Die Stadt Stuttgart will in ihrem neuen Haushaltsentwurf endlich mehr Geld für Kernaufgaben zur Verfügung stellen. Der StZ-Autor Jörg Nauke begrüßt diesen Ansatz.

Stuttgart - Die Öffentlichkeit nimmt Stuttgart derzeit vor allem als Feinstaubhauptstadt wahr, deren Bürger von Großbaustellen und Dauerstau geplagt sind. Nicht einmal die Wirtschaftskraft scheint mehr zu überzeugen, wie eine Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts zur Zukunftsfähigkeit von Metropolen zeigt: Absturz von Platz fünf auf neun, und von Leipzig überholt, das auf den zweiten Platz stürmte. Zumindest diese Wertung sieht man im Rathaus gelassen. Würden absolute Kennzahlen zugrundegelegt und nicht der als Dynamik bewertete Nachholbedarf, sähe es anders aus. Denn allein zwischen den beiden Haushalten liegen Welten. Stuttgart hat die doppelte Bilanzsumme (fast zehn Milliarden Euro), das zehnfache Finanzvermögen (4,5 Milliarden), doppelt so hohe Gewerbesteuereinnahmen und Investitionen – und mit 51 Millionen Euro rund 14-mal weniger Schulden als die Sachsen. Bei den Finanzen steht die Landeshauptstadt weiterhin glänzend da.

 

Aber Geld allein macht auch nicht glücklich. Obwohl die Stadt im vergangenen Jahr 231 Millionen Euro Überschuss erwirtschaftete, musste sich die Verwaltungsspitze zu Recht vorhalten lassen, bei der Planung des damaligen Haushalts versagt zu haben. Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU), nach eigener Aussage lieber Kettenhund als Milchkuh, hatte extrem tiefgestapelt, um den Spardruck in den Etatberatungen zu erhöhen. Damit wurde nicht nur die Handlungsfähigkeit des Gemeinderats limitiert, sondern die Ämter erhielten auch zu wenig Mittel für ihre Pflichtaufgaben und die Infrastruktur. Diese Strategie hat in Stuttgart Tradition, diesmal fiel sie aber besonders unangenehm auf. Während es an allen Ecken und Enden bröckelt und die Maschinen des Gartenbauamts reif fürs Museum sind, gewährte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) der Stadtentwässerung einen Kredit, weil er nicht wusste, wohin mit den letzten 30 Millionen Euro.

Pflicht geht vor Kühr

Dagegen ist der nun präsentierte Etatentwurf für die Jahre 2018/19 in weiten Teilen ein Haushalt der Vernunft. Die Pflicht genießt Vorrang vor der Kür. Der Oberbürgermeister scheint seinen Kettenhund an die Leine genommen zu haben. Verständlich, denn nach fünf von acht Amtsjahren sollte allmählich sicht- und spürbar werden, wofür Kuhn steht. Offenbar für mehr Lebensqualität. Dafür verpackt er viele Maßnahmen in Pakete, etwa für mehr Sauberkeit oder nachhaltige Mobilität. In seinem dritten Haushalt wird auch die grüne Stadt thematisiert. Doch weshalb dauerte es so lange, bis ein Grüner auf die Idee kommt, Klimawandel und Luftverschmutzung mit stärkerem Bewuchs zu begegnen? Was mehr Zeit braucht, wird kaum forciert. So bleibt der geförderte Wohnungsbau auf überschaubarem Niveau, eine aktive Bodenvorratspolitik findet weiter nicht statt.

Mit 500 neuen Stellen, deutlich mehr als beim letzten Mal, suggeriert die Rathausspitze, etwas gegen den Personalmangel tun zu wollen. Die Mitarbeitervertretung weist schon lange auf die Extremsituation hin. 200 Erzieherinnen fehlen, die Ausländerbehörde ist nur zu 75 Prozent besetzt, und Hunderte Baustellen werden ohne Genehmigung betrieben, weil Kontrolleure fehlen. Bäder und Rathäuser schließen früher, als den Bürgern lieb ist.

Stadt muss als Arbeitgeber attraktiver werden

Aber nur neue Stellen auf dem Papier zu schaffen, reicht nicht. Die Stadt muss sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, sonst bleiben nicht nur diese zusätzlichen Jobs vakant, sondern auch viele der 500 Stellen, die pro Jahr durch Fluktuation frei werden. Wer sollte sich freiwillig in eine Überlastungssituation begeben, wenn es Alternativen auf dem privaten Arbeitsmarkt gibt? In dieser Hinsicht ist der wirtschaftliche Erfolg Stuttgarts mehr Fluch als Segen: Denn welcher Bewerber auf eine städtische Stelle kann sich in Zukunft das Leben in der Großstadt noch leisten?