Der erfolgreiche Stuttgarter Künstler Marc C. Woehr stellt europaweit in Galerien aus - im Kunstmuseum hängt bisher aber noch kein Werk von ihm. Im Interview haben wir mit ihm über sein Schaffen, den Kunstmarkt und seinen Platz („An der Wand“) gesprochen.

Stuttgart - Kunst ist ein Geschäft, so viel wird schnell klar, wenn man einen Künstler wie Marc C. Woehr trifft. Sowohl im Sinne vom schwäbischen Schaffen als auch im Kontext von Markt und Handel. Dazu später mehr. Zunächst etwas das Klischee abklopfen: Künstler, waren das nicht die, die bis in die Puppen ratzen und dann den Spruch raushauen „nachts bin ich besonders kreativ“?

 

„Ach bitte nein, das würde gar nicht gehen“, sagt Woehr und lacht. Er „stempelt“ jeden Tag um 9 Uhr und führt im Anschluss einen sehr disziplinierten, durchstrukturierten Alltag. Künstler ist ein Fulltime-Job, das geht nicht als Hobby abends im Wohnzimmer nebenher: „Da erreichst du nichts.“ Und zu tun gibt’s immer einiges, die nächste Galerie, in der Marc C. Woehr ausstellen will, wartet schon.

Marc C. Woehr empfängt uns also pünktlich zu Arbeitsbeginn im Hof des Kreativ-Komplex Rotebühlstraße 51a, der auch seine Urban Art Gallery (UAG) beherbergt. Die schwarze Fassade des Gebäudes bemalt er regelmäßig mit der typischen Woehrschen Anordnung von geometrischen Formen und Linien. „Könnte ich auch mal wieder neu machen“, murmelt er beim Rundgang.

Zu wenig Zeit für die eigene Urban Art Gallery  

Nur: Dafür hat Marc C. Woehr aufgrund seines aktuellen Erfolgs, der ihn und seine Kunstwerke gerade im vergangenen Jahr durch ganz Europa geführt hat und dabei öfters in die Kunst-Metropole Paris („Champs-Élysées, bäm!“), gerade überhaupt keine Zeit. Wie auch für die Urban Art Gallery selbst, die mit ihrem, nennen wir es einfachhalber „Streetart-Konzept“ im Großraum Stuttgart, vielleicht in ganz Ba-Wü oder sogar in ganz Deutschland, Galerie-Neuland betreten hat. „Da ich nicht wirklich Zeit finde, um gute Ausstellungen zu generieren, werde ich die Tore diesen Sommer schließen“, erklärt Marc C. Woehr während des Gesprächs. Es gehen gerade nun mal andere Ding vor. Der internationalen Kunstwelt mit seiner abstrakten Darstellung von Urbanität einen Stempel aufdrücken, zum Beispiel.

Mit seiner Werkstatt und seinem Atelier wird er weiterhin auf der Grenzlinie S-Mitte und S-West residieren. Mit einem tonnenschweren Laser in der Werkstatt im Erdgeschoss sowie seinen unzähligen fertigen Gemälden, Papierschnitten, Collagen, Reliefs sowie riesigen Quadern, die Woehr in der UAG bunkert, zieht man nicht so schnell um. Wohin denn auch? Hier ist seine Infrastruktur gewachsen, mit all den Dingen, die er für seine Arbeit braucht, wie den besagten Laser, auf dem er die einzelnen Elemente seiner bisweilen monströsen, vielschichtigen Reliefs zuschneidet, aus denen seine Definition von Stadt aufgeschichtet wird. Gerade diese Reliefs, die er seit 2013 entwirft, bekommen gerade sehr viel Aufmerksamkeit, erzählt er.

Geodaten verraten den Ort des Kunstwerks 

Der Ausgangspunkt eines jeden neuen Kunstwerks ist immer ein Ort, an dem Marc C. Woehr einmal war und dort „einen bleibenden Eindruck hatte“. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Stadt. „Ich will sie aber nicht als realistische Stadt abbilden.“ Der Ort sei immer nur der Anlass dazu, dem Betrachter viel Raum zu lassen für die eigene Interpretation. Man muss sich gerade bei den Reliefs in die Vogelperspektive versetzen und in die verschiedenen Ebenen visuell hineinfliegen. Was man dann sieht, ob Wolkenkratzer, Häuser, Straßenschluchten, Parks oder Flüsse, bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen. Für all diejenigen, die dann noch genau wissen wollen, welchen Ort der Erschaffer kreiert hat, sind neben dem Kunstwerk die entsprechenden Geodaten vermerkt.

Marc C. Woehr führt durch die noch bestehende UAG. Zum Zeitpunkt unseres Besuches liegt am Boden das nächste Großwerk für eine weitere Ausstellung in Paris, die im April gezeigt wurde. Die einzelnen Bestandteile sind mit kleinen Post-its versehen, mit welcher Farbe die Stücke jeweils lackiert sind. Ein kleines Model davon steht auf der Bar der UAG. Wie ein Puzzle, nur ziemlich anders. Dem Außenstehenden wird schwindelig in Anbetracht des Wirrwarrs.

Wie entwickelt und baut er überhaupt so ein komplexes Objekt? „Die Ideen im Kopf wandern aufs Papier, werden am Rechner konstruiert, in Pfade umgewandelt und gehen dann in die Produktion. Von der Idee bis zum fertigen Objekt kann es auch mal sechs Monate dauern.“ Von seinem Kopf geht das fertige Kunstwerk dann in den Kopf des Betrachters. Sollte es zumindest, wenn jener sich etwas bemüht. „Meine Arbeiten sind nicht Mainstream. Man muss sein Hirn schon etwas anstrengen, was für mich zur zeitgenössischen Kunst einfach dazugehört.“

Ein geiles Bild allein reicht nicht 

Das Resultat muss eine Aussage treffen, eine Idee verfolgen und man sollte hinterfragen, die Dinge studieren, mit denen man sich auseinandersetzt, erklärt er weiter seinen künstlerisches Anspruch. Woehr ist wichtig, dass etwas bleibt. „Einfach ein Bild zu malen und zu sagen, das ist doch geil, reicht mir nicht.“ Und dieses Prinzip hat er schon immer so durchgezogen, betont er, habe sich nie verbogen und Trends aufgeschnappt.

Warum denkt er, werden jetzt nach und nach internationale Galerien auf ihn aufmerksam? „Der Kunstmarkt ist recht schwer zu begreifen und auch nicht immer logisch. Und viele verstehen eben jetzt erst, was ich da mache und sehnen sich danach.“ Die Welt sei voll mit plakativen Arbeiten, mit Wiederholungen auf Messen und Ausstellungen. „Und dann bin da ich.“

„Da“ bedeutet momentan: Barcelona, Montpellier und Galerie-Vertretungen in Paris, London und Miami, und, schon wieder Paris, immer wieder, unter anderem auch im vergangenen Jahr eben direkt auf der Champs-Élysées. „Das war schon ein Highlight dort eingeladen zu sein und der Headliner vor allen anderen Künstlern zu sein. Ich konnte die Außenfassade bemalen, im Eingangsbereich eine große Installation stellen und zusätzlich einige weitere Arbeiten dazu präsentieren.“ Er ist nun da, wo er sich selbst in der Kunstwelt sieht: „An der Wand.“ Top Antwort. Übrigens, Marc C. Woehr hat als Graffiti-Artist angefangen und das wird er im Herzen auch immer sein. „Der Stil hat sich geändert, aber die Idee bleibt. One Love.“

Kunst sollte für alle zugänglich sein 

Schwenken wir von der einfachen Graffiti-Dose für fünf Euro noch kurz rüber zu den vermeintlich noblen Kultur-Kreisen, dem höchstnervösen, globalen Kunstmarkt, der längstens von irrsinnigen Geldsummen regiert wird. „Meiner Meinung nach werden für Kunst viel zu hohe Preise bezahlt, die in keiner Relation stehen. Viele kaufen einfach nur, um zu zeigen, wie viel Geld und Macht sie haben. Das tut der Kunst nicht gut.“

Die Folge sei, dass sich Museen manche Künstler nicht mehr leisten können und sie abhängig werden von privaten Sammlern, die somit die Museen beeinflussen können, erklärt Marc C. Woehr einen in seinen Augen riskanten Kreislauf und stellt die Sinnfrage, die er zu gleich selbst beantwortet. „Ist das richtig? Sollte ein Museum nicht frei sein? Ich finde, Kunst sollte doch zuerst im Museum für alle zugänglich sein.“ Früher seien die Künstler durch Museen groß geworden, heute durch die Preise, die die Sammler aufrufen.

Stuttgart bietet kaum eine Plattform für junge Künstler 

Apropos Museen, wie beurteilt er eigentlich das lokale Angebot? Auch so ein Thema. Hierzulande kämen junge und vor allem lebende Künstler zu kurz, so seine Wahrnehmung. „Es gibt tolles Neues. Warum unterstützt man hier nicht mehr die Jungen und gibt ihnen eine Plattform, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und bekannter zu werden?“ Im Kunstmuseum hängt ein Woehr bislang auch (noch) nicht.

Dafür eben in Paris. Und dafür hat er lange hart gearbeitet und gekämpft. „Ein Leben als Künstler ist nicht einfach und war es auch noch nie.“ Er kann sich nichts anderes vorstellen, weil es ihn erfüllt: „Ich denke, Kunst ist ein wichtiger Begleiter unser Zeit. Es ist wichtig, dass es Kunst und ihre Freiheit gibt. Nur so bleiben wir in unser Gesellschaft lebendig.“ Und genau deswegen hat Marc C. Woehr diesen Beruf gewählt.

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