Die neuen Shopping-Zentren Milaneo und Gerber werden vom Herbst an die Stuttgarter City mit prägen. Damit steigt die Dominanz des Einzelhandels, doch die Innenstadt braucht auch andere Perspektiven, schreibt Erik Raidt in seinem Leitartikel.

Stuttgart - In welcher Stadt wollen wir morgen leben? Diese Frage hat in dieser Woche an Brisanz gewonnen. Das neue Einkaufszentrum Milaneo, das im Herbst im Stuttgarter Europaviertel öffnen wird, präsentierte die Namen der ersten Mieter. Neben dem Textildiscounter H& M zieht eine Bekleidungskette ein, die von jungen Kundinnen heiß geliebt und von Kritikern genauso leidenschaftlich abgelehnt wird: Primark spaltet die Öffentlichkeit, weil das Label – wie andere Billigketten – in Bangladesch auf dem Rücken der Beschäftigten zu Niedrigstlöhnen produziert.

 

Der Einzelhandel gehört zur Innenstadt. Dort, wo er funktioniert, bereichert er sie, und es ist kein Stuttgarter Phänomen, dass die City von bekannten Herstellern bevölkert ist. Es wäre naiv, anzunehmen, dass sich an der Dominanz des Einzelhandels entlang der Königstraße in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. Dennoch lohnt es sich, angesichts der zeitgleichen Eröffnung der Shopping-Giganten Milaneo und des Gerber an der Paulinenbrücke eine Frage zu stellen: Sollte die Innenstadt nicht auch für jene einladend sein, die nicht kommen, um dort einzukaufen?

Die City als Monopolyspielbrett

Seit Jahren wird von der Innenstadt in einer Sprache gesprochen, die viel darüber verrät, wie sie wahrgenommen wird: Es geht um 1-A-Lagen und Filetstücke und darum, welche Marke sich mit einem „Flagshipstore“ strategisch günstig platzieren. Die City ist ein Monopolyspielbrett, auf dem die Investoren darum wetteifern, den höchsten Ertrag zu erzielen.

Wie aber wäre es, wenn man von dieser Betrachtungsweise zurückträte – von all den privaten Interessen, die ihre Bedürfnisse an die Innenstadt formulieren? Dann landet man bei der Frage nach dem öffentlichen Raum – jenem Raum, in dem sich alle aufhalten können, um frei und selbstbestimmt dort zu leben. Einem Raum, der allen gehört. Wer den Schlossplatz im Frühling von seiner Sonnenseite sieht, entdeckt einen Platz, der von den Bürgern in Besitz genommen wird, auf dem sie sich ausruhen und reden. An diesem Ort müssen sie nicht konsumieren. Es bleibt jedem selbst überlassen, was er tut, ohne, dass er von einer unsichtbaren Hand gelenkt wird.

Nur Fingerzeige, kein klarer Plan

Stuttgart, die Stadt, die wie in einem Korsett von ihren Hügeln eingezwängt wird, hat ein Raumproblem. Viele Plätze, die diesen Namen tragen, verdienen ihn nicht, weil sie Platz nur für Autos bieten, wie der Österreichische Platz oder der Charlottenplatz. Der Verkehr und der Einzelhandel, in kleineren Bereichen auch die Kultur prägen heute die Innenstadt. Die Kommunalpolitik wird Antworten darauf geben müssen, ob sich die City in Zukunft auch anderen Interessensgruppen zuwenden will. Es ist nachvollziehbar, wenn der Oberbürgermeister Fritz Kuhn wiederholt sagt, dass es in Stuttgart mit dem Gerber und dem Milaneo nun gut sein müsse mit den neuen Einkaufszentren.

Jenseits dieses Fingerzeigs hat er bisher allerdings versäumt, deutlich zu machen, wie er sich eine lebenswerte Innenstadt vorstellt. Welche Interessen haben die Gastronomen, welche die Jugendlichen, für die in der Innenstadt jenseits von Shoppingmöglichkeiten kaum Erlebnisräume existieren? Wie bleibt die Innenstadt für die wachsende Zahl der Älteren attraktiv?

Als bekannt wurde, dass auf dem Marktplatz das einzige Café schließt, weil sich der Betrieb wirtschaftlich nicht mehr lohnt, wollte die CDU über den Marktplatz diskutieren – und bekam von ihrem Finanzbürgermeister Michael Föll signalisiert, dass man die Prinzipien der Marktwirtschaft nicht aushebeln könne. Das ist nachvollziehbar. Aber es genügt nicht, dass sich die Kommunalpolitik auf diese Position zurückzieht. Stuttgarts Innenstadt muss wieder vielfältiger werden. Dazu sollte die Politik einen Plan entwickeln und gleich zu Beginn ihre Bürger fragen: Wie stellen Sie sich die Innenstadt vor?