Der Regisseur Jan Bosse inszeniert im Stuttgarter Schauspielhaus den Klassiker aller Krimikomödien und sorgt damit für makabre Unterhaltung: „Arsen und Spitzenhäubchen“ von Joseph Kesselring.

Stuttgart - Komödie? Damit hat man es im Stuttgarter Schauspiel nicht so. Unter der Intendanz des strengen Armin Petras haben es nicht viele komische, groteske, skurrile Stücke ins Programm geschafft – und wenn doch, etwa in der Regie von René Pollesch oder Sebastian Hartmann, dünnte sich das Lachen schnell zur Ironie aus, die dem akademischen Diskurs über den Anachronismus des Theaters eingespeist wurde. Unbändiges Gelächter indes, lauthals, unbeschwert, frei von der Leber, hörte man hier zuletzt nur in einer einzigen Inszenierung, in Kleists „Zerbrochnem Krug“, der freilich eine Uralt-Übernahme aus Zürich war. Aber egal: Beim Sündenfall des Dorfrichters Adam, genial gespielt von Edgar Selge, musste man prusten vor Lachen, ohne dabei die Ungeheuerlichkeit der Staatsverbrechen, die vertuscht werden sollen, zu vergessen. Die Inszenierung: ein Meisterwerk, geschaffen von Jan Bosse, der offensichtlich ein Händchen für Komödien hat.

 

Das beweist der Regisseur jetzt auch bei „Arsen und Spitzenhäubchen“, der Krimifarce des US-Autors Joseph Kesselring, die er als leichte Sommerunterhaltung ins Theater pustet. Entertainment made by Bosse – nicht mehr, aber auch nicht weniger liefert er ab, was nicht zuletzt am Autor der schwarzen Broadway-Komödie selbst liegt. Anders als Kleist ist Kesselring nämlich ohne Tiefgang zu haben. Der Sohn deutschstämmiger Einwanderer ist ein Leichtgewicht des Boulevards, dessen Namen niemand mehr kennen würde, hätte er nicht diesen einen Welterfolg gelandet. Uraufgeführt 1941, kurz vorm Kriegseintritt der USA, wurde „Arsen und Spitzenhäubchen“ rasch zum Bühnenhit, dessen Verfilmung nicht lange auf sich warten ließ. Unter der Regie von Frank Capra und mit dem umwerfenden Cary Grant in der Hauptrolle wurde daraus 1944 ein Klassiker der Kriminalgroteske – und wollte Tarantino heute je eine Komödie drehen, böte sich der trashige Kesselring-Stoff sehr an.

Auch Magen und Zunge rebellieren

Tote gibt es in dem Stück genug. Und banal wie bei Tarantino ist das Massenmorden auch, zumindest in den Augen der Mörder, die in diesem Fall allerdings Mörderinnen sind. Abby und Martha Brewster, die ein beschauliches Häuschen in Brooklyn bewohnen, sind zwei ältere, freundliche Damen, die ihre Mildtätigkeit mit Vorliebe alleinstehenden Herren zukommen lassen. Sie erlösen die Männer mit religiöser Inbrunst aus ihrer Einsamkeit und benutzen dazu eine in selbstgemachten Holunderwein geträufelte Mischung aus Arsen und Strychnin. Ein Verbrechen? I wo – die Herren dämmern selig hinweg und gehen ein ins Reich Gottes, glauben die Brewster-Sisters, denen bei ihren gütigen Giftmorden jegliches Unrechtsbewusstsein fehlt. Der ganze Schlamassel beginnt, als ihr Neffe Mortimer, ein zynischer Theaterkritiker, zufällig auf eine Leiche in der Wohnzimmertruhe stößt – und seine Tanten ihm beschwichtigend erklären, im Keller lägen schon elf weitere.

Mortimer hat jetzt ein Problem. Da er seine Tanten liebt, will er sie vor dem Gefängnis bewahren – und Manolo Bertling, der seinen Cary Grant gut studiert hat, stürzt in Stuttgart als langer Lulatsch, der die Spuren der Verbrechen beseitigen will, nun schweißnass von einer Verlegenheit in die andere. Seine Krawatte verklemmt sich im Fenster, seine Hände verfangen sich im Geländer, seine Beine stolpern, sein Körper strauchelt – und beim Blick in die Truhe mit dem seligen Mr. Hoskins rebellieren auch noch Magen und Zunge des sonst so wortgewaltigen, jetzt aber hoffnungslos überforderten Zeitungsmanns. Würgreize kann er im Angesicht des Todes gerade noch unterdrücken, aber danach ist er nur noch zum Stottern und Stammeln in der Lage. Bertling kostet als Mortimer jeden Szenen- und Wortwitz, jeden Kalauer und Slapstick hemmungslos aus. Und das ist auch deshalb gut, weil er als Schauspieler noch nie so viel Kontur gewinnen konnte wie in der Rolle des tolpatschigen Kritikers, der bestens in Bosses Regiekonzept passt.

In erster Linie will Bosse mit „Arsen und Spitzenhäubchen“ ja nur eines: unterhalten. Er setzt auf Timing und Rhythmus und darauf, dass sein munter aufspielendes, neunköpfiges Ensemble die Pointen mit Präzision abfeuert. Er arbeitet an der Mechanik des makabren Spiels, nicht an der Psychologie der Figuren, die schon bei Kesselring nicht vorhanden ist. Dass jegliche Seelentiefe sozusagen programmatisch fehlt, schlägt sich auch auf der Bühne von Moritz Müller nieder, der keinen Raum, sondern nur eine Fassade geschaffen hat: drei Geschosse, die links über eine helle Showtreppe, rechts über eine finstere Ganovenstiege miteinander verbunden sind. Und davor, an der Rampe: der rasende Wahnsinn in Art Déco.

Der irre Präsident von Amerika

Denn nicht genug damit, dass Mortimer es mit seinen sanft verrückten Tanten, der resoluten Rahel Ohm und der pikiert dreinschauenden Marietta Meguid, zu tun hat. Im Haus der Mörderinnen wohnt auch sein Bruder Teddy, dessen Verrücktheit aber keineswegs im Verborgenen blüht. Er glaubt, der Präsident der Vereinigten Staaten zu sein, weshalb Sebastian Röhrle von Kopf bis Fuß in Stars and Stripes gekleidet ist und mit der Trompete zur Attacke bläst. Natürlich trägt auch dieser irre Politiker zu den hochtourig haarsträubenden Verwicklungen im Hause Brewster bei, an denen als Spieler noch Astrid Meyerfeldt und Lea Ruckpaul, Christian Schneeweiß, Ferdinand Lehmann und Michael Stiller beteiligt sind. Und natürlich läge es nahe, den durchgeknallten Präsidenten der amerikanischen Wahnsinnsgesellschaft von Teddy in Donald umzutaufen und damit Aktualisierungen zu erheischen.

Jan Bosse verzichtet darauf. Trump kommt nur am Rande vor. Mehr Platz als der Präsidentenschelte räumt er dann lieber der Kritikerschelte ein. Mortimer, der inmitten des Tohuwabohus noch eine Rezension an die Redaktion durchtelefonieren muss, gibt Auskunft über seine Arbeitsweise: „Ich schaue mir immer nur den ersten Akt an. Und schreibe einen Verriss. So wie immer.“ Hm. Was für ein Glück, dass nicht jeder Kollege so tickt wie der New Yorker Starkritiker mit den seltsamen Tanten. Zwei Stunden „Arsen und Spitzenhäubchen“ in Stuttgart – und selbst danach verspüren wir keinerlei Gelüste, diese Inszenierung für schlecht zu befinden.