Sie schaffen alle beim Daimler, doch ausnahmsweise sind sie „die vier ohne Auto“. Unter diesem Namen wollen sie 100 Kilometer in 30 Stunden wandern. Beim Oxfam-Trailwalker in Frankreich schindet sich das Quartett aus Stuttgart im Mai für einen guten Zweck.

Stuttgart - Radio Havanna ist schuld. Das müssen sie sich sagen, wenn sie in finsterer Nacht die Anstiege hinaufstapfen, wenn die Waden schmerzen, wenn sie sich nach Schlaf sehnen oder gerne hinsetzen möchten. Bei Radio Havanna können sie sich bedanken. Genauer gesagt war es Sänger Fichte, der bei einem Konzert der Punkband im Club Zwölfzehn Steffen Müller den Floh ins Ohr setzte. „Der hat von dem Oxfam-Trailwalker erzählt und mich neugierig gemacht“, sagt Steffen Müller.

 

In 30 Stunden am Ziel

Oxfam-Trailwalker? Das ist ein Marsch, der über 100 Kilometer geht, in 30 Stunden muss man am Ziel sein. Die Teams sammeln dabei Spenden für die Entwicklungsorganisation Oxfam, wer mindestens 1500 Euro beisammen hat, darf mitmachen.

Fichte hatte mitgemacht und erzählte nach dem Konzert, wie es da so zugeht. Müller war begeistert. Sechs Marathons ist er gelaufen und zudem Fan der Stuttgarter Kickers, er fürchtet also weder Schmerzen noch Qual. Und überredete drei Kollegen beim Daimler in Sindelfingen mitzumachen. Timm Klute ist auch schon Marathon gelaufen, Eva Patzelt joggt regelmäßig längere Strecken, und Heiko Bergmann hat schon auf dem Rad die Alpen überquert.

Respekt vor dem Marschieren im Dunkeln

Die vier ohne Auto nennen sie sich, im Original: Les Quatres sans Voitures. Denn der Marsch findet am 20. Mai im Herzen Burgunds statt, inmitten Frankreichs. Es ist ein Kurs rund um die Stadt Avallon. 2151 Höhenmeter müssen sie überwinden, der höchste Punkt der Strecke liegt auf 578 Metern. „Das wird eine Herausforderung“, sagt das Quartett unisono. Am meisten Respekt haben sie vor dem Marschieren in der Dunkelheit, dem Verzicht auf Schlaf. Und dem großen Unbekannten, dem Wetter. Müller: „Es wird schon anstrengend, wenn das Wetter gut ist, aber wenn es die ganze Zeit regnet, dann wird es ein schwerer Kampf.“

Aber warum Frankreich? Weil in Deutschland kein Trailwalker stattfindet. Angefangen hat alles 1981 in Hongkong. Die Gurkha-Soldaten aus Nepal dienen in der britischen Armee und sind berühmt für ihre Zähigkeit. Um die unter Beweis zu stellen und zu üben, marschierten sie in der damaligen britischen Kronkolonie 100 Kilometer am Stück. 1986 durften Zivilisten mitmachen, und Oxfam organisierte den Lauf. Die Idee verbreitete sich, heute gibt es in Australien, Indien, den USA, England, Spanien, Japan, Belgien und Frankreich diese Märsche.

Gegründet im Jahr 1942

Zig Millionen Euro wurden dabei für gute Zwecke gesammelt. Oxfam hat sich auf die Fahnen geschrieben, Rechte für Menschen in Armut durchzusetzen, Frauen und Mädchen gleiche Chancen zu gewähren, Menschen in Notlagen zu schützen, Ernährung sicherzustellen, Ressourcen gerecht zu verteilen und Gesundheit und Bildung zu finanzieren.

Gegründet wurde Oxfam im Jahr 1942 von dem Arzt Henry Gillett, Chorherr Theodore Richard Milford, Professor Gilbert Murray und seiner Frau Lady Mary, Cecil Jackson-Cole und Sir Alan Pim. Sie nannten sich Oxford Committee for Famine Relief, sie wollten die Hungersnot im von den Deutschen besetzten und ausgeplünderten Griechenland lindern. Laut Angaben der Wehrmacht waren im November 1941 insgesamt 4000 Tonnen Feigen, 181 000 Tonnen Rosinen und Trauben, 10 000 Tonnen Olivenöl sowie Reis, Zucker, Fett und andere Lebensmittel konfisziert worden. In Athen gab es 92 Gramm Brot, auf dem Land sollten sich die Menschen selbst helfen. Die Folgen: Das US-amerikanische „Life-Magazine“ berichtete in der Ausgabe vom 3. August 1942: „Menschen sterben in Athen auf den Straßen, weil sie, geschwächt durch den Hunger, nicht mehr nach Essbarem suchen können. In einigen Gegenden sind 20 Prozent der Bevölkerung seit Anfang des Jahres verhungert.“

Oxfam sammelte Spenden, erst für Griechenland, später für Kriegsflüchtlinge in ganz Europa und unterstützte auch die ehemaligen Feinde in Deutschland, die in ihrem zerbombten Land Not litten. Gegen den Willen der britischen Regierung schickte Oxfam Kleider und Essenspakete. 1948 öffnete der erste Laden in Oxford, ein gewisser Joe Mitty betrieb ihn. Dort konnte man Sachen aller Art spenden, Mitty rühmte sich, sie alle verkaufen zu können. Ein Gebiss, ein Hausboot brachte er an den Mann – und einen lebenden Esel, für zwölf Pfund und zehn Schilling.

Zwei Oxfam-Läden gibt es in Stuttgart

Mittlerweile ist Oxfam in 90 Ländern tätig, mehr als eine Milliarde Euro flossen in knapp 4000 Projekte weltweit. Gut 1200 Läden gibt es, zwei davon in Stuttgart. An der Marienstraße verkaufen sie Bücher, an der Langen Straße Klamotten. Geld zu sammeln, darin hat Oxfam wahre Meisterschaft erlangt. Es gibt Modeschauen, Aktionen aller Art mit Promis wie Antonio Banderas, Colin Firth, Helen Mirren, Coldplay, Editors, Jan Delay, den Toten Hosen, Annie Lennox oder Heike Makatsch. Und natürlich die Trailwalker-Märsche.

Müller, Klute, Patzelt und Bergmann haben 500 Euro Spenden gesammelt, tausend Euro fehlen also noch (Spenden kann man auf der Webseite unter http://events.oxfamfrance.org/projects/les-quatre-sans-voiture). Sie sind zuversichtlich, dass sie die zusammenbekommen. Dann wird losmarschiert. Sollte es dabei wehtun, können sie sich mit einem Lied ablenken. Was singt man da? Na klar, Oden an die Ideengeber: Von Radio Havanna: „Kampf gegen mich selbst“ und „Das Wandern ist des Müllers Lust“.