz wilde Ideen, wie dass man eine Außenrutsche bauen könne als weiteren Fluchtweg“, weiß Sauerhöfer. Doch die Lösung war einfacher: Alle theoretisch brennbaren Kabel wurden umhüllt von Blechkästen, die mit Steinwolle gefüllt wurden.

Eine Führung kostet 10,50 Euro

Am 30. Januar 2016 wurde der Fernsehturm dann rechtzeitig zum 60-jährigen Bestehen wiedereröffnet. Nur in den Bauch des Turms kommt man aus Brandschutzgründen seitdem nicht mehr hinein. Dafür gibt es regelmäßig ein anderes Spektakel zu bewundern: „Wenn die Fenster gereinigt werden müssen und unsere Fensterputzer von außen aus ihrem baumelnden Korb ins Café hineinschauen“, sagt Sauerhöfer, „das ist jedes Mal ein echter Hingucker“.

Termine
Jeden zweiten Montag gibt es zu unterschiedlichen Zeiten auf dem Fernsehturm Führungen in deutscher Sprache. Eine Führung kostet pro Person 10,50 Euro, dazu kommt der Eintritt. Plätze für Führungen kann man online auf www.fernsehturm-stuttgart.de reservieren.