Der öffentliche Nahverkehr in Stuttgart, bezahlbarer Wohnraum für Familien – und das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21: Bei „StZ im Gespräch“ hat der neue Rathauschef Fritz Kuhn vor etwa 600 Gästen seine Politik erläutert.

Stuttgart - Seinen ersten Arbeitstag am Dienstag hat der neue OB Fritz Kuhn (Grüne) damit zugebracht, seinen Dienstwagen in Empfang zu nehmen und den Chefsessel zu testen. Der erste Termin außerhalb des Rathauses führte ihn einen Tag später ins Haus der Wirtschaft. Bei „StZ im Gespräch“ mit 600 Gästen aus Politik und Wirtschaft sowie Leserinnen und Lesern der Stuttgarter Zeitung stellte sich Kuhn am Mittwoch den Fragen des Chefredakteurs Joachim Dorfs und des Lokalressortleiters Holger Gayer.

 

Der Abend solle dazu dienen, den frisch gekürten Rathauschef besser kennenzulernen und über seine Prioritäten zu sprechen, sagte Joachim Dorfs in seiner Begrüßungsrede. Fritz Kuhn hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. Nachdem er klargestellt hatte, dass er schon von Kindesbeinen an Fan des FC Bayern sei, aber natürlich auch dem VfB Stuttgart die Daumen drücken werde, vor allem wenn er gut spiele, wurde er deutlich.

Beim Wohnungsbau bekräftigte Kuhn, dass er so rasch wie möglich Reformen in Gang setzen wolle, um mehr günstigen Wohnraum für Familien mit Kindern und für Menschen mit geringen Einkommen zu schaffen. „Stuttgart ist zu teuer, ich möchte nicht, dass die Leute raus aus der Stadt ziehen“, so der OB. Gerade auch beim sozial geförderten Wohnungsbau müsse die Stadt an Tempo zulegen. Dabei werde er auch mit dem Land über entsprechende Förderprogramme reden. Als Beispiel für Wohnungsbauprojekte nannte Kuhn den Cannstatter Neckarpark, den sein Vorgänger als Gewerbegebiet vermarkten wollte. Unter großem Beifall der Zuhörer setzte Fritz Kuhn hinzu: „Einkaufszentren haben wir in Stuttgart genug gebaut, man muss in einer Stadt auch Wohnraum schaffen.“

Kuhn will Tarifsystem im öffentlichen Nahverkehr entrümpeln

Neue Quartiere böten die Chance, auch kinderfreundlich zu bauen. „Das ist eine Stadt nämlich erst, wenn die Eltern keinen Angstschweiß mehr auf der Stirn haben, weil ihre Kinder draußen spielen“, sagte Kuhn. Und nach einem Blick ins Publikum ergänzte er: „Viele von Ihnen haben dieses Privileg in Ihrer Kindheit noch genossen.“ Der Grüne will sein Versprechen aus dem Wahlkampf, den krebserregenden Feinstaub im Talkessel zu bekämpfen, rasch angehen. Voraussetzung dafür sei es, das Verkehrsaufkommen zu senken. 20 Prozent weniger, dann wäre der Zweck erreicht. Dafür sei ein Umdenken nötig, das gelte auch für die Bürger in der Region. „Der Besuch der Staatstheater sollte bereits am S-Bahn-Halt Waiblingen beginnen“, so der OB. Er werde sich auch demnächst mit Arbeitgebern in der City zusammensetzen und fragen, wie deren Beschäftigte zur Arbeit gelangten. Er sei damit aber nicht gegen das Auto. Eine Industrie, die umweltfreundlichere Autos baue, „wird keine Probleme haben“. Überdies müsse etwas gegen den Hausbrand unternommen werden. So könne er sich eine Unterstützung von Eigentümern vorstellen, damit sie ihre alten Heizungsanlagen austauschen.

Kuhn sagt, er wolle „für eine neue Form der Mobilität streiten“. Er wisse jedoch auch, dass der öffentliche Nahverkehr mit den vorhandenen Bussen und Bahnen nur etwa sieben Prozent mehr Fahrgäste vertrage. Ein Ausbau sei nötig, gleichzeitig wolle er das Tarifsystem entrümpeln und den Einzelfahrschein verbilligen. Ob das alles finanzierbar sei, müsse geprüft werden.

Kuhn zu Stuttgart 21: „Die Bahn stellt es derzeit infrage“

Beim Streitthema Stuttgart 21 sprach Kuhn erneut von einer von der Bahn verursachten Vertrauenskrise. Der Schienenkonzern habe noch im Oktober an Gesamtkosten von 4,5 Milliarden Euro festgehalten, im Dezember dann überraschend eine Kostenexplosion um bis zu 2,3 Milliarden eingestanden: „Wenn das keine Vertrauenskrise ist, dann weiß ich auch nicht“, sagte Kuhn. Das unter anderem von Bahn-Technikvorstand Volker Kefer vorgebrachte Argument, für die Kostensteigerung seien auch die langwierigen Genehmigungsverfahren verantwortlich, nannte Kuhn eine Projektion: „An meinen Stuttgarter Ämtern liegt es jedenfalls nicht.“

Kuhn sagte, die Frage sei, ob die Bahn Stuttgart 21 bauen könne und „ob sie es sich leisten kann“. Ein weiteres „Durchwurschteln“ dürfe es nicht geben. Die Frage von StZ-Lokalchef Gayer, ob er das Bahnprojekt grundsätzlich infrage stelle, konterte Kuhn: „Die Bahn stellt es derzeit infrage, und es ist zu befürchten, dass es auch der Bund infrage stellen wird.“ Ob für Fritz Kuhn das Ergebnis der Volksabstimmung noch gelte, hakte Joachim Dorfs nach. Kuhns Replik: Natürlich gelte das Plebiszit, „aber die Legitimationsgrundlage bröselt“.

Nach der Runde auf dem Podium hatten die Leser das Wort. Auf die Frage nach seiner Kulturpolitik sagte Kuhn, die Kultur dürfe nicht „zum Steinbruch der Sparbemühungen“ werden. Stuttgart habe etwa das Potenzial, eine Filmstadt zu werden. Auch die Bedeutung der Stadt als Hochschulstandort will er stärken. „Dann darf man aber nicht ständig an den Geisteswissenschaften rumschrubben.“