Der Stuttgarter Autor und Künstler Reinhard Döhl hat früh versucht, experimentelle Literatur und Internet zu verbinden. Die Stadtbibliothek Stuttgart widmet ihm eine Ausstellung.

Stuttgart - Am 16. September dieses Jahres wäre der Stuttgarter Medienwissenschaftler und Schriftsteller Reinhard Döhl achtzig Jahre alt geworden. Die Stadtbibliothek Stuttgart nimmt dieses Datum zum Anlass für eine Ausstellung, die den 2004 verstorbenen Autor als Pionier der digitalen Poesie vorstellen will. Kuratiert hat das Projekt, das auf sechzehn Monitoren in der Galerie im Erdgeschoss der Bibliothek präsentiert wird, der Stuttgarter Medienkünstler Johannes Auer, ein langjähriger Weggefährte von Reinhard Döhl.

 

Döhl gehörte zur „Stuttgarter Schule“ um den Philosophen und Informationstheoretiker Max Bense und zählte zu den Mitbegründern der „konkreten Poesie“. Eine ihrer Ikonen ist Döhls Apfel-Gedicht von 1965, in dem das Wort Apfel so oft wiederholt wird, bis sich typografisch die Form eines Apfels ergibt – in dem mittendrin ein Wurm steckt. In einer Hommage à Döhl mit dem Titel „Worm Applepie for Doehl“ hat Johannes Auer ein digitales Remake dieses Gedichts hergestellt, wo das Wort „Wurm“ den Apfel buchstäblich auffrisst, indem es nach und nach alle Wörter ausradiert (http://auer.netzliteratur.net/worm/applepie.htm). Der Weg von der „konkreten Poesie“ zur „digitalen Poesie“ war also folgerichtig, und Reinhard Döhl, will die Ausstellung in der Stadtbibliothek zeigen, war einer der Ersten, die ihn beschritten haben.

Jeder Nutzer kann ein Gedicht beisteuern

In seinen Thesen zur Netzliteratur habe Döhl die Techniken der digitalen Poesie auf Impulse zurückgeführt, von denen schon die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts angetrieben waren, so Auer in seiner Einführung in die Ausstellung. Mit Hilfe des Internets, so Döhls Erwartung, könne man endlich Lautréamonts Postulat einer unpersönlichen Dichtkunst verwirklichen und die Parole der Surrealisten vom „automatischen Schreiben“ einlösen.

Döhls digitale Arbeiten aus den Jahren 1996 bis 2000, die der Besucher in der Ausstellung anklicken kann, beginnen 1996 mit „das buch gertrud“, Variationen zu Getrude Steins berühmtem Vers „A Rose is a Rose is a Rose“. Andere Projekte Döhls tragen Titel wie „der tod eines fauns“, „makkaronisch fuer niedlich“ (zum 70. Geburtstag des Buchhändlers Wendelin Niedlich) oder „pietistentango“. Die Möglichkeiten des neuen Mediums Internet werden in „epitaph getrude stein“ ausgelotet, wo jeder Internetnutzer ein Gedicht beisteuern konnte, wenn er sich an die von Döhl aufgestellten formalen Vorgaben hielt. Gleiches gilt für „h_h_h. eine fastschrift“, eine Hommage zum 75. Geburtstag von Helmut Heißenbüttel 1996, zu der Freunde und Fans Beiträge leisteten.

Bis 29. November, Mo bis Sa von 9 bis 21 Uhr. An diesem Freitag spricht um 20 Uhr Bettina Thiers zum Thema „Reinhard Döhl, Ernst Jandl und die Stuttgarter Gruppe“.