Ein Stuttgarter Start-Up Unternehmen will Senioren mit einem elektrischen Rollator mobiler machen. Im Herbst sollen die ersten hundert Exemplare produziert werden.

Stuttgart - Wer auf der Schwäbischen Alb lebt, kann nicht unbedingt darauf bauen, dass sein Einkaufsweg frei von Steigung und Gefälle verläuft. Solange man uneingeschränkt mobil ist, fällt das kaum ins Gewicht. Mit einem Rollator aber kann unter diesen Bedingungen jeder Einkauf zur Herausforderung werden. Als Benjamin Rudolph sah, wie sich die Großmutter eines Kollegen bergan quälte, hatte er eine zündende Idee: Die Zeit war reif für die Motorisierung des Gehwagens.

 

Eva Gramsch ist sehr angetan von ihrer ersten Testfahrt mit dem neuesten Modell des „ello“ auf dem Vaihinger Uni-Campus. „Es fühlt sich noch ein bisschen besser an als bei den letzten Tests“, resümiert die 88-Jährige. Als Expertin für Rollatornutzung im Alltag hat sie die Entwicklung der elektrischen Gehhilfe fast von Anfang an begleitet. Sehr zur Freude von Rudolph. Der Fach- und Wirtschaftsinformatiker erinnert sich schmunzelnd an seine Selbstversuche im öffentlichen Raum: „Teilweise haben mir die Leute Türen aufgehalten oder wollten mir in die S-Bahn helfen. Das war schon ein bisschen seltsam. Die Aufmerksamkeit meiner Mitmenschen war mir jedenfalls sicher.“

Auch ein Notruf ist absetzbar

Inzwischen ist das innovative Fortbewegungsmittel, das er gemeinsam mit Matthias Geertsema und Max Keßler auf den Weg gebracht hat, zur Marktreife gelangt. Im Herbst will das Unternehmen der drei Tüftler, eMovements, die ersten hundert Exemplare produzieren. Noch läuft eine Crowd-Investing-Kampagne über die Plattform aescuvest.de, um die Finanzierung sicherzustellen. „Von der Idee eines elektrischen Rollators waren wir sofort überzeugt“, blickt deren Geschäftsführer Patrick Pfeffer zurück. „Sie hat Zukunft und lässt sich weiterentwickeln – etwa wenn Kunden besondere Wünsche hinsichtlich eines ansprechenden Designs haben sollten.“ Das klingt abwegiger, als es ist. Eine Hupe mussten die Entwickler bereits auf ausdrücklichen Wunsch von Gehwagen-Nutzern integrieren. Dabei ist mit Höchstgeschwindigkeiten kaum zu rechnen. Der „ello“ lässt sich dem individuellen Gehtempo anpassen. Er entlastet aber entscheidend beim Transport von Einkäufen und hilft automatisch bei der Überwindung von Bordsteinkanten. Ein weiterer Vorteil ist die Bremsfunktion. „Viele Betroffene empfinden das Bergabgehen als unangenehm“, erklärt Benjamin Rudolph. „Sie haben Bedenken, der Rollator könne ihnen davonrollen. Unser Modell verfügt über eine automatische Bremse, die auch dazu beiträgt, Stürze zu vermeiden. Sollte doch etwas schiefgehen, lässt sich von „ello“ aus auch ein Notruf absetzen. Eine GPS-Ortung gehört ebenso zur Ausstattung wie Scheinwerfer, um im Dunkeln zu sehen und gesehen zu werden.

War die Idee zunächst, die neue Technologie in Form von Modulen anzubieten, mit denen sich herkömmliche Gehhilfen nachrüsten lassen sollten, so musste man bei eMovements bald schon erkennen, dass dies kaum umsetzbar sein würde. So entschloss man sich, stattdessen einen eigenen, auf dem Chassis eines Standard-Modells basierenden Wagen zu entwickeln. Der lässt sich zusammengeklappt transportieren wie die anderen heute üblichen Varianten und wiegt gerade mal vier Kilo mehr. „Der Akku soll noch kleiner werden“, merkt Rudolph an. „Derzeit ist unser entnehmbarer Stromspeicher noch etwas überdimensional. Mit der verfügbaren Energie könnte man eine Woche am Stück unterwegs sein – und ohne unseren Senioren zu nahe treten zu wollen: Ich glaube nicht, dass das nötig ist.“

In Deutschland werden pro Jahr 500 000 Rollatoren gekauft

Die Finanzierungskampagne läuft gut. Schon jetzt gibt es regelmäßig Anfragen, ob sich das Gerät erwerben lasse. Kein Wunder: In Deutschland werden jährlich rund 500 000 Rollatoren gekauft. Weil die Menschen immer älter werden, dürfte die Nachfrage in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nochmals deutlich anwachsen. „Wir lassen es trotzdem lieber nachhaltig angehen“, sagt Rudolph, der bei eMovements für das Business-Development verantwortlich ist. „Wenn die ersten hundert Rollatoren verkauft sind, werden wir 2017 mit weiteren 1000 nachlegen.“

Eva Gramsch sieht die elektronische Gehhilfe als Gewinn. Problemlos meistert sie auch unebene Strecken und einzelne Stufen. „Es fährt sich gut“, urteilt die Bewohnerin des Pflegezentrums Bethanien. „Zu Hause finde ich die Elektronik allerdings etwas unpraktisch.“ Das Problem ist mit einem Handgriff gelöst: Kaum ist der Akku abgestöpselt, funktioniert auch „ello“ wie jeder herkömmliche Rollator. Und das tadellos.