Oya Ilter ist in Stuttgart und der Region aufgewachsen, lebt seit fast einem Jahr in Istanbul und ist von den jüngsten Anschlägen tief getroffen, will sich die Lebensfreude aber auf keinen Fall nehmen lassen.

Stuttgart/Istanbul - Und dann war der Terror plötzlich ganz nah. Greifbar. Nur 27 Kilometer entfernt. Dort, wo Oya Ilter mindestens einmal im Monat ist, um in die Welt zu fliegen. Zu den Freunden nach London, in die Heimat nach Deutschland oder in den Urlaub.

 

Am Dienstagabend hat der Terror von Istanbul auch die 31-jährige Deutsch-Türkin, die in Hirschlanden bei Ditzingen aufgewachsen ist und an der Universität Stuttgart Englisch und BWL studiert hat, kalt erwischt.

Seit mittlerweile fast einem Jahr lebt Oya Ilter in der türkischen Metropole, unterrichtet dort an einer Privatschule dreijährige Kinder auf Englisch und fühlt sich in der eigenen Wohnung im Haus ihrer Großmutter pudelwohl.

Nach dem Studium in Stuttgart lebte sie eine Zeit lang in San Francisco, später drei Jahre in London – Großstädte sind ihr Zuhause. Nur der Terror, der ist neu.

Im Interview mit unserer Zeitung spricht Oya Ilter über die Anschläge von Dienstag, den Terror in der Türkei. Und warum sie die Stadt trotzdem auf keinen Fall verlassen möchte.

Frau Ilter, Sie sind in Stuttgart und der Region aufgewachsen, haben hier studiert, sind später nach London gezogen und leben nun seit fast einem Jahr in Istanbul. Am Dienstagabend hat der Terror die Stadt in einem neuen Ausmaß heimgesucht. Wie haben Sie davon erfahren?
Direkt in der Nacht durch einige Freunde.
Wie haben Sie dann reagiert?
Ich habe sofort angefangen zu lesen und war natürlich erst einmal geschockt. Es war aber schnell klar, dass das Leben weitergehen muss. Weitergehen wird.
Die Nacht war also nicht besonders unruhig?
Nein, das nicht. Aber ich war indirekt von den Vorkommnissen betroffen. Mein Papa und mein Bruder wollten am Mittwoch aus Stuttgart kommen, der Flug wurde aber gestrichen. Jetzt kommen sie am Donnerstag.
Eine Freundin aus London ist wenige Stunden nach dem Attentat gelandet und musste solange im Flieger sitzen bleiben, bis es sicher war, dass sie die Maschine verlassen können.
Wie groß war der Schock über die Ereignisse?
Ich hätte das nicht so erwartet. Die haben sich ja keine bestimmt Gruppe ausgesucht. Dieses Mal hätte es wirklich jeden treffen können. Trotzdem kann man dagegen nichts machen.
Inwieweit sind Sie von diesem Anschlag betroffen?
Der Anschlag betrifft einen voll. Mich und mein Umfeld. Ich fliege mindestens einmal im Monat vom Atatürk-Flughafen, bin oft genug an den Stellen, an denen sich die Attentäter in die Luft gesprengt haben. Ich gehe dort immer rein und raus.
Wie geht es jetzt weiter?
Man ist geschockt. Aber trotzdem: Das Leben geht normal weiter. Es ist immer eine Frage, wie man damit umgeht. Eine Freundin von mir hat das sehr gut ausgedrückt und gesagt: „Wie hoch ist die Chance, dass du in einer 15-Millionen-Stadt genau zu dieser Zeit an dem Ort bist, wo ein Attentat passiert?“ Das hat mir geholfen.
Verändert sich denn gar nichts?
Für mich und meine Freunde und Verwandte sind es eher Einschränkungen im praktischen Bereich. Wenn man jetzt von Istanbul fliegt, muss man deutlich früher zum Flughafen, weil die Sicherheitsvorkehrungen verschärft wurden.
Wie nehmen Ihre Freunde in Istanbul die Situation wahr?
Generell ist es für uns Ausländer, die in der Türkei leben, einfacher. Ich habe einen deutschen Pass, ich kann jederzeit gehen. Aber meine türkischen Freunde ohne anderen Pass denken schon darüber nach, wie es in Zukunft weitergehen kann. Wenn sich die Lage verschärft. Syrien ist nah.
Also macht man sich doch Gedanken?
Natürlich. Aber ich glaube der Terror ist nicht alleine stadtbezogen. Deshalb gibt es auch niemanden, der sagt, ich soll die Stadt verlassen. Zumal es für mich auch ein emotionales Ding ist: Ich fühle mich in dieser Stadt einfach am wohlsten.
Was bedeutet Istanbul für Sie?
Istanbul ist magisch. Einfach unbeschreiblich. Istanbul hat eine Seele. Man bekommt ein Glücksgefühl, wenn man in der Stadt unterwegs ist.
Machen sich die Anschläge der Vergangenheit bemerkbar?
Man merkt schon, dass in Istanbul weniger Touristen unterwegs sind. Ich habe Istanbul noch nie so leer gesehen. Das macht mich traurig.
Und trotzdem gibt es einen Grund zu gehen.
Nein. Müsste ich mich nochmal neu entscheiden, würde ich jeden Tag wieder so wählen, diese Stadt zu ziehen.