Barbara Müller hat schon vor dem Rathaus Pilze verkauft, als viele ihrer Kollegen noch nicht einmal geboren waren. Ans Aufhören denkt sie aber nicht.

Stuttgart - Aufhören? Barbara Müller schaut ihr Gegenüber etwas verwundert an, dann lacht sie. „Warum denn das?“, fragt sie und schüttelt amüsiert die schwarze Mähne, „ich kann arbeiten wie ein Pferd und es macht Spaß.“ Das muss wohl auch so sein, denn sonst würde die Frau nicht seit 50 Jahren bis zu dreimal in der Woche von Wimsheim im Enzkreis ins Städtle fahren, um auf dem Stuttgarter Markt Gemüse zu verkaufen – und vor allem natürlich ihre Pilze. „Das ist mein Leben“, sagt sie „ich komme aus einem schlesischen Bauerngeschlecht, da wird immer hart geschafft. Ohne Arbeit wäre ich tot.“

 

Harte Arbeit als Jungbrunnen

Und so steht sie auch weiter auf dem Stuttgarter Markt ihre Frau und wundert sich, dass andere über ihr Alter staunen. Man spricht bei Damen ja nicht offen darüber, aber Barbara Müller war 30, als sie vor 50 Jahren zum ersten Mal einen Stand in Stuttgart aufbaute. Heute genießt sie es ganz offensichtlich, länger im Geschäft zu sein als sonst jemand auf dem Markt. Und das bei – fast – jedem Wetter. Vergangenen Samstag bei minus zehn Grad hat sie dann doch abgesagt. Aber am kommenden Wochenende ist sie mit ihren Mitarbeitern wieder da. Ehrensache. Die „schwarze Barbara“ wie sie von einigen Kollegen wegen ihrer Haare und der Vorliebe für dunkle Klamotten („Da sieht man den Dreck nicht so“) genannt wird, ist topfit. Zu Hause die Beine hochlegen – „am Sonntag schon, aber sonst will ich das nicht. Mehr wäre langweilig.“ Ihr Sohn, der mittlerweile das Geschäft leitet, versucht sie ab und zu vom Kürzertreten zu überzeugen, beißt aber auf Granit. Barbara Müller liebt ihre Arbeit. Und auch das Leben. An Ostern 2015 hat sie sich zum großen Erstaunen ihrer Familie heimlich einen lang gehegten Wunsch erfüllt – einen Porsche 911, strahlend weiß und, wie sie sagt, satte 550 PS stark. „Viel gefahren bin ich aber noch nicht“, erklärt sie lachend, „aber das war ein großer Wunsch von mir und wenn man so lange hart gearbeitet und immer gespart hat, darf man sich den auch erfüllen, oder?“

Wenig Zeit für den Porsche

Von einem weißen Sportwagen aus Zuffenhausen hätte sie 1967 wohl noch nicht einmal ihrem Kopfkissen erzählt, so weit weg war der. Barbara Müllers Schwiegervater züchtete Pilze und die junge Frau versuchte, diese an die Stuttgarter Hotels zu verkaufen. „Bis auf die Köche in den großen Häusern hatte damals aber keiner eine Ahnung, wie man mit Champignons richtig umgeht“, erinnert sie sich. Entsprechend zäh lief es zunächst. Das galt auch für den Markt. Barbara Müller war damals ganz alleine unterwegs, hatte einen kleinen Klapptisch am Eingang des Bunkerhotels, die Pilze wurden umständlich mit einer Tafelwaage abgewogen, der Preis beim Einpacken im Kopf berechnet. Und dann musste sie noch den Städtern erklären, dass man Champignons nicht mit der Wurzelbüste abschrubbt oder lange im Wasser einweicht. Und schon damals zeigten ihre vielen Stuttgarter Kunden ein Verhalten, dass sich bis heute nicht geändert hat. „Früh morgens ist der Markt fast leer, aber wenn wir um halb zwei abbauen, dann ist es voll.“

Aus dem Klapptisch der 1960er Jahre ist schon lange ein großer Stand mit Angestellten geworden – mit Blick auf das Rathaus vorne links auf dem Marktplatz. Barbara Müller ist bekannt für ihre Pilze, im Frühjahr seit Jahrzehnten auch für Spargel und natürlich auch für ihre offene Art, auf die Menschen zuzugehen und ihnen auch mal zuzuhören. „Von vielen meiner Kunden kenne ich die Lebengeschichte und für einige bin ich auch über viele Jahre hinweg so etwas wie der Kummerkasten geworden“, sagt die Frau, die im Sommer auch mal Kirschen als Ohrschmuck trägt. Und die sich für ihre Kunden einiges zumutet. An Marktagen klingelt in Wimsheim um halb drei Uhr in der Frühe der Wecker, bis sie wieder zu Hause ist, wird es mindestens vier Uhr am Nachmittag. Dazwischen aufbauen, lange stehen und verkaufen bei jedem Wetter, ein Schwätzchen halten und Bella Figura machen, was der hochgewachsenen Frau, die früher auch als Modell gearbeitet hat, auch heute noch nicht schwer fällt.

12-Stunden-Touren sind für die Marktfrau kein Problem

Die Arbeit im Fokus flogen die Jahre nur so ins Land, meint die Frau, die seit 1991 alleine lebt. Urlaub gab es in diesen Jahren so gut wie keinen, mal drei Tage Paris oder eine Woche Gran Canaria mit den Enkeln, das war es dann auch. Die Familien ihrer zwei Söhne und der Markt, das ist ihr Leben. „Leider sind in den vielen Jahren gut wie die Hälfte meiner alten Stammkunden gestorben“, sagt sie. Aber es kommen immer wieder neue dazu, auch Promis wie Daimler-Chef Dieter Zetsche oder Fanta-4-Manager Bär Läsker sieht man an ihrem Stand.

Wer Barbara Müller fragt, wie man denn so lange fit bleibt, bekommt eine schnelle Antwort. „Vor allem Spaß und Zufriedenheit bei der Arbeit, viel Gemüse essen und Wein nur am Wochenende.“ Punkt. Mehr Geheimnisse gäbe es nicht, erklärt die Frau, die auch heute noch neben dem Stuttgarter Markt einmal in der Woche mit einem Kastenwagen voller Pilze eine lange Tour zu Ulmer Hotels fährt. So was kann dann auch mal zwölf Stunden dauern. „Mir macht das nichts aus“, sagt sie

Muss wohl so sein, aber zumindest einen Nachteil hat das arbeitsreiche Leben. Einen großen Freundeskreis hat sie nicht. „Ich muss eben so oft nein sagen, wenn mich jemand einlädt, weil ich am nächsten Tag wieder ganz früh raus muss“, erklärt sie. Aber die Familie sei ja auch noch da.

Aber gut, fragen wir vorsichtshalber noch einmal, vielleicht doch ein bisschen kürzer treten? „Nein, da hätte ich ja soviel Zeit, da müsste ich mich ja noch einmal nach einem Mann umschauen“, sagt Barbara Müller lachend. „Dann doch lieber schaffen und den Porsche.“

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wimsheim-wimsheim-will-auch-in-diesem-jahr-kraeftig-investieren.57e4fc55-3356-451f-add0-cc6845090431.html

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.altersforschung-stadt-muss-lust-auf-bewegung-machen.ba95b463-ea12-4ed7-9dc3-033d2aaf3693.html