In Stuttgart werden 30 Prozent der Betriebe von Einwanderern geführt. Die Stadt legt jetzt eine Studie über Migranten als Unternehmer vor. Die Studie zeigt, welche Migrantengruppen für welche Berufe eine Vorliebe haben.

Stuttgart - Es ist die Dönerbude in der Innenstadt, die Änderungsschneiderei um die Ecke und der Onkel-Ali-Laden im Viertel, was die meisten Menschen spontan mit Migranten und Unternehmertum verbinden dürften. „Das Bild stimmt immer noch, aber wir stellen fest, dass die junge Generation an der Schneiderei und dem Lebensmittelladen kein Interesse mehr hat“, sagt Stuttgarts Integrationsbeauftragter Gari Pavkovic. Wenn sich die Migranten der ersten und zweiten Generation aus den Geschäften zurückzögen, fänden sich oft keine Nachfolger.

 

Die Stadt hat jetzt eine Studie vorgestellt, die sich den Stuttgarter Unternehmern mit Migrationshintergrund widmet und die als 36-Seiten-Broschüre vorliegt. Ergebnis ist, dass in Stuttgart 30 Prozent aller Betriebsstätten von Migranten geführt werden.

Migranten haben deutliche Vorlieben bei der Branchenwahl

Die Statistiker stellen fest, dass die Migranten bei der Branchenwahl deutliche Vorlieben haben. Unternehmer mit ausländischen Wurzeln sind überproportional häufig im Gastgewerbe, bei den Post- und Kurierdiensten, im Taxigewerbe, in der Gebäudereinigung und im Kraftfahrzeughandel anzutreffen. Deutlich unterrepräsentiert dagegen sind die Migranten in den freien Berufen, in der Warenherstellung, dem Gesundheitswesen und den Finanzdienstleistungen. Am häufigsten stammen die Firmengründer aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und dem übrigen Osteuropa. An dritter Stelle der Liste stehen Unternehmer aus der Türkei.

Rein statistisch gesehen gehört Özkan Isik also noch zu einer kleinen, aber wachsenden Gruppe. Der 40 Jahre alte Akademiker ist als selbstständiger Designberater tätig, hält für eine große Stuttgarter Agentur die Kontakte in die Türkei und muss sich um Aufträge nicht sorgen. „Die erste Generation hatte es schwer in Deutschland, die zweite auch, weil die Eltern sich mit dem Bildungssystem schwertaten, für die dritte Generation ist vieles leichter“, sagt der Stuttgarter und verweist darauf, dass es noch nie so viele türkischstämmige Gymnasiasten gab wie heute. „Noch sind prozentual zu wenige Akademiker unter den türkischstämmigen Unternehmern, aber das wird sich in den nächsten Jahren rasant ändern“, ist der Designer überzeugt. Dann würden sich auch die Branchen ändern, in denen sich die Migranten ansiedelten. „Wir bauen die Brücken in die früheren Heimatländer, das ist ein unschätzbares Kapital.“

Besonders viele Griechen in der Gastronomie

Vorerst aber zeigt die Analyse der Stuttgarter Statistiker, dass jede Nationalität ihre Neigungen hat, die im Moment nur selten in den wissensintensiven Branchen liegen. Besonders viele Griechen suchen ihr Glück in der Gastronomie, Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien sind vor allem im Bau tätig, und Unternehmer arabischer Herkunft entscheiden sich häufig für den Handel und die Reparatur von Autos. Interessant ist, dass die von Einwanderern geführten Betriebe vor allem in den Stuttgarter Stadtbezirken angesiedelt sind, in denen überdurchschnittlich viele Migranten leben. Dazu gehören Zuffenhausen, Feuerbach und Bad Cannstatt. Am wenigsten migrantische Firmen finden sich in Sillenbuch und Degerloch. Ein Unternehmer aus einer Einwandererfamilie weist im Schnitt 4,2 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus, 54 Prozent der Betriebe aber haben keine Mitarbeiter.

Zur Studie gehört auch eine Online-Befragung, an der sich zwischen November 2013 und März 2014 insgesamt 119 Migranten beteiligt haben. Ein wichtiges Ergebnis der nicht repräsentativen Umfrage ist aus Sicht von Levent Günes von der Stabsstelle Integration, dass viele Migranten vor der Existenzgründung keine Beratung in Anspruch nehmen und dies auch nicht tun, wenn das Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät. „Einwanderer bringen viel Unternehmergeist mit, haben aber mehr Probleme, sich auf dem Markt zu halten“, sagt Günes, der die Studie zusammen mit dem Statistischen Amt erstellt hat. Die Migranten würden zu wenig nützliches Wissen abfragen, das beispielsweise über Kammern und Wirtschaftsförderungen frei zugänglich ist. Gezeigt hat die Befragung außerdem, dass auffallend viele Einwanderer ihre Existenzgründung mit Geld der Familie finanzierten und nur unterdurchschnittlich viele mit Krediten der Banken. „Das kann die Familien in schlimme Notlagen bringen“, so Günes.

Beratungsstellen sollen stärker interkulturell arbeiten

Die Stabsstelle Integration will als Reaktion auf die Studie dafür sorgen, dass künftig mehr Migranten den Weg zu den Einrichtungen finden, die Unternehmern Beratung bieten, beispielsweise zur Wirtschaftsförderung und zu den Kammern. „Die Beratungsstellen müssen sich stärker interkulturell ausrichten“, sagt Günes. Wichtig wäre es, dass es einzelne Mitarbeiter gebe, die sich speziell um die Einwanderer kümmern. Ausgebaut werden müssten auch die Kontakte zu den landsmannschaftlich organisierten Unternehmerverbänden, so der Tenor der Stabsstelle. Ines Aufrecht, die Leiterin der städtischen Wirtschaftsförderung, reagiert überrascht auf die Kritik. „Wir sind schon jetzt im stetigen Austausch mit den Unternehmerverbänden der Migranten. Und im Gründerbüro haben wir einen Berater mit türkischen Wurzeln.“ Im Starter-Center der Handwerkskammer der Region stellt die Zentrumsleiterin Gabi Wolf fest, dass die Nachfrage seitens der Migranten wächst. Von den 134 Existenzgründern, die die Kammer von Januar bis September dieses Jahres beraten hat, waren 34 Prozent Zuwanderer. „Wir haben türkischsprachige Mitarbeiter“, sagt Wolf und fügt hinzu: „Wir müssen bei diesem Thema am Ball bleiben.“