Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) spricht über die Reaktionen auf den Mohammed-Film und den Abzug aus Afghanistan.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)
Die Meinungsfreiheit sei kein Freibrief für Beleidigungen und Provokationen, sagt der Liberale Dirk Niebel. Um die Aufführung des umstrittenen Films zu verhindern, reiche das bestehende Recht aus. Deutschland brauche kein „Mohammed-Film-Verbotsgesetz“.
Herr Niebel, das Mohammed-Video hat weltweit Proteste hervorgerufen. Deutschland ist mit im Visier. Sind die Entwicklungshelfer in islamischen Ländern in Gefahr?
Natürlich gibt es Gefährdungen. Wir haben versucht, alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Aber ich will eines ganz deutlich sagen: Es gibt keine generelle Gefahr für Experten in islamischen Ländern. Es ist eine kleine Minderheit, die dort gewalttätig reagiert. Die große Mehrheit hält überhaupt nichts davon.

Wie sehr geht es bei den Protesten um religiöse Gefühle, wie stark geht es um politische Bewegungen, die getragen werden von einem grundsätzlichen Hass auf den „Westen?
Die Protestwelle wird in Teilen gelenkt. Sehen Sie sich die Ermordung der amerikanischen Diplomaten in Libyen an. Das war kein Mob, sondern ein gut geplanter Terrorakt. Andererseits gibt es die emotional aufgewühlte Masse, die oft den Film gar nicht gesehen hat, ihn nur vom Hörensagen kennt, der aber irgendwelche Scharfmacher erzählen, in Deutschland würden regelmäßig Großdemonstrationen mit Mohammed-Karikaturen durchgeführt. Dabei ist das nur eine rechtsradikale Splittergruppe, die mit ein paar Dutzend Leuten auf die Straße geht.

Wie sollte Deutschland auf die Proteste reagieren: den umstrittenen Film verbieten, mindestens seine öffentliche Vorführung?
Ich bin ein Freund der freien Meinungsäußerung. Aber ich hielte es für falsch, diesen Film in Deutschland öffentlich zu zeigen. Wenn die Sicherheit und Ordnung nicht gewährleistet ist, bietet unser Versammlungsrecht genug Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass dieser Film nicht öffentlich präsentiert wird. Wir brauchen da keine neue Gesetzgebung, wir brauchen kein Mohammed-Film-Verbotsgesetz.

Wenn gegenüber der islamischen Welt aus Gründen der politischen Opportunität Freiheitsrechte in Deutschland eingeschränkt werden, stellen wir dann nicht unsere eigenen Werte infrage?
Es muss vollkommen klar sein, dass uns unsere Werte so viel wert sind, dass wir bereit sind, dafür auch Konflikte einzugehen. Das heißt aber nicht, dass man jemanden bewusst beleidigen, ihn provozieren muss. Mit den Karikaturen in der französischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“ etwa wird bewusst Öl ins Feuer gegossen, um Emotionen zu schüren und um Auflage zu machen. Die Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“, die 2005 zu scharfen Protesten führten, waren etwas anderes: Es muss möglich sein, politische Phänomene satirisch aufzuspießen, sie auch mal so zuzuspitzen, dass es wehtut.

Gilt das auch für religiöse Themen?
In manchen Ländern sind Religion und Politik nicht zu trennen, das gilt insbesondere in der islamischen Welt. Wenn hier ein Karikaturist auf eine politische Frage zielt, gibt es immer ein Risiko, dass es als religiöse Frage wahrgenommen wird. Darüber müssen wir mit diesen Gesellschaften reden. Wir müssen deutlich mehr an Aufklärung tun, deshalb haben wir in der Entwicklungspolitik unsere Bildungsanstrengungen in all diesen Ländern verstärkt. Denn je niedriger das Bildungsniveau einer Bevölkerung, desto anfälliger ist sie für Scharfmacher.

Der Mohammed-Protest war auch Hintergrund für ein Selbstmordattentat in Kabul. Ist dieser Anschlag mit mehreren Toten ein weiteres Indiz, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan immer weiter verschlechtert?
Die Sicherheitslage wird nicht schlechter, sie wird immer besser. Im Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr aktiv ist, werden inzwischen 75 Prozent der Einsätze von afghanischen Sicherheitskräften wahrgenommen – sogar zu 100 Prozent von afghanischen Sicherheitskräften geleitet. Die Anzahl der Anschläge ist zurückgegangen, die Zahl der Opfer ist zurückgegangen, die Art der Ziele hat sich verändert. Die Taliban sind militärisch nicht mehr in der Lage, stark gesicherte Ziele anzugreifen.

In Baghlan haben sie gerade einen großen Stützpunkt angegriffen und mehrere US-Flugzeuge kampfunfähig geschossen.
Die Taliban sind unter hohem personellem und materiellem Einsatz in der Lage, punktuell Ziele zu attackieren, mehr nicht. Sie suchen sich deshalb immer öfter „weiche“ Ziele: Sie attackieren die eigenen afghanischen Sicherheitskräfte, ihre Anschläge fordern Opfer unter der Zivilbevölkerung. Sie suchen sich medial ausschlachtbare, symbolische Ziele, um den Eindruck zu erwecken, sie würden viel bewirken. Dem ist aber nicht so. Die Effizienz der afghanischen Polizei ist weit, weit höher als noch vor einigen Jahren.

Mehrere Dutzend Nato-Soldaten und Polizisten aus westlichen Staaten wurden von Afghanen ermordet, die sie auszubilden versuchten und mit denen sie gemeinsam auf Patrouille oder in Kampfeinsätze zogen. Dieses sogenannte „Partnering“ steht nun infrage. Ist damit der entscheidende Baustein in der Nato-Strategie zerstört?
Das „Partnering“ ist nicht generell ausgesetzt, sondern nur bis zur Bataillonsebene und kann von einzelnen Kommandeuren auch auf den Ebenen darunter weitergeführt werden.

Was wird nach dem Abzug der Nato-Truppen im Jahr 2014 mit den Entwicklungshelfern geschehen: Müssen sie dann auch Afghanistan verlassen – und damit ihre Hilfsprojekte aufgeben?
2014 sollen die Kampftruppen abziehen – und damit der größte Teil der internationalen Verbände. Aber es werden weiterhin Soldaten zur Ausbildung in Afghanistan bleiben, sie werden weiterhin andere Soldaten zum Schutz und zur Versorgung vor Ort haben. Es geht also nicht um einen Totalabzug. Wir gehen davon aus, dass 2014 in weiten Teilen des Landes die Afghanen selbst für Sicherheit sorgen können. Als vor einigen Wochen in Kabul ein Hotel angegriffen wurde, haben die afghanischen Kräfte die Attentäter ganz allein bekämpft, und zwar mit Erfolg.

Aber was passiert dann mit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit?
Sie wird über den Abzug hinausgehen. Wir als Deutsche haben international zugesagt, dass wir uns in der Dekade nach dem Abzug auf dem bisherigen finanziellen Niveau engagieren wollen. Das sind im Moment 430 Millionen Euro im Jahr. Ich glaube auch nicht, dass die Taliban die Macht in Afghanistan übernehmen. Die Zivilgesellschaft dort ist weit widerstandsfähiger als früher.

Ist es möglich, vielleicht sogar zwingend, die Taliban an der Macht zu beteiligen?
Taliban ist nicht gleich Taliban. Die Regierung Karsai führt bereits Gespräche mit gemäßigten Taliban, die nicht zuvörderst auf Gewalt setzen. Man kann nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs nicht darauf bestehen, dass nur Menschen am Tisch sitzen, die kein Blut an den Händen haben. Dann würde man kaum einen finden. Aber mit jenen, die auf eine friedliche Zukunft des Landes hinarbeiten wollen, wird man reden müssen.