Der Eigenbetrieb macht bis 2017 rund 24 Millionen Euro mehr Verlust als geplant. Die Stadt will mehr Kontrolle über das Klinikum und strebt deshalb die Umwandlung eine Anstalt des öffentlichen Rechts um.

Stuttgart - Das Geschäftsgebaren seiner internationalen Abteilung (IU) treibt das Stuttgarter Klinikum immer tiefer in die Krise. Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU), vom 1. August an für die Krankenhäuser zuständig, hat am Freitag die Fraktionsvorsitzenden informiert, dass die Stadt für das vergangene und für dieses Jahr einen um 21,4 Millionen Euro höheren Verlust (44,5 Millionen Euro) ausgleichen muss und auch für 2017 wegen unrealistisch hoher Fallzahlprognosen eine Erhöhung des veranschlagten Defizits erwartet: 10,6 statt 5,3 Millionen Euro. Die Behandlung ausländischer Patienten hatten Klinikums- und Rathausspitze in den vergangenen Jahren stets als erfolgreiches Modell zum Defizitausgleich gepriesen.

 

Vertrauen war da, Kontrolle nicht

Damit das Haus künftig besser überwacht werden kann, erwägt man eine Umwandlung des als Eigenbetrieb geführten Klinikums in eine kommunale Anstalt öffentlichen Rechts, die dann einen mit Fachleuten besetzten Verwaltungsrat hätte. Der Krankenhausausschuss  konnte  seine Kon-trollaufgaben nicht wahrnehmen – auch deshalb nicht, weil dem Träger über Jahre Unterlagen wie kritische Revisionsberichte samt Handlungsempfehlungen vorenthalten worden sein sollen.

Im vorläufigen Jahresabschluss 2015 des Klinikums befinden sich Rückstellungen von 7,7 Millionen Euro, die im Wesentlichen zu geringen Einnahmen für die Behandlung von mehr als 350 libyschen Kriegsversehrten sowie einer drohenden Umsatzsteuernachzahlung geschuldet sind. Und dem Vorhaben, die medizinische Leistung im Razi-Krankenhaus für Orthopädie in Kuwait durch eigene und externe Ärzte zu verbessern. Von 2013 bis April 2015 waren 400 Operationen vorgenommen und 3000 Patienten ambulant behandelt worden. Das ist keine geheime Operation gewesen: Im September 2011 war eine kuwaitische Delegation dafür nach Stuttgart gereist und vom damaligen OB Schuster begrüßt worden.

Landgericht sieht Provisonszahlungen kritisch

Die übliche Praxis der Vergütung von Patientenvermittlern mittels Provisionen, deren Höhe von den Behandlungskosten abhängen, sieht mittlerweile auch die Rathausspitze kritisch und wird sie so nicht weiterführen. Das Landgericht Kiel hat schon 2011 geurteilt, es widerspreche dem Prinzip der freien Arztwahl, wenn Vermittler uninformierte Patienten dorthin vermittelten, wo sie die höchste „Fangprämie“ erhielten. Bundesärztekammerpräsident Montgomery sprach von „klaren Fällen von verbotener Zuweisung gegen Entgelt, das verbietet das ärztliche Berufsrecht“.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft betont dagegen auf StZ-Anfrage, Patienten würden Vermittler gerade deshalb aufsuchen, damit diese eine Klinik auswählten. Das Geschäft mit den ausländischen Patienten will die Stadt nicht aufgeben, sonder transparent und auf sicherer rechtlicher Basis fortsetzen, etwa indem nur bestimmte Vermittler akkreditiert werden.

Die Branche der Vermittler ist intransparent

Aber wer ist in dieser Branche, die keine Qualitätskontrolle kennt, über alle Zweifel erhaben? Der Markt sei intransparent, weiß Jens Juszczak, Wissenschaftler an der Uni Bonn-Rhein-Sieg, der sich seit vielen Jahren mit Medizintourismus und Vermittlern beschäftigt und die Auswüchse kennt. Das Klinikum arbeitet seit Jahren mit Einzelkämpfern wie Nabel Abu-Rikab zusammen, der sich um die 350 Libyer kümmerte, aber auch um das Kuwaitgeschäft. Aber auch der Branchenführer Europe Health aus München ist Partner des Klinikums, die Schwester der Stuttgarter Statthalterin soll sogar in der IU beschäftigt sein. Die Projektentwicklungstochter Health Care Management International GmbH ist ebenfalls in das Kuwaitprojekt involviert, das die Stadt wegen der angeblich unsicheren vertraglichen Situation beenden will. An sie und drei weitere Dienstleister sollen laut Rechnungsprüfungsamt für das 46,2 Millionen Euro umfassende Projekt mit einer Laufzeit von drei Jahren 25,1 Millionen Euro geflossen sein. Diese Summe soll ungleich verteilt sein. Abu-Rikab Firma erhält offenbar lediglich 15 000 Euro im Monat. Das Klinikum muss sich mit drei Millionen Gewinn bescheiden – maximal. Bürgermeister Föll soll bei der Besprechung mit den Fraktionschefs auch einen Korruptionsverdacht geäußert haben.

Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit der IU, die Stadt hat zudem die Anwaltskanzlei BRP Renaud und Partner eingeschaltet, um in straf-, zivil- und arbeitsrechtlicher Hinsicht Licht ins Dunkel zu bringen. Womöglich finden sie auch Sponsorenrechnungen für Events in arabischen Botschaften.

Stadt will ihr Geld zurück

Der freigestellte Abteilungsleiter Andreas Braun hat offenbar ohne Kontrolle durch Klinikums-Organe schalten und walten können. „Eine isolierte Abteilung“ sei das gewesen, heißt es – und eine überforderte dazu, wie das Chaos bei der Abrechnung von Kosten für die Unterkunft von Patienten zeigt, die die IU selbst organisierte. Die Stadt behält sich vor, nicht nur gegen Braun, sondern auch gegen den geschassten Direktor Ralf-Michael Schmitz vorzugehen. Vom ihm erwartet man, dass er den entstandenen Schaden begleicht.

Kritische Fragen werden auch den Chefärzten gestellt. Offenbar haben sich die Anzeichen für überhöhte Patientenabrechnungen bei der Behandlung ausländischer Patienten verdichtet. Hatte ein Klinikarzt 2013 nach der Ankunft von rund 140 libyschen Verletzten noch eine Behandlungsdauer von wenigen Wochen diagnostiziert, so blieben die meisten rund ein Vierteljahr unter teurer Chefarztkontrolle. Die Überraschung, dass es sich nicht um Schwerverletzte, sondern unzureichend Operierte handelte, dürfte vorgetäuscht gewesen sein. Das Klinikum hatte dem libyschen Kriegsversehrtenkomitee zuvor exakte Kostenvoranschläge auf Basis überlieferter Krankenakten gestellt.

Die ZDF-Sendung „Frontal 21“ hat 2015 den Fall eines krebskranken Russen kons-truiert und mit versteckter Kamera gefilmt. Das Klinikum hatte demnach nicht nur unerlaubt Patientendaten an eine private Vermittlerin weitergegeben; diese hätte eine Behandlung für 7700 Euro auch für 35 000 bis 40 000 Euro verkauft.