Die Zukunft der Straßenzeitung Trottwar ist ungewiss. Gegründet wurde der Verein, um Obdachlose von der Straße zu holen und als Zeitungsverkäufer zu beschäftigen. Jetzt empfiehlt die Sozialbürgermeisterin Fezer, Mitarbeiter zu entlassen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Helmut Schmid ist hier Geschäftsführer. Ob ihn der Titel zum wichtigsten Mitarbeiter im Raum erhebt, ist Ansichtssache. Am Besprechungstisch steckt ein Mann Überweisungsformulare in jedes Exemplar der jüngsten Trottwar-Auflage. Mit ihnen wird um Spenden gebeten. Die hat der Straßenzeitungs-Verlag, der rechtlich ein mildtätiger Verein ist, mindestens so nötig wie Führung.

 

2013 war das zweite Jahr hintereinander, in dem der Betrieb ein Minus erwirtschaftet hat. Wären im vergangenen Dezember nicht ungewöhnlich viele Spenden aufs Konto gekommen, „hätten wir dicht machen müssen“, sagt Schmid, „es war Spitz auf Knopf“. Alternativ hätte Trottwar nur noch Personal entlassen können. Was für einen Verein, der gegründet wurde, um Obdachlose von der Straße und Sozialhilfeempfänger aus der Arbeitslosigkeit zu holen, gleichbedeutend mit der Bankrotterklärung wäre.

Eine etwas andere Sicht auf das Mühen des Vereins hegt Isabel Fezer. Der Trottwar-Geschäftsführer sei schließlich selbst schuld, schrieb sie sinngemäß, wenn er sich weigere „den zu umfangreichen Personalkörper der festangestellten Zeitungsverkäufer zu verkleinern“. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Sozialbürgermeisterin.

Verträge werden keineswegs nach Gutdünken vergeben

Jene Festanstellungen sind allerdings der Sinn des Betriebs. Sie werden keineswegs nach Gutdünken vergeben. Einen Halbtagsvertrag bekommt, wer dauerhaft mindestens 500 Exemplare verkauft. Die Vollzeitstelle wird ab dem Doppelten gewährt. Einzelne Spitzenverkäufer können von ihrem Verdienst bürgerlich leben. Für die Mehrheit allerdings „wäre betteln lukrativer“, sagt Schmid.

Fezers Antwort war die Reaktion auf eine Anfrage Schmids. Er hatte sämtlichen Gemeinderatsfraktionen, dem Oberbürgermeister und eben der Sozialbürgermeisterin in einem Schreiben vorgerechnet, dass der Straßenzeitungs-Verein der Stadt jährlich eine zweistellige Millionensumme an Sozialhilfe erspart und um einen Zuschuss gebeten: „1,5 Millionen Euro, verteilt auf zehn Jahre“, sagt er, „man verlangt ja erstmal immer mehr, als man erwartet“. Die Absage hat ihn wenig verwundert, wohl aber die Reaktion der Gemeinderatsfraktionen. Keine einzige antwortete.

Die Trottwar-Bilanzsumme entspricht dem, was der Blick in den Vereinssitz erwarten lässt. Der ist ein Hinterhaus an der Hauptstätter Straße, zwei ehemalige Wohnungen und eine einstige Werkstatt, Baujahr um 1900. Die Wände sind rissig, die Fenster Jahrzehnte alt, einfach verglast. „Heizen ist eigentlich sinnlos“, sagt Schmid, „aber der Vermieter kommt uns entgegen“.

Der gesamte Betrieb kostet etwa 800 000 Euro pro Jahr

Circa 800 000 Euro kostet der Betrieb pro Jahr, Frühstück, Zahnarztbesuche oder VVS-Abos für die Verkäufer inklusive. „Die musst du erstmal erwirtschaften“, sagt Schmid. Das eigentliche Problem ist, die Einnahmen vorherzusehen. Fast die Hälfte sind Spenden und sonstige Zuwendungen, sei es gelegentlich ein kleines Erbe, sei es, dass ein Richter eine Geldstrafe Trottwar zuweist. Das Urteil gegen den Schumi-Manager Willi Weber war in diesem Sinne für die Straßenzeitung ein Glücksfall. Aber „mit so was kann man eben genauso wenig kalkulieren wie mit Spenden“, sagt Schmid.

Davon abgesehen hat die Rechtsform des mildtätigen Vereins keineswegs nur Vorteile. Dem ist es per Gesetz verboten, Ersparnisse aus guten Jahren als Rücklage für schlechte Zeiten zu horten. Was unangenehme Weihnachtsüberraschungen zur Folge hat. Die Verluste der Jahre 2012 und 2013 mussten letztlich die Handvoll fester Mitarbeiter der Sozialbetreuung, des Vertriebs oder der Buchhaltung ausgleichen. „Zu denen muss ich dann sagen: Ihr müsst aufs Weihnachtsgeld verzichten“, sagt Schmid, „das ist natürlich nicht gerade motivierend“. Ein Minus blieb trotz des Verzichts: circa 30 000 Euro.