Der frühere Astronaut Thomas Reiter hat das Publikum in der Liederhalle mit der Schilderung seiner Erlebnisse im Weltall fasziniert.

Stuttgart - Findet einer, der als einziger Europäer zwei Langzeitmissionen im All verbracht hat, das Leben auf der Erde langweilig? „Nein, das kann man auf keinen Fall sagen“, antwortete der ehemalige Astronaut Thomas Reiter am Dienstagabend auf die Eingangsfrage von StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs. 700 Zuhörer haben auf Einladung der Stuttgarter Zeitung und der Robert Bosch Stiftung beim zweiten Stuttgarter Gespräch den Schilderungen von Europas erfahrenstem Astronauten gelauscht. „Man ist auf der einen Seite fasziniert von der unglaublichen Schönheit dieses Anblicks der Erde von außen, aber man wird auch immer wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt“, erklärt Reiter. Als er beispielsweise während einer seiner Missionen nachts aus dem All auf Europa blickte, die beleuchteten Küstenlinien betrachtete – und dann auf einmal eine „pechschwarze“ Region sah: Der damalige Balkankrieg war aus dem All gut zu sehen.

 

Spürt man als Astronaut im All die politischen Spannungen in der internationalen Zusammenarbeit? „Nein, da herrscht Einigkeit“, sagt Reiter. „Wir arbeiten seit Jahrzehnten zusammen und verfolgen ein gemeinsames Ziel.“ Selbst bei größten Differenzen auf der Erde bilde sich auf der Internationalen Raumstation (ISS) eine Art Familienatmosphäre aus.

„Das nächste logische Ziel ist der Mond“

Natürlich war auch der Mars ein Thema – und mögliches Leben auf dem Roten Planeten. Reiter hält es für realistisch, dass Menschen in rund 20 Jahren auf dem Mars landen. „Aber das nächste logische Ziel ist der Mond“, betont der heutige Funktionär der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Schließlich dauere allein der Hinflug zum Mars sieben Monate, so dass eine Mission zwei bis drei Jahre benötige. „Da muss man wesentlich autonomer arbeiten als heute.“ Der Mond biete sich aber nicht nur als Test für den Mars an, sondern auch als Station für einen tieferen Blick ins All.

Wieso wollen die Amerikaner zum Mars? Mit Aussagen dazu ist Reiter vorsichtig. Es habe Stimmen gegeben, dass das Budget selbst der Nasa dafür zu klein sei. Und angesichts der neuen Regierung, spielt er auf Donald Trump an, „muss man sehen“. Spannend findet er die Frage, wie der Mars zu dem geworden ist, was er heute ist. Schließlich sei es unbestritten, dass es dort einst Wasser gegeben habe. Wie ist dieses Wasser verschwunden? Könnte der Erde ein ähnliches Schicksal bevorstehen? Und die zweite Frage: Hat es dort einst Leben gegeben – und gibt es das immer noch?

Komplizierte Raumfahrtprojekte

Man dürfe sich Raumfahrtprojekte nicht zu einfach vorstellen, sagt Reiter, als Joachim Dorfs ihn auf den verunglückten Lander in der Exomars-Mission anspricht. „Das war eine große Enttäuschung“, gibt Reiter zu, „es hat nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben.“ Auf der anderen Seite habe die Esa viele Erfolge gehabt, so dass der falsche Eindruck entstanden sei, dass so etwas „ganz easy“ sei.

Sicher hat auch der ein oder andere heutige Student der Luft- und Raumfahrttechnik ähnliche Träume – und die Esa-Astronauten werden nicht müde, die Studierenden zu ermuntern, an ihre Träume zu glauben. Stuttgart bietet den einzigen zivilen Studiengang für Luft- und Raumfahrttechnik in Deutschland an.

Raumfahrt-Studierende fragen ihr Vorbild

Von den 1700 Studierenden waren 30 ebenfalls zu der Veranstaltung eingeladen. Auch sie hatten Fragen an ihr Vorbild: Was der Unterschied zwischen der russischen Raumstation Mir und der heutigen ISS sei, wollte ein Student wissen. „Der Speiseplan ist vielfältiger geworden“, sagt Reiter – und erntet Lacher aus dem Publikum. Früher habe er zudem schon mal mit dem Lötkolben auf der Mir etwas repariert. „Damit kommt man heute auf der ISS nicht so weit“, meint Reiter. In Richtung Mond und Mars gedacht wird sich das aus seiner Sicht aber wieder ändern müssen – wegen des großen logistischen Aufwandes, der die Lieferung von Ersatzteilen erschwert. Womöglich wird der Lötkolben auf dem Mond also ein Comeback erleben.