Dass es das noch gibt: kleine, aber feine Läden. In der Serie Stuttgarter Schmuckkästchen werden inhabergeführte Geschäfte vorgestellt, dieses Mal die einstige königliche Hofmesserschmiede Gebrüder Müller gegenüber der Stiftskirche.

Stuttgart - An diesem Schaufenster haben sich schon viele Kinder ihre Nasen platt gedrückt. Dabei gibt es hier weder Spielsachen noch Süßigkeiten, dafür seit mindestens dreißig Jahren ein überdimensionales Schweizer Messer, das ständig in Bewegung ist. Sämtliche Klingen werden ein- und ausgefahren, immer und immer wieder. Allein deshalb ist der Laden Messer Müller an der Kirchstraße zwischen Markt- und Schillerplatz vielen Menschen ein Begriff, obwohl sie möglicherweise noch nie das Geschäft betreten haben.

 

„Wir werden oft auf das Messer im Schaufenster angesprochen“, sagt Daniela Schäfer, die gemeinsam mit ihrem Bruder Steffen Welz den Laden in sechster Generation führt. Zu behaupten, dass das Messer schon eine Ewigkeit im Schaufenster liegt, wäre allerdings vermessen: Das Geschäft wurde 1837 gegründet – im Verhältnis dazu ist es eher eine Momentaufnahme. 177 Jahre Messer Müller, das dürfte Rekord bei den Schmuckkästchen sein. Wenige Geschäfte in Stuttgart haben so lange durchgehalten und sind immer noch inhabergeführt in Familienhand. „Wir setzen auf Qualität und außergewöhnliche Messer“, sagt Daniela Schäfer. Noch immer hätten die Klingen aus Solingen einen so guten Ruf, dass regelmäßig asiatische Touristen in das Geschäft kommen würden.

Von Fleischmesser bis Nagelscheren

Außergewöhnlich, weil es sie nicht in vielen Geschäften gibt, sind die Laguiole-Taschenmesser, die nach der südfranzösischen Stadt heißen, in der sie von verschiedenen Unternehmen hergestellt werden. Noble Varianten mit feinen Holzgriffen kosten bis zu 300 Euro.

„So etwas wollen die Leute anschauen und nicht einfach im Internet kaufen“, sagt Daniela Schäfer. Außerdem gibt es in dem lang gezogenen Verkaufsraum Essbestecke, Küchenmesser, Nagel- und Friseurscheren. „Fast alles, was Klingen hat“, sagt Daniela Schäfer. Bis heute kann man Messer, Scheren und Gartengeräte im Laden zum Schleifen abgeben. „Früher hatten wir eine Werkstatt, jetzt arbeiten wir eng mit einem Messerschleifer zusammen“, sagt die Inhaberin. Das Schleifen gehörte einst zum Kerngeschäft.

Wenn ein Geschäft über Generationen weitergegeben wird, können die aktuellen Inhaber oft durch Erzählungen ihrer Eltern etwas über die Gründung sagen. Beim Messer Müller liegt das allerdings schon so lange zurück, dass Daniela Schäfer die Chronik zu Hilfe nehmen muss, die 1987 anlässlich der 150-Jahrfeier entstanden ist.

Der Messerschmied Johann David Müller hat 1836 das Haus in der Kirchstraße für seine beiden Söhne Karl und Paul gekauft. Beide lernten den Beruf des Vaters und das Gewerbe ging an die Gebrüder Müller über. Es war eine ruhige Zeit: Die Brüder waren Wilhelm Marquardt dankbar, der für sein Hotel ganz in der Nähe viele Messerschmiedewaren kaufte. Als 1846 die Eisenbahn nach Stuttgart gelangte, setzte der Aufschwung und der Aufstieg der Gebrüder Müller ein: Im Jahr 1856 bekamen sie den Titel königliche Hofmesserschmiede. Im wahrsten Sinne des Wortes galt von da an: Der Kunde ist tatsächlich ein König.Ein besonders glücklicher und erfolgreicher Abschnitt dauerte von der Jahrhundertwende bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Großfirmen ließen sich nieder, hinzu kam das neue Rathaus, das königliche Hoftheater, das Kunstgebäude und die neue Markthalle. Und damals wie heute war der Messer Müller mit seinem Standort gegenüber der Stiftskirche mittendrin im Geschehen. „Ohne diese Lage hätten wir es wahrscheinlich nicht bis heute geschafft“, sagt Daniela Schäfer.

„D’Messerle“ war stadtbekannt

Eine prägende und stadtbekannte Figur war Karl Paul Müller, der liebevoll „d’Messerle“ genannt wurde und bis zu seinem Tod 1941 das Geschäft führte. Für seine Frau Helene Müller wurde es zur Lebensaufgabe, das Geschäft weiterzuführen – besonders nach dem Zweiten Weltkrieg: Beim Angriff auf Stuttgart im Juli 1944 lagen entlang der Kirchstraße nur noch Schutthaufen. Bei der Suche nach einem Nachfolger übersprang sie eine Generation. Ihre Ehe mit Karl Paul Müller ist kinderlos geblieben, aber aus ihrer ersten Ehe mit dem Sportgeschäftsgründer Alfred Zeh hatte sie zwei Kinder. Aus dieser Linie trat Klaus Welz 1954 in diese Messerschmiedefirma ein, der bis heute mit seiner Frau in der Wohnung über dem Geschäft lebt. Hier sind die beiden jetzigen Inhaber, Steffen Welz und Daniela Schäfer aufgewachsen.

„Als Kind wollte ich immer in einem modernen Hochhaus wohnen“, erzählt Daniela Schäfer. „Später habe ich es zu schätzen gelernt, so zentral zu leben.“ Wenngleich die Glocken der Stiftskirche unerbärmlich seien. „Wenn man es nicht gewohnt ist, fällt man nachts aus dem Bett.“