Das Stuttgarter Filmemacher-Duo Böller und Brot porträtiert die Schriftstellerin Sibylle Berg – eine Frau, die polarisiert. Ein Interview anlässlich der Premiere bei den Hofer Filmtagen.

Stuttgart – - Mit „Schotter wie Heu“ über die kleinste Bank Deutschlands feierten sie 2003 ihren ersten Erfolg, für „Alarm am Hauptbahnhof“ über den Protest gegen Stuttgart 21 erhielten sie 2012 den Grimme-Preis: Wiltrud Baier und Sigrun Köhler alias Böller und Brot zählen zu den eigensinnigsten Dokumentarfilmerinnen Deutschlands. Eigensinnig ist auch die Frau, der sie jetzt ein Porträt gewidmet haben: „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ ist der erste Langfilm über die in Zürich lebende Kolumnistin, Theater- und Romanautorin. Die Dokumentation läuft am Wochenende bei den Filmtagen in Hof. – Böller und Brot sprechen in aller Regel mit einer Stimme, auch in der Abschrift des Interviews.
Sigrun Köhler (l.) und Wiltrud Baier Foto: privat
Frau Baier, Frau Köhler, wie kam es zur Idee, einen Film über Sibylle Berg zu drehen?
Die Idee stammt von Justus Pankau, unserem Kamera-Dozenten an der Ludwigsburger Filmakademie. Dieses Urgestein der Stuttgarter Dokumentarfilm-Schule hat uns apodiktisch gesagt: „Ihr müsst einen Film über Sibylle Berg machen!“ – Ja, klar, haben wir geantwortet, auf uns wird sie gerade gewartet haben. Trotzdem haben wir unser bestes Briefpapier genommen . . .
Keine Mail?
Nein, bestes französisches Briefpapier, dazu noch unsere schönste Handschrift! Und Frau Bergs Antwort kam prompt . . .
 . . . per Brief?
Per Mail. Darin schrieb sie, dass unser wunderschönes Briefpapier von ihrer Assistentin soeben „hereingeschleppt“ worden sei. „Hereingeschleppt“, obwohl es ein ganz leichtes, ganz zartes Blatt war! Daraus hat sich eine Korrespondenz entsponnen, die Sibylle für uns immer interessanter machte.
Sie duzen einander?
Wie viele Prominente ist auch Sibylle Berg in der Lage, schnell eine Nähe zu Menschen aufzubauen, vielleicht auch nur die Illusion einer Nähe. Uns hat sie „Doku-Schlampen“ genannt, was wir fast zu unserer neuen Berufsbezeichnung machen möchten . . . Ihre Distanz gibt sie bei aller Nähe aber nie auf – das klingt paradox, beschreibt aber unser spezielles Verhältnis zu ihr recht genau. Wir wollten Frau Berg natürlich während der Dreharbeiten respektvoll mit „Sie“ ansprechen, aber sie hatte keine Lust, uns zwei Jahre lang zu siezen. Wir haben uns dann auf „Du, Frau Berg“ geeinigt.
Kannten Sie die Autorin denn schon vor dem „hereingeschleppten“ Kontaktbrief?
Als öffentliche Figur war sie uns präsent, zu ihren Büchern aber hatten wir ein ambivalentes Verhältnis: zu düster, zu grau, zu depressiv. Doch dann die Überraschung: über die Korrespondenz haben wir nicht nur ihre Sprache, sondern auch ihren unglaublichen Humor zu schätzen gelernt. Hinzu kommt, dass in unseren Filmen bisher immer nur ältere Herren im Mittelpunkt standen, wir uns also regelmäßig am Machismo abgearbeitet haben. Es war an der Zeit, das zu ändern. Was besseres als Sibylle Berg hätte uns da kaum widerfahren können.
Wirklich? Mich hat Ihre Themenwahl überrascht: Bisher haben Sie randständige Phänomene zum Thema Ihrer Filme gemacht. Sibylle Berg aber steht als Autorin und Kolumnistin im Fokus der Öffentlichkeit.
Frau Berg sagt, sie mache „Randgruppenscheiße“ – obwohl sie lieber einen „Millionen-Mega-Bestseller“ schreiben und richtig viel Kohle verdienen würde. So jedenfalls ist es im Film zu hören.
Wie fing die Zusammenarbeit konkret an?
Zögernd und zaudernd, von beiden Seiten. Ein neunzigminütiges Porträt zu drehen bedeutet, eine Beziehung miteinander einzugehen. Das wollte gut überlegt sein, zumal Sibylle der Ruf anhaftete, eine schillernde und schwierige Person zu sein. Umgekehrt musste auch sie sich darüber im Klaren werden, dass unsere Kamera ihr im Nacken sitzen würde. Man braucht also gegenseitiges Vertrauen, um über zwei Drehjahre hinweg solch ein Wagnis einzugehen. Die Initialzündung kam dann im Dezember 2012, als Sibylle Berg in Los Angeles Urlaub machte.
Was geschah da?
Frau Berg ist ein großer Fan schöner Architektur. In L. A. wollte sie ein Haus des Architekten John Lautner sehen, die Goldstein-Residence, ein auch aus Hollywood-Filmen bekanntes, traumhaft über der Stadt schwebendes Gebäude. „Könnt Ihr mich da reinbringen?“ hat sie uns gefragt. In diesem Haus würde sie gerne wohnen, aber es „gebricht mir an den finanziellen Möglichkeiten“, wie sie es so schön formuliert. Mit der gleichen Naivität, mit der wir zuvor sie angeschrieben hatten, haben wir dann auch den Besitzer der Villa kontaktiert: „Ja, kein Problem, kommt vorbei.“ – Wow! Wir haben dann überlegt, ob wir wirklich nach L. A. fliegen sollen, das ist ja nicht billig: Wer weiß, ob Frau Berg, die wir bis dahin nicht persönlich kannten, auch kommt? Und ob uns der Milliardär auch wirklich in sein Haus lässt? Aber irgendwann war klar: Wenn wir einen Film mit Sibylle Berg drehen wollen, dann müssen wir die Gelegenheit beim Schopf packen. Es hat dann auf wunderbar Weise alles geklappt, und Sibylles Interesse an Architektur bot uns die Möglichkeit, für unser tendenziell abstraktes Thema – eine Literatin und ihre Literatur – aufregende Räume zu finden.
Als Sibylle Berg anschließend im Frühjahr 2013 nach Stuttgart kam, um als Ko-Regisseurin von Hasko Weber ihr Stück „Angst reist mit“ uraufzuführen, waren Sie ebenfalls mit der Kamera dabei . . .
Ja, wir dachten, das wird das Herzstück unseres Projekts: Sibylle inszeniert ihre eigenen Texte. Wir haben die sechswöchigen Probenarbeiten am Staatstheater begleitet. Im Film ist davon allerdings nur wenig übrig geblieben.
Warum?
Auch das gehört zum Dokumentarfilm: Manche Sachen stellt man sich toll vor, erweisen sich aber als langweilig.
Ihr Filmtitel stellt eine starke Frage: „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ Geben Sie darauf eine Antwort?
Nein, darauf gibt’s keine Antwort. Aber wir umkreisen das Phänomen, dass Sibylle stark polarisiert. Damit beginnt unsere Dokumentation, mit einem Ausschnitt aus einem Radio-Interview, in dem Frau Berg mit den über sie kursierenden Stereotypen konfrontiert wird: Sie sei eine Hasspredigerin, welche die Leute provoziere und vor der man sich fürchten müsse. „Falsch, falsch, falsch“, sagt sie dazu nur: „Die Leute fühlen sich durch mich provoziert, und ich blicke das Ganze voller Unverständnis an.“
Hatten denn Sie als Regisseurinnen Angst vor Sibylle Berg?
Nicht während des Drehs, aber danach: es war das erste Mal, dass wir einem unserer Protagonisten das Recht eingeräumt haben, den Film zu zensieren. „Ihr wisst, dass ich eitel bin“, hat Frau Berg uns „Doku-Schlampen“ gewarnt, „alle Szenen, in denen ich scheiße aussehe, kommen raus.“ Aber eigentlich war Frau Berg dann doch erstaunlich uneitel. Nur zwei, drei Sätze gab es, die ihr missfallen haben.