Laut dem Facharzt, der den Angeklagten Ismail l. untersucht hat, kann bei dem jungen Libanesen von einer posttraumatischen Störung keine Rede sein. Ismail I. steht wegen Mitgliedschaft in und Unterstützung der IS vor Gericht.

Stuttgart - Der Hauptangeklagte im Stuttgarter Terrorprozess leidet nach einem psychiatrischen Gutachten trotz schlimmer Erlebnisse in Syrien nicht unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Damit widersprach der Fachmann der Argumentation der Verteidigung, Ismail l. zeige dieses Phänomen als Folge seines Aufenthalts in einem syrischen Terrorcamp. „Eine posttraumatische Belastungsstörung liegt nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation nicht vor“, sagte der Facharzt am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart. Eine solche Störung hätte Auswirkungen auf die Bewertung der Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Strafzumessung durch das Gericht haben können.

 

Ismail I. steht wegen Mitgliedschaft in und Unterstützung der Terrormiliz Islamischer Staat vor Gericht. Der Experte sieht bei ihm lediglich „Anpassungsstörungen“ infolge der Haft. Als Symptome habe der junge Libanese Alpträume, regelmäßige starke Kopfschmerzen, Selbsthass und Todessehnsucht angegeben. Dennoch könne von einer posttraumatischen Störung keine Rede sein. Ismail I. soll laut Anklage nach seiner Rückkehr aus dem Lager in Deutschland Ausrüstung für den Kampf in Syrien gekauft haben.

Auf dem Weg zurück waren der Angeklagte, sein älterer Bruder Ezzedine I. und sein Freund Mohammad Sobhan A. im November 2013 auf einer Autobahnraststätte festgenommen worden. Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen vermeiden aber laut dem Psychiater alles, was mit den traumatischen Ereignissen verbunden ist. Die Angaben des Angeklagten, unter den Erlebnissen in Syrien gelitten und sich gegen Gewalt gewendet zu haben, stünden im Widerspruch zu der geplanten Rückkehr ins Krisengebiet.

Berichte über erschütternde Erlebnisse in heitere Stimmung

Überdies führe nicht jede psychische Verwundung automatisch zu einer posttraumatischen Störung. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs hätten schließlich auch nicht alle 45 Millionen Deutsche eine Belastungsstörung aufgewiesen. „Das war die Generation, die die Bundesrepublik erst geschaffen hat.“ Der Experte bescheinigte dem „geistig gesunden, normalsinnigen“ Ismail I., heftig, aber ohne Tiefe zu erleben. „Er hat die Identität mit sich selbst noch nicht gefunden.“

Bei seinem Gespräch mit dem Angeklagten in oft „heiterer Stimmung“ habe dieser von einem besonders erschütternden Erlebnis berichtet: Einmal seien im Lager zwei blutüberströmte Männer mit einem Pick-Up eingetroffen, die er zuvor noch quicklebendig gesehen habe. Der leicht beeindruckbare Ismali I. habe nach eigenen Worten eine Art Zusammenbruch erlitten.

Der Angeklagte gibt für sein Engagement in Syrien humanitäre Motive und Hass auf das Regime des syrischen Herrschers Baschar al-Assad an. Von dem Islamischen Staat hat er sich mittlerweile losgesagt.