Die Israelin Sivan Cohen-Elias lebt seit August mit anderen Stipendiaten der Akademie in den Offizien- und Kavaliersgebäuden des Schlosses Solitude. Seine abgeschiedene Lage inspiriert die Komponistin.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Stuttgart - Das Studio Nummer Acht der Akademie Schloss Solitude fühlt sich an wie ein Ausstellungsraum im Museum of Modern Art. Massive Flügeltüren führen in einen hohen Raum mit kahlen Wänden und knarzendem Parkett, in dem es nach Metall riecht. In der Ecke steht ein Steinway-Flügel ohne Deckel, der von Joseph Beuys stammen könnte: Über dem entblößten Innenleben ist ein Drahtgitter gespannt, von dem Metallfedern bis zu den Saiten hinunter baumeln. Zu Füßen des Flügels stehen Plastikbehälter mit Klavierinnereien – Tasten, Hammer, Saiten.

 

In der anderen Hälfte des Raums stehen weitere bizarre Gegenstände. Eine Fahrradfelge, die auf einem Ständer balanciert, auf deren Speichen kleine Bälle liegen. Ein Cello, das über ein Seil mit dem Bogen verbunden ist. Dicke Druck- und Zugfedern, die wie Türme nebeneinander stehen. Ein orangefarbener Lautsprecher.

Nur wenig deutet darauf hin, dass dieser Raum bewohnt wird. Die toten Sträucher auf der Fensterbank zum Beispiel. Oder der mit Partituren übersäte Schreibtisch. An ihm arbeitet die Komponistin Sivan Cohen-Elias, eine Frau mit Rehaugen und hoch gestecktem Haar, die ein Faible für eisenhaltige Abfälle zu haben scheint. Die vermeintlichen Ausstellungsstücke sind die Instrumente zu ihrem halb fertigen Werk, das den Arbeitstitel „Leftovers“ (Überbleibsel) trägt.

Die abgeschiedene Lage inspiriert die Komponistin

„Die habe ich auf einem Hinterhof von irgendeinem Autozulieferer gefunden“, sagt Sivan Cohen-Elias und gibt auf ihrem Instrument aus Metallfedern eine kleine, aber feine musikalische Kostprobe. „Das ist fantastisch, was man hier in den Recycling-Containern findet“, schwärmt sie.

Seit August lebt die 37-jährige Israelin gemeinsam mit anderen Stipendiaten der Akademie in den Offizien- und Kavaliersgebäuden des Schlosses. Seine abgeschiedene Lage inspiriert die Komponistin. „Ich mag es, wenn in der Stille plötzlich eine Maschine anspringt, ein Rasenmäher oder eine Motorsäge“, sagt sie. An den Wochenenden, wenn die Hochzeitsgesellschaften und Senioren-Gruppen ins schwäbische Versailles drängen, verwandelt sich ihr Studio tatsächlich in einen Ausstellungsort. Dann glotzen die Ausflügler ungläubig durch ihr Fenster, erstarrt vom Anblick des malträtierten Klaviers. „Ich diskutiere mit den Leuten am Fenster über meine Arbeit“, sagt sie. „Am Ende verstehen sie, was ich tue.“

Vor wenigen Monaten sah ihr Studio völlig anders aus, als sie eine Choreografie für ein Streichquartett einstudierte. Mit einem Baustellenband hatte sie die Musiker miteinander verbunden und verknäult. Woran sie auch arbeite, das Arbeitszimmer habe immer einen Einfluss auf ihr Schaffen, sagt sie. „Es ist die Gestaltungsfläche für meine Ideen.“

Das Umfeld gibt unglaublich viele Impulse

In der oberen Etage der hübschen Akademie-Wohnung spielt sich der gewöhnlichere Teil des Künstlerlebens statt. Eine einfache Küchenzeile trennt den Schlaf- vom Wohnbereich. In der Spüle türmt sich Geschirr, auf dem Fußboden stehen leere Weinflaschen, an den Wänden hängen Kinderbilder von Familien vor beschaulichen Häuschen mit Garten, wie Visionen aus einer fremden Welt. „Die Bilder hat mein Neffe für mich gemalt“, sagt Sivan Cohen-Elias.

Die Komponistin steht am offenen Fenster und raucht. Wenn sie ins grüne Idyll hinausschaut, blickt sie auf zwei sonderliche Objekte: Einen mannshohen Container („Darin befindet sich eine Sauna.“) und eine Holzskulptur, die aussieht wie der Ausschnitt eines Igelrückens. „Von unserem Architekten“, sagt sie und erzählt von der Gemeinschaft, die sie mit den anderen Stipendiaten der Akademie erlebt. „Wir spielen viel – Tischkicker, Schach, Mahjongg.“ Wenn sie dann wieder auf ihr Zimmer gehe, setze sie die Spielabläufe auf dem Notenpapier fort. „Mir ist bewusst, dass dieses Umfeld mir unglaublich viele Impulse gibt“, sagt sie. „Jeder Moment zählt.“

Noch bis zum Sommer wird Sivan Cohen-Elias in der Akademie wohnen. Vorher lebte sie in Boston. Davor in Wien. Die nächste Adresse kennt sie noch nicht. Die Solitude war eine Station von vielen. Vielleicht war sie die wichtigste. Sie habe hier ihren künftigen Mann kennengelernt, erzählt sie am Schluss. Noch diesen Sommer wollen sie heiraten. Vielleicht auf Schloss Solitude.