Die Russen waren sehr erstaunt über die Deutsche Nationalmannschaft beim Confed-Cup. Nicht nur, weil sie so gut kickte, sondern weil das Team alles andere als blond und blauäugig daherkam. Nun spüren drei Russinnen in Stuttgart der Frage nach, wie sieht Deutschland eigentlich aus?

Stuttgart - Die Suche beginnt am Flughafen. Das Forschen nach der Identität des neuen Deutschland und nach Material für ihre Ausstellung „Mikrokosmos Oper“ mit Porträts von Mitarbeitern des Staatstheaters muss allerdings warten, zunächst braucht Marina Barinova ihren Koffer. Er hat sich verflogen und lässt auf sich warten. Nach drei Tagen hat er nach Stuttgart gefunden, „nachdem ich mir Kleider von Freunden ausleihen musste, kann ich jetzt wieder meine eigenen anziehen“. Rechtzeitig für das Treffen mit Demis Volpi, dem Haus-Choreografen des Stuttgarter Balletts, der gerade mit den Kollegen der Oper „Der Tod in Venedig“ inszeniert hat.

 

Unter den Zuschauern der Premiere waren auch Kuratorin Nadezda Sukhareva, Dolmetscherin Tatiana Misevich und Marina Barinova. Sie mischt sich ein in ihrer Heimatstadt Wladiwostok, sie hat Zeitschriften herausgegeben, Freiräume geschaffen, zum Treffen und zum Denken. Das erfordert Mut im Russland von heute, „voriges Jahr haben sie mich einfach ignoriert und reden lassen, heute sagt man allen, sie sollen mich nicht erwähnen“, erzählt sie.

Eine Ausstellung soll das moderne Deutschland zeigen

Und doch lebt sie gerne in Wladiwostok. Dort am Pazifik endet die Transsibirische Eisenbahn und aus unserer Sicht die Welt. Sibirien, Kälte, Archipel Gulag, kommen einem in den Sinn. Kammersängerin Catriona Smith, die gemeinsam mit der Künstlerin Barbara Schönian die Besucher betreut, sagt: „Es ist eine reizvolle Stadt, die Menschen dort sind einfach wunderbar.“ Und trinken dauernd Wodka? Schönian: „Als ich dort war, haben die Deutschen mehr getrunken.“ So viel zu den Klischees.

Aber auch in Russland pflegt man sein ganz spezielles Bild von Deutschland. Barinova schuf mit dem Hamburger Fotografen Thomas Liehr die Ausstellung „Hier & Dort“ mit Porträts von Menschen aus Russland und Deutschland. Sie wurde 2015 in Wladiwostok und der Nachbarstadt Khabarovsk gezeigt. Die Besucher waren erstaunt. Barinova: „Ganz viele haben gesagt: Die sind ja gar keine Deutschen!“ Sie hatten nämlich weder blaue Augen, noch blasse Haut, noch blonde Haare. Also beschloss Barinova ihren Landsleuten das moderne Deutschland zu zeigen, „eine Gesellschaft, die gemischt ist“, wie sie aus vorigen Besuchen wusste.

Stuttgarter Oper hat seit 2005 beste Beziehungen nach Wladiwostok

Doch warum Stuttgart? Warum das Staatstheater? Weil die Stuttgarter Inszenierung von „Alcina“ den Weg nach Wladiwostok gefunden hatte. Helene Schneiderman und Catriona Smith sangen dort 2005 begleitet vom Marinechor der Pazifikflotte, mit Dramaturg Sergio Morabito gaben sie einen Meisterkurs. In Russland gründete sich daraufhin der Club der Freunde der Stuttgarter Oper, der maßgeblich daran beteiligt war, dass vor fünf Jahren in Wladiwostok ein Opernhaus eröffnet wurde. Der Verein VladOpera setzt die gemeinsamen Projekte um.

Deshalb Stuttgart. Deshalb der „Mikrokosmos Oper“, so der Titel der geplanten Ausstellung mit Porträts und Texten über Mitarbeiter am Staatstheater. 800 Menschen aus über 100 Nationen – wie kommen die miteinander aus? Dass dies durchaus typisch ist für diese Stadt, merkte Nedezda Sukhareva am ersten Tag. „Hier gibt es so viele Menschen aus aller Welt“, staunte sie. Noch mehr überraschte sie, „dass die Deutsch sprechen“. Noch eine Vorstellung musste sie korrigieren: „Bei uns denkt man, dass die Deutschen zurückhaltend sind, aber sie sind sehr aufgeschlossen, das habe ich nicht erwartet.“

Demis Volpi erläutert das Innenleben der Oper

Auftritt Demis Volpi. Er lässt sich von Liehr fotografieren und erläutert Barinova und Sukhareva das Innenleben der Oper, dieser kleinen Welt im Großen. Wer könnte dafür besser geeignet sein? Geboren in Buenos Aires, aufgewachsen in Barcelona, Ballettschule in Toronto und Stuttgart, als Tänzer überall unterwegs, ist bis Ende dieser Spielzeit Haus-Choreograf in Stuttgart. Eine Rolle, in der er glücklich ist. „Ich hatte zunehmend Angst, als Tänzer aufzutreten“, erinnert er sich, „jetzt sitze ich in der Loge und kann gehen, wann immer ich will.“ Das sei befreiend gewesen. Und Freiheit, die braucht er. Er könne sich hier frei bewegen und könne alles sagen, was er denke und empfinde. „Das ist nicht selbstverständlich, wir sollten uns das immer vor Augen führen.“ Wenn er sehe, dass „wir an einen Punkt kommen, wo die Menschen sich abschotten wollen, finde ich das sehr gefährlich“.

Deshalb sei er froh über jede Art der Begegnung. Auch mit jener für Stuttgart typischen Form des zwischenmenschlichen Kontakts, wenn der „sehr nette Vermieter“ um halbsieben klingelt und sagt, es liege Schnee, er müsse schippen, wie er mit einem Lachen erzählt. Die Stadt sei sein Zuhause, aber wegen der vielen Reisen auch Waschsalon-Station, „doch meine Heimat ist das Theater“. In Moskau war er mal unterwegs, „ich habe nichts verstanden, was die Leute mir erzählt haben, dann kam ich ins Theater, und ich verstand alles und fühlte mich verstanden.“

Tanzen ist die Ursprache der Menschen

Aber natürlich hätte er einen Vorteil, und deshalb klappe im Staatstheater die Zusammenarbeit so gut: „Musik, Tanzen und das Theater sind die Ursprachen, das macht vieles einfacher.“ Das ergebe unvergleichliche Chancen, Barrieren zu überbrücken. „Ein Tanz kann nicht verbogen werden, man kann nicht lügen.“ Deshalb findet er, statt zu reden, „sollten die Politiker miteinander tanzen“. Eine schöne Vorstellung: Donald Trump und Vladimir Putin tanzen miteinander. Einen Tango vielleicht? Fragt sich nur, wer wen führt.