Nach dem Ausschluss der Deutschen Bahn und der Vergabe der Stuttgarter Netze an zwei ausländische Verkehrsunternehmen erwarten Experten eine „spannende Übergangsphase“. Die DB Regio hält ihr Angebot für „völlig regelkonform“.

Stuttgart - Die Entscheidung des Landesverkehrsministeriums vom Dienstag, die Stuttgarter Netze ab 2019 an die privaten Bahnkonkurrenten Abellio (Niederlande) und Go-Ahead (Großbritannien) zu vergeben und die DB Regio wegen eines Formfehlers auszuschließen, wird wohl ein Nachspiel haben. Zwar will die Bahn den Ausschluss noch „juristisch bewerten“, sagt Andreas Moschinski-Wald, Nahverkehrschef der Bahn in Baden-Württemberg, er halte das Angebot aber für „völlig regelkonform“ und könne keinen Formfehler erkennen. „Wir kämpfen für unser Angebot“, sagt Moschinski-Wald. Ein Ministeriumssprecher sagte, der Ausschluss sei unvermeidbar gewesen. Es habe keinen Spielraum für eine andere Entscheidung gegeben. Wenn die Bahn das anders sehe, müsse sie vor die Vergabekammer ziehen.

 

Auch wenn also noch offen ist, wie das Vergabeverfahren ausgehen wird, sorgt die Entscheidung bereits für Unruhe bei den Verantwortlichen im Nahverkehr in der Region. Betroffen sind vor allem der Verband Region Stuttgart und der Verkehrs- und Tarifverbund VVS. Der Verband ist politisch verantwortlich für die S-Bahn, die bis Mitte 2028 von der Deutschen Bahn gefahren wird. Unter dem Dach des VVS sind die Aufgabenträger des Nahverkehrs, also das Land, die Kreise Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg und Rems-Murr, der Verband Region Stuttgart und die Stadt Stuttgart, und auch alle Verkehrsunternehmen vertreten, die in der Region Verkehrsleistungen erbringen, also auch die DB Regio.

Verband respektiert die Entscheidung

„Wenn die Bahn die Netze verliert, markiert das eine gravierende Veränderung“, sagt Thomas Hachenberger, der Geschäftsführer des VVS, „wir müssen uns dann auf neue Eisenbahnverkehrsunternehmen einstellen – und die sich auf uns“. So sieht es auch der Verband Region Stuttgart. „Sollte es zu einem Betreiberwechsel kommen, blicken wir gespannt auf die Einführung“, sagt Verkehrsdirektor Jürgen Wurmthaler. Das Vergabeverfahren an sich will zum jetzigen Stand niemand kommentieren. „Der Verband Region Stuttgart respektiert die Entscheidung des Ministeriums. Da die Einspruchsfrist noch läuft, ist es viel zu früh, die Vergabe zu bewerten“, sagt Wurmthaler. In anderen Regionen sei es aber längst geübte Praxis, dass Dritte Eisenbahnverkehre parallel zu Angeboten der Bahn fahren können. „Die Erfahrung dort zeigt aber, dass dieser Übergang eine besondere Herausforderung darstellt. Diese wird im Großraum Stuttgart durch die noch laufenden Arbeiten sicher nicht einfacher“, sagt Wurmthaler und meint damit vor allem Stuttgart 21.

Ähnlich diplomatisch drückt sich Hachenberger aus. Natürlich sei ein solcher Übergang nicht einfach, meint der VVS-Geschäftsführer, man müsse sich auf neue Partner und diese sich auf hiesige Situation einstellen. Wie eng die – auch persönlichen – Bindungen zu den Bahnvertretern sind , macht Hachenbergers Aussage deutlich, dass „wir jetzt auch an die Bahnmitarbeiter denken“. Sie stehen am Standort Stuttgart vor einer ungewissen Zukunft. Und Hachenberger hat noch die Szene in Erinnerung, als sich beim gemeinsamen Mittagessen nach der VVS-Aufsichtsratssitzung am Dienstag, „plötzlich Hals über Kopf alle Bahnvertreter“ verabschiedeten. „Das trifft sie ins Mark“, sagt er.

Abstimmungen bei den Ticketautomaten

Allerdings stellen sich für den VVS auch organisatorische Fragen, falls es zum Betreiberwechsel kommen sollte. Da in dem sogenannten Mischverbund auch die Verkehrsunternehmen vertreten sind, mache man sich bereits Gedanken über die künftige Zusammensetzung. „Wir sind da noch mitten in der Meinungsbildung“, sagt Hachenberger. Unabhängig davon, wie die Lösung aussehe, müsse man Abellio und Go-Ahead aber „an den Verbund heranführen“. So müsse es beispielsweise Abstimmungen über die Ticketautomaten geben.

Dass es gemeinsame Themen gibt, macht auch der Regionalverband deutlich: Da es im Schienennetz viele Mischverkehrsstrecken gebe – also Gleise, auf denen Fernzüge der Bahn, die Metropolexpresszüge der neuen Anbieter und die S-Bahn der DB Regio verkehren –, müsse es eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ geben, so Wurmthaler. Dies gelte insbesondere, da für die S-Bahn strengere Pünktlichkeitswerte gelten würden als für Regional- und Fernzüge, sie also bei der Gleisbelegung nicht hintan stehen sollte.

Klarere Worte findet der CDU-Regionalrat Rainer Ganske. Auf den gemeinsamen Verbindungen befürchtet er eine Konkurrenz zwischen der S-Bahn und den Metropolexpresszügen. „Beide wollen so viel Fahrgäste wie möglich“, sagt er. Das auch im ÖPNV-Pakt niedergelegte Ziel, dass die Metropolexpresszüge die S-Bahn entlasten sollen, sieht er in Gefahr. „Ich frage mich, wie wir das erreichen wollen“, so Ganske.