Die Stuttgarter Versicherung und eine Leonberger Firma begeisterten Anleger einst für Anteile an Solarparks. Heute haben alle Akteure gewaltigen Ärger damit. Viele Anleger beklagen hohe Verluste und ziehen vor Gericht. Was ist schiefgelaufen?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wolfgang Fischer ließ seiner Begeisterung freien Lauf. Geradezu schwärmerisch berichtete der Vizevorstandschef der Stuttgarter Versicherung von der Zusammenarbeit mit der Leonberger Firma Eurosolid und deren Chef Ulrich Busz. Wie man gemeinsam die Energiewende anpacke und dabei „Otto Normalverbraucher“ beteilige, das sei schon „was ganz Besonderes“. Anfangs habe er ja gewisse Zweifel gehabt, gestand Fischer vor interessierten Anlegern beim „Power Day“ im März 2012 in der Stuttgarter Carl-Benz-Arena. Aber inzwischen habe sich die Kooperation „fulminant“ entwickelt, sei man „in eine Dimension vorgestoßen, die wir uns eigentlich alle nicht vorstellen konnten“.

 

Wie auch Bürger ohne Ackerflächen oder Hallendächer von den erneuerbaren Energien profitieren könnten, indem man die Anlagen in einzelne Parzellen unterteile – „das klingt toll und das ist toll“. Da könnte man getrost von einer „Win-win-win-Situation“ sprechen, jubilierte Fischer am Pult mit der Aufschrift „Du bist Energie für Deutschland“. Ein Gewinn sei die Zusammenarbeit für die Kunden, die „Sicherheit für ihr Geld“ wünschten, für Busz‘ Eurosolid, die sich um Objekte, Technik und Bau kümmere und für die Stuttgarter Versicherung, die die Finanzierung übernehme. Was Wunder, dass das Angebot laufe „wie geschnitten Brot“. Kein einziger Vertrag sei geplatzt, „es ist keiner übertölpelt worden“, von Beschwerden habe er nichts gehört. „Vielen Dank, Herr Busz!“

Im Prospekt klang alles fabelhaft

Die euphorischen Passagen aus Fischers Rede lassen sich heute noch anschauen, auf einem Video im Internet. Doch vom damaligen Hochgefühl ist nicht mehr viel übrig, stattdessen dominieren Groll, Frust und Wut. Von wegen win-win-win – allen Beteiligten bereitet die einst so gepriesene Zusammenarbeit nachhaltigen Ärger. Dutzende von Anlegern, die damals Anteile an Solarparks erwarben, sehen sich getäuscht und geschädigt, beklagen zum Teil existenzbedrohende finanzielle Verluste. Eurosolid und die Versicherung werden mit Vorwürfen, Forderungen und Klagen konfrontiert, längst beschäftigt der Streit Firmenjuristen, Anwälte und Richter. Unangenehm ist er vor allem für die Stuttgarter Versicherung (Motto: „Zukunft machen wir aus Tradition“), die in der Branche eigentlich einen besonders guten Ruf genießt. Nicht nur ihre Reputation leidet unter den eskalierenden Nachwehen der damaligen Geschäfte. Als finanzkräftigster Akteur ist sie auch Hauptadressat der Forderungen. Bei Eurosolid nämlich, heißt es, sei wohl nicht viel zu holen.

Dabei las sich alles so schön, damals im Prospekt. „So einfach werden Sie zum Energieunternehmer“, erläuterte Eurosolid Energy und schwärmte: „Mit der Sonne Geld verdienen – geringes Risiko, umweltfreundliche Rendite.“ Anders als bei Fonds komme jeder Käufer in den Besitz seiner eigenen Solaranlage. Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes winkten für 20 Jahre kalkulierbare Einnahmen: die Netzbetreiber seien schließlich verpflichtet, den Strom abzunehmen. Damit eigne sich das Investment gut zur Altersversorgung. Gebaut würden die Fotovoltaik-Anlagen – überwiegend im Osten Deutschlands – von der Firma Fleckenstein Solar, Eurosolid übernehme die Planung und später den Service. Für den erwarteten Ertrag wurden verschiedene Prognosen vorgerechnet, eine Garantie indes ausdrücklich ausgeschlossen. Das Fazit: „sonnige Aussichten“.

Verzweifelte Anlegen fürchten den Ruin

Die Investitionssumme pro Anlage lag bei etwa 50 000 Euro, etliche Investoren erwarben gleich zwei. Bei der Finanzierung kam die Stuttgarter Versicherung ins Spiel, die bereits die Solarparks finanziert hatte. Mit einem Zinssatz von 4,7 Prozent auf zwanzig Jahre machte sie aus Sicht vieler Anleger das attraktivste Darlehens-Angebot. Getilgt werden sollte der Kredit mit den Erträgen der Anlage, dazu winkten Steuervorteile. Offeriert wurde auch eine Kombination mit einer Rentenversicherung und einem Bausparvertrag. Für viele Anleger zählte aber auch der gute Namen der „Stuttgarter“, gleichsam als Garant für Seriosität. Besonders der Auftritt Fischers beim Power Day habe ihn und seine Frau „bei unserer Kaufentscheidung unterstützt“, berichtet ein Käufer in einem der Online-Foren, in denen sich inzwischen Leidensgefährten austauschen.

An Klagen herrscht dort kein Mangel. Die Anlagen seien überteuert gewesen, sie hätten erhebliche technische Mängel, die Erträge blieben deutlich unter den Erwartungen, zeitweise fielen die Einspeisevergütungen ganz aus – so oder ähnlich klang der Kummer der Investoren. Etwa 170 von ihnen lassen sich inzwischen von der Leipziger Anwaltskanzlei Dr. Fingerle vertreten. Statt der prognostizierten Gewinne, berichtet diese, drohten den Anlegern Verluste von 30 000 Euro und mehr. Vielfach gebe es Probleme bei der steuerlichen Anerkennung, weil die Finanzämter die Aussicht auf Gewinne vermissten. Für einen Teil der Mandanten „würde der Fortbestand der Verträge den finanziellen Ruin bedeuten“, sagt der Kanzleichef Daniel Fingerle. Entsprechend groß sei teilweise die Verzweiflung: man höre von Tränen, Angst um die Existenz, Zerwürfnissen in Familien, in einem Fall sogar von Suizidgedanken.

Zinssatz um fast die Hälfte gesenkt

Mit der Stuttgarter Versicherung, berichten die Anwälte, verhandele man seit längerem intensiv über einen Vergleich. Erstes Ergebnis: sie senke den Zinssatz des Darlehens für alle Betroffenen von 4,7 auf 2,7 Prozent – also fast um die Hälfte. Zudem gebe es das Angebot, auf ein Viertel des Darlehensbetrages zu verzichten. Doch diese Lösung helfe nur einem kleineren Teil der Mandanten. Daher bereite man derzeit Zivilklagen vor, die beim Landgericht Stuttgart eingereicht werden sollen. Deren Ziel: „die vollständige Befreiung. . . von den geschlossenen Verträgen gegen Rückgabe der Photovoltaikanlage“. Bei dem Gericht sind in gleicher Sache bereits fünf Klagen anderer Investoren anhängig, die von der Würzburger Kanzlei Sternisko vertreten werden. Bei der mündlichen Verhandlung im April konnten sie indes nicht viel Hoffnung schöpfen. Die Kammer erläuterte ihnen vor allem rechtliche Probleme, die etwaigen Ansprüchen entgegenstünden. Zugleich erkannte sie weder verbindliche Ertragszusagen noch eine Täuschung. Die Vertreter von Eurosolid und der Versicherung mussten nicht viel sagen, der Termin verlief ganz in ihrem Sinne; am Ende kündigte die Vorsitzende Richterin einen Vergleichsvorschlag an.

„Das Risiko trägt der Anleger“

Der Anwalt von Eurosolid will sich darauf nicht einlassen: Man erwarte, dass die Klage abgewiesen werde. Die Verträge könnten nicht angefochten werden, weil sie keine Zusicherung, sondern nur eine unverbindliche Prognose enthalten hätten: „Das Risiko, dass sich eine. . . Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Anleger selbst.“ Auch ein Widerrufsrecht als Verbraucher stehe den Käufern nicht zu, weil sie zu Unternehmern geworden seien. Da Eurosolid die Anleger nicht getäuscht habe, komme auch deshalb keine Anfechtung in Betracht.

Die Leipziger Anwälte lassen sich vom Prozessverlauf indes nicht entmutigen; sie sehen sich deutlich besser gerüstet als ihre Würzburger Kollegen. Ihr Trumpf ist ein von ihnen in Auftrag gegebenes Gutachten, das sehr wohl eine „arglistige Täuschung“ belegen soll. Bei der Berechnung der Ertragsprognosen sei nämlich unterstellt worden, dass sich die Module im Tagesverlauf mit der Sonne von Ost nach West drehten und so mehr Energie aufnähmen. Eine solche „Nachführung“ sei indes nie geplant gewesen und auch nicht realisiert worden. In dem Vorgehen sehe man ein „betrügerisches Handeln“, eine Strafanzeige werde vorbereitet.

Kaum auf öffentliche Warnung reagiert

Schon 2012 gab es übrigens eine öffentliche Warnung. Bei dem Konstrukt handele es sich um „eines jener zweifelhaften Steuersparmodelle, mit denen lediglich überteuerte Objekte verkauft werden“, schrieb damals die Berliner Fachberatung Tetrateam in einem Newsletter. Eine nachvollziehbare Renditeberechnung fehle, Profiteur sei vor allem die Firma Eurosolid, die gleich mehrfach verdiene. Laut dem Berater Oliver Ginsberg alarmierte Tetrateam wegen des „ethisch fragwürdigen Vertriebssystems“ sogar die Stuttgarter Versicherung. Doch die Rückmeldung sei „dürftig“ gewesen: zu Kooperationen auf regionaler Ebene könne man nichts sagen, habe die zuständige Direktion geantwortet.

Heute äußert sich die Versicherung wesentlich ausführlicher, mit Blick auf die anhängigen Verfahren aber nicht zu allen Fragen. Ob man von der Seriosität des Partners Eurosolid noch überzeugt sei – das etwa bleibt unbeantwortet. Ihr Hauptargument: „Wir haben ausschließlich als Darlehensgeber und Versicherer agiert.“ Weder zur Qualität der Fotovoltaikanlagen noch zur möglichen Rendite der Investoren habe man sich geäußert, als Garant für wirtschaftlichen Erfolg sei die Stuttgarter nie aufgetreten. Ob die Anlagen überteuert gewesen seien, könne man „nicht verifizieren“. Der Vorwurf technischer Probleme und unrealistischer Prognosen sei „bislang nicht bestätigt“. „Wir haben niemanden arglistig getäuscht“, betont die Versicherung. Ob sie sich ihrerseits getäuscht sehe? In den Gerichtsverfahren werde sich klären, „wer hier eventuell wen getäuscht hat“.

Verhältnis zu Maklern belastet

„Angespannt“ ist laut der Stellungnahme das Verhältnis zu jenen Maklern, die in die Vermittlung der Solaranlagen eingebunden waren. Einzelne hätten „werbliche Dokumente mit unserem Firmennamen erstellt“ und diese unerlaubt bei der Vertragsanbahnung eingesetzt. Im Prozess fechten sie übrigens auf der Gegenseite. Dass man mit der Reduzierung des Zinssatzes auf die Probleme von Kunden eingehe, entspreche dem üblichen Vorgehen; in Notsituationen sei man „immer zu einzelfallorientierten Lösungen“ bereit. Zu den laufenden Vergleichsgesprächen will die Versicherung derzeit nichts sagen, um diese „nicht zu beeinträchtigen“.

Den Auftritt ihres Vorstandsvizes beim Power Day wertet die Stuttgarter übrigens anders als viele Betrachter. „Einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Passagen in einem Grußwort“ seien nicht aussagekräftig. Die Einschätzung, dass sich Wolfgang Fischer euphorisch geäußert habe, „teilen wir ausdrücklich nicht“.