Im Arktischen Ozean sind die Folgen des Klimawandels besonders sichtbar, sagt Kanada-Korrespondent Gerd Braune im Gespräch mit Lesern der StZ. Die Klimapolitik ist aber nicht das Einzige, das die Kanadier in diesen Tagen umtreibt.

Stuttgart - Als Gerd Braune vor ziemlich genau zwanzig Jahren das erste Mal die Arktis besuchte, hat wohl noch niemand geahnt, wie sich diese Region entwickeln könnte – und dass sie einmal zum Symbol des Klimawandels werden würde. Damals, im Herbst 1996, hat Braune, langjähriger Kanada-Korrespondent der Stuttgarter Zeitung, zum ersten Mal die Geschichten vom dünner werdenden Meereis gehört. Und von den Gefahren, die dies für die Ureinwohner der Region mit sich brachte. Seither hat ihn die Faszination für die Arktis nicht mehr losgelassen: Die Einsamkeit und Stille, die Tiere, die Veränderungen und die Frage, was diese für die Menschen in der Region bedeuten wurden zum Schwerpunkt seiner Berichterstattung.

 

Die Bedrohung der Arktis durch den Klimawandel und die Rolle der Region für das Weltklima waren am Mittwochabend Thema bei der Reihe „StZ im Gespräch“ im Pressehaus in Stuttgart. Vor rund 150 Leserinnen und Lesern sprach Braune mit Michael Maurer, stellvertretender Chefredakteur und Moderator des Abends, über die Folgen des Klimawandels – denn die seien dort besonders spürbar. Anhand von Fotos zeigt Braune, wie sich die Region verändert, berichtet von Gesprächen mit Ureinwohnern, den Inuit, und von bedrohten Tieren.

Für die Eisbären im kanadischen Arktis-Territorium ist die Prognose nicht gut

Da sind beispielsweise die Bilder von Eisbären auf einsamen Eisschollen, der Inbegriff des Klimawandels, wie Michael Maurer anmerkt. „Durch den Rückgang des Meereises wird die Zeit der Polarbären zum Jagen kürzer und die Zeit, die sie an Land leben müssen, länger“, sagt Braune. Aus dem Publikum wird er gefragt, wie die Tiere dies überleben – und Braune zeichnet eine düstere Prognose: „Eine Weile können die Tiere von ihren Fettreserven leben, aber wenn diese Zeiten länger werden, kann sich die Population in der Hudson Bay im Nordosten Kanadas in wenigen Jahren halbieren.“

Wie schnell das Meereis schmilzt, zeigen Zahlen von Klimainstituten wie dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und dem Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg. Im September war es auf eine Fläche von knapp 4,1 Millionen Quadratkilometer abgeschmolzen – vor 20 Jahren bedeckte das Arktiseis noch eine Fläche von rund sieben Millionen Quadratkilometern. Doch nicht nur die schrumpfende Eisfläche bereite Wissenschaftlern und Klimaexperten Sorgen, sondern auch die Tatsache, dass die Eisdicke stetig abnehme, sagt Braune. Besonders der Anteil der sehr harten und alten Eisschicht, die noch vor 20 Jahren rund die Hälfte des Eises ausgemacht habe, sei dramatisch gesunken, und durch den warmen Winter war verhältnismäßig wenig Neueis hinzugekommen.

„Es gibt Berechnungen, wonach die Arktis in 2050 eisfrei sein könnte“, sagt Braune – ein riesiges Problem für das Weltklima. Denn mit dem Schwinden des Eises könne die Sonnenenergie nicht mehr reflektiert werden, sagt Braune. Das führe zur Erwärmung der Ozeane und bringe so das Klimasystem der Erde durcheinander.

Die Arktis ist rohstoffreich – und viele Parteien hegen wirtschaftliche Interesse daran

Für den Journalisten, der 1954 in Kanada geboren wurde und in Deutschland seine Ausbildung gemacht hat, ist die Region auch mit Interessenskonflikten verknüpft. „Die Arktis ist sehr rohstoffreich“, sagt Braune – mit seltenen Erden und hohen, teils unentdeckten Vorkommen an Erdgas und Erdöl. Die acht arktischen Anrainerstaaten wittern hier große wirtschaftliche Chancen, „und die Einheimischen möchten, dass das Potenzial behutsam genutzt wird, weil auch sie von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren wollen.“ Braune wird nach den Perspektiven der jungen Menschen im kanadischen Arktis-Territorium gefragt. „Die meisten wollen bleiben, weil sie mit dem traditionellen Lebensstil sehr verbunden sind“, sagt Braune. Hier sei es Aufgabe der Politik, einen Weg zu finden, wie das Ökosystem und die Kultur der Inuit erhalten werden kann – und dennoch neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

Zwar zeigt sich Braune im Hinblick auf die Kooperation zwischen Inuit und Arktis-Staaten optimistisch, doch die Klimapolitik in der Region stehe vor einer Herausforderung. „Kanada will eine CO2-Steuer einführen“, so Braune. Doch ob ein solcher Weg in der Klimapolitik auch nach der Wahl des neuen US-Präsidenten Donald Trump möglich bleibt, sei fraglich – schließlich plane dieser den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen.

Ob Trump wohl zum Problembär für die Kanadier werden könne? Die Frage von Michael Maurer verneint Braune nicht, schließlich sei Trump das Gegenteil des kanadischen Staatschefs Justin Trudeau – und in Kanada laut Umfragen nicht besonders beliebt. „Trudeau verkörpert den Multikulturalismus der Kanadier,“ sagt Braune. Die zwischenstaatliche Politik jedenfalls werde sich ändern – mit Auswirkungen auch auf die Arktis.