Die Freiburger Kuratorin Stefanie Stegmann leitet künftig das Literaturhaus. Der bisherige Chef Florian Höllerer wird zum Ende des Jahres seiner langjährigen Wirkungsstätte den Rücken kehren.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Das Geheimnis ist gelüftet. Das Stuttgarter Literaturhaus hat eine neue Leitung. Wenn der bisherige Chef Florian Höllerer zum Ende des Jahres seiner langjährigen Wirkungsstätte den Rücken kehren wird, um am Literarischen Colloquium in der Hauptstadt Berliner Luft zu schnuppern, dann übernimmt Stefanie Stegmann, die Leiterin des Freiburger Literaturbüros.

 

Wochenlang hat der Vorstand des Literaturhauses Hunderte teils hochkarätiger Bewerbungen ausgewertet. In seinem Vertrauen in die inspirierte Umtriebigkeit vergleichsweise jüngerer Kräfte ist er sich schließlich treu geblieben. Zauberte er einst in den Worten des Vorstandsmitglieds Michael Klett „wie einen Jüngling Schillers“ den damals noch weithin unbekannten Florian Höllerer aus dem Hut, so präsentiert er diesmal mit der 39-jährigen Stefanie Stegmann eine Frau, die naturgemäß weniger an Schillerjünglinge erinnert als an die klugen, hochinspirierten Frauengestalten der Romantik. Und dies nicht nur optisch, sondern auch mit Blick auf deren Bereitschaft zu mutigen Experimenten an den Schnittstellen zwischen Literatur und Wirklichkeit.

Zu solchen zeigt sich Stefanie Stegmann stets aufgelegt, wovon das Programm des Freiburger Hauses, das sie seit 2005 leitet, auf erfrischende Weise zeugt. Aber vermutlich wird man der munteren Frau mit den lebendigen blauen Augen, die den Gast in ihrem Büro im Alten Wiehrebahnhof der Universitätsstadt in Empfang nimmt, gerechter, richtet man zunächst einmal, statt in historischen Vergleichen zu schwelgen, seinen Blick in die Gegenwart. Diese nämlich zeigt in dem aparten Ambiente einer ehemaligen Zugstation ein einladendes und wohlbestelltes Haus, durch das seine Noch-Herrin mit sichtlichem Stolz geleitet: Den früheren Wartesaal der ersten Klasse durchflutet die Mittagssonne, kleinere Lesungen finden hier statt, „ausreichend für maximal sechzig Personen bei flacher Atmung“, sagt Stegmann mit liebevoller Ironie. Alles darüber hinaus findet im größeren Wartesaal zweiter Klasse statt, den ansonsten das Kommunale Kino nutzt.

Mit bescheidenen Mittel ein hochkarätiges Programm

Es ist durchaus beachtlich, was hier auf Initiative der rührigen Literatur-Impressaria und ihren Projektteams schon alles Halt gemacht hat. Jener „Zug 76“ etwa, mit dem der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch zusammen mit Kollegen und Übersetzern für die Literatur seines Landes geworben hat, kein Zug im wörtlichen Sinn, aber doch einer, der früher an Freiburg wohl vorbeigebraust wäre.

Welcher Stil kennzeichnet Kleidung und Dienst-Möblierung von Professorinnen und Professoren? Mit solchen Fragen beschäftigte sich die Kulturwissenschaftlerin in ihrer Promotion. Was darf man ihrem Habitus an diesem Tag, graue Hose, weißes Hemd ablesen? „Die fehlende Kopf-Kragentrennung. Klassischerweise hätte ich das um des Kontrastes willen mit einem dunklen Jackett abtrennen müssen.“

Dass Kragen innerhalb bestimmter Kommunikationsfelder ihre eigene Sprache sprechen, ist eine nützliche Erkenntnis. Es hilft etwa zu verstehen, wie ein Gemeinderat tickt. Vielleicht liegt darin ja das Geheimnis von Stegmanns Erfolg. Wie Florian Höllerer hat auch sie eine engagierte Aufbauarbeit geleistet, deren Strahlkraft im umgekehrten Verhältnis zu den bescheidenen Mitteln steht, die sie befeuern. Mit einer Teilzeitstelle und der Unterstützung motivierter Praktikantinnen und Praktikanten steht sie mittlerweile einer Station vor, die in der literarischen Infrastruktur des Landes fest verankert ist – und zudem gerade dabei, sich vom Literaturbüro zum Literaturhaus zu mausern.

Emotionale Achterbahnfahrt

„Wir werden 2015 in ein wunderbares Haus in der Innenstadt zwischen Universitätsbibliothek und Theater ziehen“, sagt Stegmann. Doch genau dieses „wir“ ist dafür verantwortlich, dass der Alte Wiehrebahnhof in den letzten Wochen auch ein Ort emotionaler Achterbahnfahrten war. Denn wenn das, wofür sie sich jahrelang eingesetzt hat, endlich am Ziel ist, wird sie längst in Stuttgart zu neuen Ufern aufgebrochen sein.

Ist das nicht erstaunlich? Schon ein wenig, und eigentlich hätte sie auch gerne in dem neuen Freiburger Domizil einmal das rote Band durchschnitten. Andererseits war klar, nicht auch noch die nächsten zwanzig Jahre bleiben zu können. „Bei allen Kultureinrichtungen, die nach dem Intendantenprinzip funktionieren, prägt man mit seinem Programm eine eigene Marke. Und irgendwann ist es für eine Stadt auch gut, wenn wieder ein Wechsel stattfindet.“ Die Chance, noch einmal eine andere Spielfläche zu haben, andere Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie Stuttgart bietet, eröffnet sich nicht alle Tage.

Literaturvermittlung jenseits der Wasserglaslesung

Mit ähnlichen Worten hat Florian Höllerer seinen Wechsel nach Berlin begründet. Umso neugieriger darf man sein, welche Marke den Stuttgartern nun ins Haus steht. „Was uns in Freiburg auszeichnet, ist, dass wir nicht nur Einzelveranstaltungen aneinander ketten. Wir denken längerfristig, versuchen wichtige Themen zu besetzen und aus literarischer Perspektive zu befragen.“ Stegmann setzt auf das Zusammenspiel mit anderen Künsten, Disziplinen und Praxisfeldern, und dies auch in einem internationalen Kontext.

„Wider die Müdigkeit“ beispielsweise war im letzten Jahr ein Themenschwerpunkt überschrieben, der angeregt vom „Arabischen Frühling“ das Feld der Wachheit zwischen politischer Erweckung und fortschrittsmüder Erschöpfung in Lesungen, Performances und Diskussionen abgeschritten hat. Stegmann, die mit dem Schriftsteller Martin Gülich verheiratet ist, sucht nach neuen Wegen der Vermittlung von Literatur, jenseits der klassischen Wasserglaslesung. Eine „heilige Kuh“, die sie gerne nach Stuttgart mitnehmen würde, ist die Reihe „Zwischenmiete“, das sind Lesungen junger Literatur in Wohngemeinschaften. „Wir dachten, wenn die jungen Leute nicht zu uns kommen, dann kommen wir eben zu ihnen. “ Das funktioniert, bis zu 150 Zuhörer quetschen sich bisweilen in die Wohnungen, Gänge und Treppenhäuser der ausgewählten WGs.

Ideen genug für einen Markenwechsel in Stuttgart. Doch bis es soweit ist, wird erst einmal gefeiert. Am Wochenende steigt im Alten Wiehrebahnhof ein Jubelfest, das unter anderem dem 25-jährigen Bestehen des Literaturbüros Freiburg gilt. Ein fester Programmpunkt wird mit Sicherheit emotionales Achterbahnfahren sein.