Zwei Millionen Menschen haben sich schon das aktuelle Youtube-Video der Leonberger Sängerin Jenny Marsala angeschaut. Nun trat sie in Stuttgart auf.

Stuttgart - Mehr als zwei Millionen Menschen haben das Youtube-Video „1 Girl 13 Voices“ bereits gesehen. Hochgeladen wurde es im März. Mit zwölf Minuten Spielzeit ist es ungewöhnlich lang – ansonsten machen auf dieser Plattform ja eher kurze Clips Keyboard spielender Katzen oder von Babys Furore. Zu sehen ist eine Sängerin, die Popstars wie Shakira, Adele, Katy Perry oder Rihanna imitiert. Mitunter so, dass man rein akustisch Original und Cover nicht unterscheiden kann. Derlei Aufnahmen gibt es im Netz wie Holzspäne im Sägewerk. Was macht gerade diese neben der hohen Klickzahl besonders? Nun, die Künstlerin heißt Jenny Marsala und kommt aus Stuttgart. An diesem Dienstag trat sie im Bix auf.

 

Man sollte meinen, bei der in Leonberg geborenen Gesangsstudentin der hiesigen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst sei in den letzten zwei Monaten der Wahnsinn ausgebrochen. Doch ganz im Gegenteil: Marsala geht vergleichsweise locker damit um, spricht gelassen, freut sich, analysiert aber die Lage wie ein Profi. Das mag daran liegen, dass sie während ihrer 28 Erdenjahre im Grunde bereits Profi war. Ein Star, dem Menschenmassen zujubelten. Nur eben nicht in Deutschland.

Nach dem Abi ein Plattenvertrag

Als Zwölfjährige nahm die Tochter einer türkischen Mutter und eines italienischen Vaters Gesangsunterricht, mit 19 Jahren unterschrieb sie kurz nach dem Abitur einen Plattenvertrag. Entdeckt wurde sie – na klar – auf Youtube. Dort hatte sie – na klar – Coverversionen der einst aktuellen Hits von Beyoncé und Britney Spears eingestellt. Damals war das Portal noch ein Geheimtipp, um nicht zu sagen: Neuland. Jenny Marsala erinnert sich: „Ein Mitschüler sprach mich an und sagte mir, dass meine Videos auf Youtube irre viele Klicks hätten. Ich antwortete: ‚Ach, du kennst Youtube?‘“

So avancierte sie zum Gesicht des vom Stuttgarter Produzenten Felix Gauder gegründeten Dance-Pop-Projekts Novaspace, das vor allem in Osteuropa reüssierte. Werktags wohnte sie in Mannheim. Sie wollte studieren, fand aber keine Zeit: An den Wochenenden ging’s nach Tschechien auf die Bühne, wo Novaspace in den Top Ten rangierte. Für Marsala führte das zu einer Art Doppelleben: „Dort wurde ich auf der Straße erkannt, die Songs liefen im Radio rauf und runter. Sonntags flog ich dann nach Deutschland zurück – und alles war wie immer.“

Nach dem Ende von Novaspace bekam sie ihren Jazzstudienplatz. Sie erzählt davon, als sei dieser für sie ein größerer Traum als die vorangegangene Popkarriere. Einige Absagen hatte sie zuvor kassiert. Womöglich, weil manch dünkelhafter Jazzpurist von Novaspace und Konsorten nicht allzu viel hält. Ihr ist das „schnurzpiepegal“. Sie selber arbeitet seit ihrem 22. Geburtstag als Gesangslehrerin in Leonberg, lernt und lehrt also gleichzeitig. „Jeder Lehrer sollte nebenbei noch lernen“, findet Marsala.

Reaktionen von Neuseeland bis Kanada

Der gegenwärtige Youtube-Hit ist nicht nur ihrem Talent, sondern auch dem nigerianischen Rapper Sutflute zu verdanken. Selbiger hatte das Video auf seiner Facebook-Seite geteilt und somit um den Globus gejagt. Reaktionen gab es von Neuseeland bis Kanada. Der Name Sutflute war Marsala nicht geläufig: „Aber ich war sehr, sehr dankbar und hab’ ihm das auch geschrieben – und dass er beim nächsten Mal meinen Namen erwähnen soll.“ Was er dann auch tat. Vorher hatte Marsalas Fanseite siebenhundert Likes. Jetzt geht sie auf die vierzigtausend zu.

Im Mainstream zu schwimmen wäre für sie kein Problem. Im Gegenteil: „Ich habe gar nichts gegen Jazz, aber stehe eben auf Entertainment, auf Show, auf Mainstream. Das ist mein Ding.“ Viele Musikstudenten mit Ressentiments gegen Massentaugliches, die alles ablehnen, was mehr als drei Leuten gefällt, können kaum nachvollziehen, was Marsala bereits durchgemacht hat. Eine Karriere mit Fernsehübertragungen und eigener CD im Laden hat der durchschnittliche Kommilitone eher vor träumenden Augen denn hinter sich. „Ich weiß, dass ich das Zeug dazu habe, all das noch mal zu erleben“, sagt die Sängerin: „Aber diesmal will ich meinen eigenen Weg gehen. Sich als Jazzstudentin für deutsche Popmusik auszusprechen ist schon mutig. Aber ich werde das bis zu meiner Abschlussprüfung durchziehen. Auch wenn ich wohl keine Eins mit Auszeichnung dafür bekomme.“

Eigene deutsche Popsongs

Was also gab sie im Jazzclub Bix zum Besten? Selbstredend: ihre eigenen deutschen Popsongs. Das Album steht in den Startlöchern. Ein Release-Termin ist bar eines Labels jedoch schwer zu nennen. Klar meldeten sich bereits Manager, die sie mit Handkuss unter Vertrag nehmen würden. Doch Marsala nimmt sich bei dieser Entscheidung Zeit. Für den Dienstag, der traditionell den Studenten zur Verfügung steht, hatte sie sich übrigens bereits im Februar eingetragen – also vor dem Viralhit. Zwei Semester sind es noch bis zum Abschluss. Eines Tages möchte Marsala die Schleyerhalle füllen, obwohl sie dafür schon belächelt wurde. Und dann vielleicht auch noch zum Eurovision Song Contest? Marsala: „Ha! Wieso denn nicht?“ Eben! Eine Stuttgarterin mit italienisch-türkischen Wurzeln und Ruhm in Osteuropa – ein Selbstläufer! Schlimmer kann es ja jedenfalls nicht werden. Und ein schöneres Schlusswort kann man sich kaum wünschen.