Das Stuttgarter Schauspiel hat in der zu Ende gegangenen Saison wesentlich weniger Zuschauer angezogen. Kein Wunder, sagt unser Theaterkritiker. Er lässt kein gutes Haar an Armin Petras’ zweiter Stuttgarter Theatersaison.

Stuttgart - Wo ist das Publikum geblieben? Beim Terrorism-Festival, das im Juni vom Stuttgarter Schauspiel veranstaltet wurde, ward es jedenfalls nicht gesehen. Im großen Stil schwänzte es das fünf Tage dauernde Unternehmen, obwohl es dort Interessantes zu einem brennenden Thema zu erfahren gegeben hätte. Ja, zum brennendsten überhaupt, zum Furcht und Schrecken verbreitenden, nach Europa vordringenden Terrorismus, der in hochkarätigen Veranstaltungen aus internationaler Sicht beleuchtet wurde, auch in tollen Gastspielen aus Belgrad und Tel Aviv.

 

Aber all das half nichts: nur wenige Menschen fanden den Weg ins Theater. Auf bedauerliche Weise kulminierte beim Festival ein Trend, der sich schon in den Monaten zuvor abgezeichnet hatte: Dem Schauspiel von Armin Petras laufen die Zuschauer davon.

Wie sonst soll man die vorliegenden Zahlen interpretieren? Kamen in der Spielzeit 2013/14 noch 145 000 Besucher ins Schauspiel, waren es in der jetzt abgelaufenen Saison 128 000 – ein Verlust von 17 000, weshalb auch die Bühnenauslastung von 87 Prozent im Vorjahr auf 78 Prozent in diesem Jahr gesunken ist. Der Besucherrückgang ist markant und lässt sich auch ganz ohne Statistik belegen. Man höre sich nur um in der Stadt: die Enttäuschung über das Theater von Armin Petras ist groß.

Dramatisch sinkende Qualität

Als er seine Intendanz im Herbst 2013 eröffnet hat, war es genau umgekehrt. Da war die Freude gewaltig, auch in dieser Zeitung, ja, sie steigerte sich zum Jubel über das frische, komödiantische, spielwütige Theater, das Petras in seinem ersten Jahr entfesselte. Dem Anfang wohnte ein Zauber inne, der nun völlig erloschen ist – und so sehr es auch stimmt, dass das zweite Jahr einer Intendanz immer das schwierigste ist, weil die Spannung des Neustarts, die Erotik der ersten Begegnung verflogen ist, so sehr stimmt im vorliegenden Fall auch der Hinweis, dass sich damit allein der starke Publikumsschwund nicht erklären lässt. Es ist noch etwas anderes im Spiel: die dramatisch sinkende Qualität des Angebots.

Der Auftakt im Schauspielhaus: verheerend! Während Robert Borgmann seinen „Richard III.“ in einem dunkel raunenden Bühnennichts versenkte, verkasperte Sebastian Hartmann seinen „Purpurstaub“ in einem Trash-Ambiente – binnen einer Woche zwei Inszenierungen, die aufs Grausamste missraten waren, wobei Borgmann an seiner hochfliegenden Ambition, Hartmann an seiner tiefgelegten Infantilität scheiterte.

Fast scheint es, als sei schon mit diesem Fehlstart der gesamte Kurs der Spielzeit vorgegeben worden, denn die fatale Mischung aus Ambition und Infantilität prägte noch weitere Produktionen. Am schlimmsten erwischte es das Kammertheater: vier Stunden „Antigone“, fünf Stunden „Der Idiot“ – Aufführungen ohne Sinn, Verstand, Form und Inhalt, die das ermattete Publikum mit zwei Fragen in die Mitternacht entließ: Wo bin ich da hineingeraten? Und wer hat das zugelassen?

Und wo bleibt das Positive?

Letzteres ist klar. Verantwortlich ist der Intendant. Da Petras aber vier Mal auswärts inszenierte, konnte er vermutlich nicht immer im Haus sein, um Desaster zu verhindern – und ohnehin nicht verhindert hätte er die Figuren nicht Ernst nehmende, die Handlung zerstückelnde Bühnenästhetik, die er und seine Regisseure über die Maßen lieben. Auch dieses selbstverliebte Bescheidwissertheater mag Gäste vergrault haben.

Und wo bleibt das Positive? Es kam von Männern – mit regieführenden Frauen hat man es nicht so – der alten Schule. René Polleschs „Arbeit“, Jan Neumanns „Stadtgedächtnis“, Jan Bosses „Herbstsonate“ und Stephan Kimmigs „Osage County“ erwiesen sich als starke Stücke. Und als interessant immerhin stellte sich „Im Stein“ des oben geschmähten Hartmann heraus, ein Drogentrip, der trotz allem Technikeinsatz erneut bestätigte, dass das Ensemble keine Schuld an der Misere trägt. Auf seine virtuosen Spieler kann Petras sich verlassen.