Das Ferdinand-Porsche-Gymnasium in Stuttgart Bad Cannstatt hat viele Promis hervorgebracht. Zum Jubiläum wagt es einen kritischen Blick zurück – und analysiert, worauf es heute ankommt.

Stuttgart - Findige Köpfe hat das Gottlieb-Daimler-Gymnasium (GDG) immer wieder hervorgebracht. 1838 als Latein- und Realschule für die Kinder aus dem Neckar- und dem Remstal in Cannstatt gegründet, sollte sie breiten Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit bieten, die nötigen Erkenntnisse in den „Realien“ zu erwerben. Damit sollten die Schüler besser für das praktische Leben gerüstet sein. Der Anspruch war nicht elitär, aber fundiert naturwissenschaftlich-technisch. Wen wundert es da, dass Leute wie der Flugzeugpionier Hellmuth Hirth oder der Sportwagenkonstrukteur Ferry Porsche aus dieser Schule hervorgingen, die damals noch Oberrealschule hieß.

 

Es charakterisiert das GDG von heute, dass es die kritische Auseinandersetzung mit ihrem Ehemaligen Ernst Heinkel (Reifeprüfung 1906) bewusst in die Jubiläumsfeierlichkeiten aufgenommen hat. Der Politikwissenschaftler Roman Fröhlich wird vor Lehrern und Schülern die Rolle des Ingenieurs und Flugzeugbauers in der NS-Zeit und beim skrupellosen Einsatz jüdischer Häftlinge beleuchten.

Zwei Bürgermeister, ein Bundesaußenminister

Doch das Gottlieb-Daimler-Gymnasium, wie die Bildungsstätte seit 1954 heißt, brachte auch andere Talente hervor, darunter zwei Stuttgarter Bürgermeister: Klaus Lang und Michael Föll (beide CDU). Und einen Mann namens Joschka Fischer. Allerdings verließ der spätere Außenminister (1998 bis 2005) die Schule noch vor der zehnten Klasse – unfreiwillig, wie es hieß. Seiner beruflichen Karriere tat dies keinen Abbruch. Von den „Realien“ hatte er offenbar genügend vermittelt bekommen.

Dass das GDG inzwischen die Auszeichnung zur „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ trägt, würde vermutlich auch Joschka Fischer gefallen. Bewusst hat sich die Schule auf den Weg gemacht, Jugendliche zu Toleranz, zu Gewaltfreiheit und zum Abbau von Vorurteilen zu erziehen. Das ist kein Zufall. Denn die Schülerschaft sei ausgesprochen heterogen, berichtet Verena König. Sie leitet das GDG seit 2008 und steht voll hinter der Aussage ihres Vorgängers Matthias Dimter: „23 Nationen sind eine Bereicherung.“

Früher kamen Ausländer zur Kur nach Bad Cannstat

Ausländer hatte die Schule auch früher schon. Allerdings waren es zur Zeit der Jahrhundertwende die Kinder der zur Kur in Cannstatt weilenden Russen, Engländer und Amerikaner. Heute bringen die Kinder vom Hallschlag oder Bad Cannstatts Mitte internationales Flair mit. Für Verena König tut dieser Unterschied nichts zur Sache. „Die Frage ist doch: wer ist an Bildung interessiert? Wer möchte, dass seine Kinder was lernen? Da ist es doch egal, wo der herkommt – Bildungsinteresse drückt sich nicht aus in Bücherregalen und Theaterabos.“ Verena König ist in Leipzig groß geworden und hat nicht vergessen, wie es ist, als einziges Kind aus einer Arbeiterfamilie aufs Gymnasium zu gehen und eine akademische Karriere anzustreben.

Der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung habe am GDG bisher keine Veränderungen gebracht, sagt die Schulleiterin. Vom ersten Tag an lernen die Fünftklässler dort zwei Fremdsprachen: Englisch/Latein oder Englisch/Französisch. Dies sei entgegen mancher Vorurteile keine Überforderung, meint die Pädagogin. Die Schule müsse allerdings klare Strukturen bieten. Am GDG betreuen Schülermentoren die Fünft- und Sechstklässler an drei Tagen bei den Hausaufgaben. Dass die fünf Lehrerwochenstunden für deren Anleitung gestrichen wurden, findet Verena König „nicht in Ordnung“.

Eine wichtige Voraussetzung, damit Schule gelinge, sei, die Eltern ernst zu nehmen. Etwa durch Gespräche. Ganz praktisch helfe es ihnen aber auch, wenn sie ein halbes Jahr vorher die Termine für die Klassenarbeiten erfahren.

Konflikte gebe es trotz Paten und Streitschlichterprogramm. Aber auch klare Regeln: wer dagegen verstößt, erhält einen Eintrag, danach folgt die soziale Wiedergutmachung. Sorge bereitet Verena König, dass die Landesregierung den versprochenen Ethikunterricht für Klasse fünf und sechs noch nicht umsetze. Muslimische oder orthodoxe Kinder gingen nicht in den katholischen oder evangelischen Religionsunterricht. „Wir schicken die Kinder dann nach Hause.“

Das Gymnasium wünscht sich einen Sozialarbeiter

Wegen unterschiedlichster sozialer Problemlagen wünscht sich Verena König einen Sozialarbeiter für ihr Gymnasium. Das Bonuscard-System sei zwar gut, die Stadt „ein toller Schulträger“. Aber die Anforderung, junge Menschen wirklich zu begleiten, könnten Lehrer neben dem klassischen Unterricht nur bedingt leisten. Da bedürfe es einer anderen Fachlichkeit. Dass es jedes Jahr Fünftklässler gebe, die ganz allein zur Aufnahmefeier erscheinen, tut Verena König in der Seele weh.

Und was zeigt der Blick in die Zukunft? Die Hausaufgabenbetreuung am GDG soll beibehalten werden. Auch an den Klassenlehrerteams halte man fest. Ein Sozialcurriculum soll erprobt werden – in Klasse neun. Und: mit dem Unternehmen des Namenspatrons soll erstmals eine Bildungspartnerschaft eingegangen werden. Unter dem Namen Genius bündelt der Autobauer seine Bildungsaktivitäten für Kinder und Jugendliche. „Ziel der Wissens-Community ist es, Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik zu wecken“, formuliert die PR-Abteilung.

Die Begeisterung für Technik treibt Schüler auch heute an

Beim GDG dürfte das Projekt mit Daimler auf offene Ohren stoßen. Denn dort gibt es bereits eine überaus rührige Sofia AG, deren Teilnehmer schon nach Kalifornien gereist sind, zur Nasa, um das wissenschaftliche Zentrum der fliegenden Sternwarte zu besuchen. Der Griff zu den Sternen ist in dem Cannstatter Gymnasium also schon angelegt – auch in Form einer Astronomie-AG. Die Begeisterung für Wissenschaft und Technik ist da – weiteres Futter ist höchst erwünscht.